Kann man im Yoga zu mehr Selbstbewusstsein finden? Lena Jungmann meint: auf jeden Fall! Sie vergleicht diesen Weg mit dem Aufblühen einer Blume, denn auch wir Menschen streben nach Licht und nach Entfaltung und können dank Praxis und Geduld zu starken Individuen heranwachsen.
Interview: Stephanie Schauenburg / Fotos: Mustafa Ali Abdullah
Wie hat Yoga dein Selbstbewusstsein beeinflusst?
Yoga hat mich gelehrt, dass es okay ist, für mich einzustehen, stolz auf mich zu sein und meine Erfolge zu feiern. Manchmal darf man auch einfach mal im Rampenlicht stehen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich jeden Tag selbstsicher starte, aber darum geht es auch nicht. Vielmehr habe ich im Yoga Mittel gefunden, mich anders mit meinem Selbst auseinanderzusetzen: eben nicht immer nur kritisch, sondern auch mal begeistert. Warum sollen wir immer unsere größten Kritiker sein, wenn wir auch unsere größten Fans sein können?
Wobei es uns im Yoga ja nicht um Eitelkeit geht, sondern um Bewusstsein …
Eben – und das Schöne ist, dass das im deutschen Wort “Selbst-Bewusstsein” schon mit drin steckt: Bewusstsein für das Selbst, den Körper, den Geist und dafür, wie alles zusammenhängt. Das beginnt bei dem Bewusstsein, wie es mir in diesem Moment gerade geht. Ich nehme das ganz viel in meine Praxis und in meinen Unterricht hinein: Hinzuspüren und sich immer wieder bewusst zu machen, wie sich etwas gerade jetzt anfühlt.

Dreieck (Trikonasana) “In Stehhaltungen wie dem Dreieck oder den Kriegern steht man fest auf beiden Beinen. Das gibt mir ein Gefühl von Mut und Entschlossenheit und erinnert mich daran, dass ich den Herausforderungen des Lebens mit Stärke und Zuversicht begegnen darf.“
Diese Selbsterforschung mit dem Ziel von Bewusstheit – oder sogar von Selbsterkenntnis – ist ja etwas sehr Yogisches. Den Begriff “Selbstbewusstsein” verwenden wir aber meistens eher im Sinn von Selbstsicherheit.
Ich glaube, dass diese Form von “Selbst-Bewusstheit” auf jeden Fall in die Selbstsicherheit münden kann. Die baut sich auf, indem man sich Schritt für Schritt selbst ermutigt, die eigene Kraft wahrnimmt, die Fortschritte, den Raum, den man einnimmt. Und irgendwann strahlt man das auch aus.
Welche Rolle spielt für dich dabei das körperliche Üben auf der Matte?
Fortschritte auf der Matte kommen oft langsam, sie erfordern Ausdauer und Hingabe. Diese Erfahrung kann uns, glaube ich, auch im Alltag helfen, beharrlich und geduldig zu bleiben, wenn wir auf Hindernisse stoßen. Indem wir uns selbst immer wieder herausfordern und über unsere Grenzen hinauswachsen, bauen wir ein starkes Gefühl der Selbstwirksamkeit auf – die Überzeugung, dass wir fähig sind, Schwierigkeiten zu überwinden.
Für die Bilder zu diesem Artikel hast du lauter kraftvolle, ausdrucksstarke Asanas ausgewählt.
Das stimmt. In solchen Haltungen, gerade auch in den Stehhaltungen, kann man ganz deutlich wahrnehmen: Ich stehe fest auf beiden Beinen, ich stehe für mich ein, ich erde mich und wachse, ich darf den Raum einnehmen und muss mich nicht klein machen. Ich darf auch mal die Grenzen meiner Matte überschreiten.

Tänzer (Natarajasana) “Konzentriert auf einem Bein zu balancieren und sich dabei zu strecken, auszudehnen und den Herzraum weit zu machen – für mich liegt darin nicht nur viel Anmut, sondern auch ein Ausdruck geistiger Stabilität.“
Das funktioniert ja in beide Richtungen: Eine bestimmte Körperhaltung drückt meine Befindlichkeit nicht nur aus, sie kann sie auch verändern. Eine kraftvolle Haltung etwa führt dazu, dass ich mich in dem Moment als kraftvoller erlebe …
Ja! Ich brauche Platz auf der Matte und ich traue mich, mich zu zeigen.
Da finde ich es spannend, dass du durch Instagram zu Yoga gekommen bist. Für viele ist das ein Medium der permanenten Einschüchterung: Man setzt sich absurden Idealbildern und einer krassen Bewertung aus.
Ich muss sagen, dass das in der Yogabubble, in der ich gestartet bin, überhaupt nicht so war. Die habe ich als sehr unterstützend erlebt. Das hat mir im Gegenteil eher geholfen, mich auch mal zu feiern und nicht klein zu machen.

Vajrapradama Mudra – Das “Mudra des unerschütterlichen Vertrauens” ist eine tolle Übung fürs Selbstbewusstsein. Nach meiner Erfahrung hilft sie wirkungsvoll, den Glauben an sich selbst zu stärken und Zweifel loszulassen. Sie kann Ängste, Unruhe und emotionale Spannungen abbauen, das Nervensystem beruhigen und mehr Ruhe und Stabilität bringen. Außerdem hilft sie mir zuverlässig, mich mit meiner inneren Weisheit und Intuition zu verbinden. So geht’s: Verschränke die Finger beider Hände miteinander und lege die Handflächen an deinen Brustbereich. Atme ruhig und konzentriere dich einige Minuten lang auf das Gefühl von Vertrauen und innerer Stärke.
Wir hören auch immer wieder mal Kritik daran, dass das vorherrschende Bild junge, hübsche, schlanke und weiße Yogafrauen sind. Manche haben dann das Gefühl: Yoga ist nicht für mich, weil ich so nicht aussehe.
Ich scheue mich ehrlich gesagt immer etwas, auf dieses Thema einzugehen, denn ich habe keine Lust, da typgecastet zu werden. Mein Körper ist, wie jeder, im Fluss. Ich muss keiner Norm, keinem Idealbild entsprechen und verstehe auch nicht, warum ich jetzt ein Yogaprogramm für Füllige anbieten sollte. Ich will nicht in diese Nische geschoben werden, sondern einfach Yoga unterrichten – für alle.
Deswegen passt der Titel “Blooming into yourself” ja auch so schön: Es geht darum, wirklich in sich selbst hinein zu erblühen, statt irgendeine vorgefertigte Form auszufüllen.
Ja, darum geht es. Ich darf sein, wer ich bin, egal wie die Umstände sind.
Vielleicht brauchen wir an dieser Stelle neben Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit und Selbsterkenntnis noch ein weiteres Selbst-Wort: Selbstverständlichkeit?
Absolut. Diese Freiheit zur Selbstfindung sollte eine Normalität sein. Gerade im Yoga sind wir ja schnell dabei, das Ego zu verdammen, dabei ist diese Ich-Stimme in uns auch eine gute und wichtige, die uns hilft, Grenzen zu setzen. Man kann sehr selbstbewusst sein und für sich einstehen, ohne dabei ein aufgeblähtes Ego zu haben und sich für etwas Besseres zu halten. Es geht ja immer um Selbsterkenntnis.

Seitstütz (Vasishthasana) “Hier arbeiten Arme, Schultern und die seitliche Rumpfmuskulatur kraftvoll zusammen, um den Körper zu stabilisieren. Gleichzeitig breite ich mich freudig in alle Richtungen aus. Ich weiß: Ich muss mich nicht klein machen, ich darf diesen Raum einnehmen.“
Gleichzeitig ist es zutiefst menschlich, sich im anderen zu spiegeln und sich zu vergleichen. Wie gehst du mit Selbstzweifeln um?
Das passiert immer mal wieder: Eine Person verlässt plötzlich den Yogaraum und mein erster Gedanke ist: “Oh nein, hab’ ich was Falsches gesagt? Wieso fühlt sich die Person bei mir nicht wohl?” Direkt ist mein Ego gekränkt oder ich empfinde es als Zurückweisung. Dabei kann es doch auch bedeuten, dass sie sich plötzlich nicht mehr fit fühlt oder vielleicht den Herd zu Hause angelassen hat.
Und in deiner eigenen Praxis?
Da ist es ganz ähnlich: Ich bin wackelig in meinem Kopfstand und zweifle vielleicht im ersten Moment mein Können an. Doch vielleicht ist es einfach nur Erschöpfung oder ich habe weniger Balance-Gefühl in diesem Moment. Inzwischen habe ich mir angewöhnt, erst mal bewusst einen Reality Check zu machen und nicht gleich emotional und zweifelnd zu reagieren – dabei kann ich wieder echtes Selbst-Bewusstsein herstellen.

Wild Thing (Camatkarasana) “In dieser dynamischen Rückbeuge spüre ich meine Flexibilität und Kreativität. Durch das Heben der Hüften und das Zurücklehnen über eine Hand entsteht eine kraftvolle Herzöffnung, die viel Energie freisetzt. Ich erlebe: Auch wenn alles upside down ist und ich mich verletzbar mache, ich kann das!“
Dahin zu kommen, ist sicher ein längerer Prozess?
Der Weg zum Selbstbewusstsein ist kein einfacher, schon gar nicht verläuft er linear. Es baut sich in vielen kleinen Fortschritten und Rückschritten allmählich auf. Aber es beginnt immer mit der bewussten Entscheidung, sich selbst wertzuschätzen und zu akzeptieren. Wir müssen uns Erlaubnis geben, dort anzufangen, wo wir gerade stehen, und unseren eigenen Weg zu gehen. Mein Motto ist da immer: Arbeite nicht gegen dich, sondern mit dir.
Lass uns zum Schluss auf die Blumen-Metapher zurückkommen. Du vergleichst den Weg zu Selbstbewusstsein mit dem Aufblühen einer Blume.
Ja, weil beide Prozesse Zeit, Pflege und Geduld erfordern: Mit der richtigen Menge an Wasser, Licht und Nährstoffen beginnt der Samen zu keimen und sich zu entwickeln. Auch Selbstbewusstsein beginnt als leise innere Stimme, die durch positive Erfahrungen und Selbstreflexion wächst. Wie die Blume, die sich nach dem Sonnenlicht ausrichtet, richten wir uns im Yoga nach unserem höheren Selbst und der universellen Energie aus. Durch kontinuierliche Praxis und Selbstdisziplin kann unser inneres Vertrauen wachsen. Achtsamkeit (Svadhyaya) und Hingabe (Ishvara Pranidhana) unterstützen uns dabei, unser wahres Potenzial zu entfalten und zu einem starken, selbstbewussten Individuum heranzureifen.

Stehende Rückbeuge (Anuvittasana) “Eine meiner Lieblings-Asanas: Sie weitet den Herzraum, dehnt den gesamten Vorderkörper und gibt mir ein Gefühl von Offenheit und Selbstbewusstsein. Gleichzeitig stehe ich fest mit meinen Füßen auf dem Boden.“
“Happy Lena Yoga” heißt Lena Jungmanns Instagram-Account – und mit dieser fröhlichen Energie unterrichtet die aus Österreich stammende Wahl-Berlinerin auch ihre Hatha-, Vinyasa- und Yin-Yoga-Klassen und -Retreats. Lenas Mission: Yoga für alle. Mehr zu Lena auf ihrer Website happylenayoga.com und auf Instagram @happylenayoga
Passend zum Thema Selbstbewusstsein hat Lena für dich eine Yoga-Playlist zusammengestellt. Du findest sie hier: