Den Boden bereiten: Tipps für deine Sankalpa-Praxis

Der Jahresbeginn ist die Zeit der guten Vorsätze. Vielleicht kennst du die Sankalpa-Praxis, um Intentionen ins Leben zu tragen? Was dabei in Yogakreisen häufig übersehen wird: Nach hinduistischer Überzeugung gehört dazu nicht nur aufrichtige Hinwendung, sondern auch eine bewusste Vorbereitung.

Text: Rina Deshpande / Titelbild: Arthon Meekodong via Canva

Als Autorin beginnt meine Arbeit an einem Artikel wie diesem schon lange bevor ich mich hinsetze und anfange zu schreiben. Ich habe vielleicht schon früh eine vielversprechende Idee, aber ich weiß auch: Wenn ich es versäume, ein gutes Umfeld vorzubereiten und zu kultivieren, dann werde ich mit meinem Text Schwierigkeiten haben. Nur wenn ich mir etwas Zeit nehme, um Ordnung rings um mich zu schaffen und mein Inneres zu klären, finde ich auch die nötige Willenskraft und Flexibilität, die ich brauche, wenn (wie fast immer beim Schreiben) früher oder später Hindernisse auftauchen. Ich räume also meinen Arbeitsplatz auf, mache es mir schön und genauso bereite ich auch meinen Körper und meinen Geist vor. Es ist, als ob ich den Boden bereiten würde, bevor ich neue Pflanzen aussäe.

Auch mit dem Prozess, eine ernsthafte Intention zu formulieren und im Geist zu verankern, den wir im Hinduismus und im Yoga als Sankalpa kennen, verhält es sich so: Wie beim Gärtnern wollen wir etwas ins Leben und zum Blühen bringen und dafür braucht es den richtigen Boden und aufmerksame Pflege. Sankalpa ist ein sehr altes Konzept und wird im Hinduismus auf viele Praktiken und Rituale angewandt. Zum Beispiel beginnen wir das Gebetsritual, die Puja, oft mit Mantra (Wiederholung heiliger Silben) oder anderen Formen von Bhakti (hingebungsvollem Glauben).

Was bedeutet Sankalpa?

Sankalpa wird manchmal synonym zum Begriff “Intention” verwendet, aber es ist viel mehr als ein Wunsch oder ein Vorsatz. Zur Sankalpa-Praxis gehört auch, dass man seine inneren und äußeren energetischen Knoten auflöst und zu dem vordringt, was wirklich aus dem Herzen kommt. Diesen frischen spirituellen Samen der Veränderung kann man dann einpflanzen und pflegen.

Auf diese Weise unterstreichen wir, dass es sich nicht einfach um irgendeine Verrichtung handelt, sondern dass mehr dazu gehört, eben Sankalpa: ein aufrichtiger Vorsatz, fast so etwas wie ein Gelöbnis. Mit ihm erkennen wir an, dass im Lauf unseres Gebetsrituals, wie eigentlich überall im Leben, mit einiger Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten auftauchen werden. Gleichzeitig versichern wir uns aber selbst, dass wir alles, was uns zur Verfügung steht, all unsere tief im Herzen empfundene Entschlossenheit und Achtsamkeit, aufbringen werden, um diese Zeremonie zu Ehren des Göttlichen und unserer Ahnen zu vollenden.

Hier ist ein ausführlicher Artikel zu Sankalpa und 5 Schritte auf dem Weg dorthin.

Reinigung

Aber schon vor dieses Sankalpa, das das eigentliche Tun mit unserer Hingabe und Willenskraft untermauert, setzen die Hindu-Traditionen vorbereitende Schritte. Mit ihnen sollen wir uns selbst reinigen und einen Raum schaffen, in dem sich unsere Intention gut entfalten kann. In der östlichen Tradition nehmen wir zunächst ein “Kopf-Bad“. Das heißt: Wir waschen uns von Kopf bis Fuß (denn historisch war das Waschen und Ölen des Haars ein geheiligtes Ritual, das man nicht täglich ausführte). Dann ziehen wir frische Kleidung an. Wir nehmen sattvische (also reine, ausgewogene) Nahrung und Getränke zu uns und wir versuchen, unsere Praxis auf eine glücksversprechende Tageszeit zu legen.

Auch der Ort, an dem wir beten, sei es nun zu Hause, in einem Tempel oder irgendwo anders, wird normalerweise zuvor gründlich gereinigt. Schon die Bhagavad Gita erklärt, dass die Reinigung unserer äußeren Umgebung und unseres Körpers auch helfen kann, den Geist von Schmutz und Ballast zu befreien. Das erleichtert es uns, reine, wirklich vom Herzen kommende Intentionen freizusetzen. Und erst an diesem Punkt beginnt Sankalpa.

Wie man sich bettet, so liegt man

Sankalpa: Ordnung
Foto: Pexelshot via Canva

Ein einfaches Beispiel illustriert das vielleicht: Stell dir vor, du bist spätabends von der Arbeit zurückgekommen. Du fühlst dich müde und erschöpft von dem langen Tag und sehnst sich nach nichts anderem als einer guten Nacht, damit du ruhig schlafen und dich erholen kannst. Aber dann stellst du fest: Dein Bett ist nicht gemacht. Die Bettwäsche ist völlig zerknittert, die Decke halb aus dem Bezug gerutscht, die Kissen sind schon ewig nicht gewaschen und riechen muffig, ringsum Bücher, Zeitschriften und Krümel.

Du bist so müde, dass du dir sagst: “Oh je, das sieht ja nicht einladend aus, aber was soll’s, ich nehme es jetzt, wie es ist. Ich muss einfach schlafen.” Also legst du dich hin und schläfst auch gleich ein, aber deine Nacht ist nicht wirklich erholsam. Dein Schlaf ist unterschwellig gestört von dieser ungemütlichen Umgebung.

Jetzt stell dir vor, wie es sich anfühlen würde, wenn du dich in ein sauberes Bett legtest: glatte, duftende Wäsche, fluffige Kissen, eine klare, aufgeräumte Umgebung. Du kuschelst dich hinein und sagst dir: “Mein Bett fühlt sich einfach himmlisch an. Ich bin so glücklich. Sicher werde ich wunderbar schlafen.” Auf Sankalpa bezogen bedeutet das: Deine Intentionen werden sich nicht so gut entfalten können, wenn sie in eine unvorbereitete, unreine Umgebung kommen, ihr Potenzial ist reduziert.

Genauso macht es umgekehrt eine sorgfältig bereitete, geklärte Umgebung wahrscheinlicher, dass freudvolle Intentionen entstehen und du sie voller Zuversicht in dir verankern und gedeihen lassen kannst. Es ist genau wie bei einem sauberen, angenehmen Bett: Du fühlst dich wohl und bist dir sicher, dass du wunderbar schlafen wirst, anstatt nur zu denken: “Ich muss jetzt schlafen.” Mit anderen Worten: Die Hindernisse schwinden und deine positiven Wünsche können sich besser manifestieren.

Die Sache mit den guten Vorsätzen

Sankalpa: Vorsätze
Foto: Vlada Karpovich via Canva

Im modernen Yoga wurde die traditionelle Sankalpa-Praxis adaptiert, damit wir bewusst und zielstrebig in ein neues Sonnenjahr oder überhaupt in eine neue Phase oder Jahreszeit starten können – eigentlich so, wie man auch einen spirituellen Vorsatz fasst. Leider zeigt die moderne Forschung aber, dass nur sehr wenige Menschen solche Neujahrsvorsätze dauerhaft umsetzen und tatsächlich Veränderung herbeiführen können.

Gut 80 Prozent verlieren ihre Intentionen im Lauf der Zeit wieder aus den Augen. Bestes Beispiel ist die hemmungslose Schlemmerei während der Feiertage, die wir gerne mit dem Schwur verbinden, im Januar würde sich das dann alles drastisch ändern: viel Sport, viel Yoga, gesunde Ernährung, kein Alkohol. Die meisten starten auch ganz konsequent mit Clean Eating oder was immer sie sich vorgenommen haben, aber nach ein paar Wochen oder Monaten setzt die Eigendynamik der Gewohnheiten wieder ein: Die Intentionen geraten entweder in Vergessenheit oder werden schlechten Gewissens ignoriert.

Woran liegt das?

Ich glaube, die versteckte Schwierigkeit, an einer Intention auch auf Dauer festzuhalten und sie zum Blühen zu bringen, liegt darin begründet, dass die eingepflanzte Saat selbst nur oberflächlich war. Sie kam nicht wirklich tief aus dem Herzen. Ein echtes Sankalpa zu finden und zu kultivieren, eines das das gesamte Jahr über gedeiht, das geht nach meiner Überzeugung nur, wenn du dich vorbereitest. Im Kasten mache ich dir dazu ein paar Vorschläge.

So bereitest du deine Sankalpa-Praxis vor

Bevor du dich auf deine Matte setzt, um mit deinen Intentionen zu arbeiten und sie in ein Sankalpa zu gießen, nimm dir etwas Zeit, um Körper, Geist und deine Umgebung gut darauf vorzubereiten. Die folgenden Tipps unterstützen dich darin, Reinheit und Klarheit in deiner Sankalpa-Praxis zu finden:

• Trage saubere und atmende Kleidung,
in der du dich in deinen Asanas und der Meditation richtig wohlfühlst. Lockere, natürliche Baumwollstoffe sind auch energetisch durchlässiger als enge synthetische Outfits.

• Kläre deine Übungsumgebung. 
Räume so viele Dinge weg, wie möglich. Wenn du den Raum teilst oder Dinge nirgendwo sonst verstauen kannst, dann schaffe eine möglichst klare Ordnung.

• Achte vor der Praxis auf deine Ernährung. 
Wie steht es zum Beispiel mit deinem Frühstück? Viel Zucker und Koffein? Vielleicht kannst du es eintauschen gegen etwas “Reineres”? Ich liebe zum Beispiel den Duft und Geschmack von Kaffee (genau wie meine Familie seit Generationen),
aber ich trinke davor eine Tasse warmes Wasser, um meinen Verdauungstrakt zu besänftigen.

• Achte darauf, was du liest und ansiehst. 
Natürlich ist es wichtig, angesichts der schwierigen, herzzerreißenden globalen Ereignisse gut informiert zu sein. Genauso wichtig ist es aber, gesunde Grenzen dabei zu etablieren, wieviel du scrollst oder ansiehst. Nur so hast du die Kraft für positive Transformation.

• Herzenswünsche identifizieren. 
Wir alle haben Intentionen und Sehnsüchte, die aus dem Denken und dem Ego stammen, und solche, die im Herzen geboren werden. Beim Herausfiltern deiner wahren Herzenswünsche helfen dir Kriya Pranayama, also reinigende Atemübungen, die den Körper mit frischem Sauerstoff versorgen und die Fesseln des Geistes lösen. Zum Beispiel Bhastrika: 27 schnelle Ein- und Ausatmungen.

• Negativ oder positiv? 
Frage dich, ob deine Intentionen aus einer positiven Denkweise kommen, oder ob sie vor allem Negatives vermeiden wollen? Wie beim Beispiel vom ungemachten Bett im Text, kann es deine Intention sein, jetzt nur noch ganz schnell zu schlafen, aber du bleibst dabei in einem negativen Lebenskreislauf. Umgekehrt ist beim Beispiel des gemachten Betts die Intention schon angefüllt mit Freude und Zuversicht. Solche freudvollen Samen des Herzens bringen mehr positive Energie in dein System und helfen dir, deine Intention, deine Bestimmung, lebendig zu halten.

In meiner Familie und in der indischen Kultur, aus der ich stamme, wird Sankalpa seit Generationen praktiziert. Für mich ist es selbst ein Samen, der vor vielen Jahrhunderten eingepflanzt wurde und seither wächst und gedeiht, damit auch ich ihn weiter pflege. Ich fühle mich geehrt, ihn mit dir zu teilen. Mögen auch deinem geklärten Umfeld und deiner von Herzen kommenden Saat der Intention so ein langes Leben beschert sein. Auf dass du sie nicht nur durch das nun beginnende Jahr trägst, sondern ihre Kraft auch andere positiv beeinflusst – vielleicht sogar viele Generationen lang.


Rina Deshpande lehrt, erforscht und schreibt seit über 15 Jahren über Yoga und Achtsamkeit. Ihre Artikel erschienen bei uns, Huffington Post, Self Magazine und vielen anderen. Außerdem hat sie 2022 ein Kinderbuch verfasst und selbst illustriert: “Yoga Nidra Lullabay“. Erfahre mehr über Rina und besuche sie auf ihrer Website oder ihrem Instagram-Account @rinathepoet

Hier bekommst du noch weitere Vorschläge, wie du ins neue Jahr starten kannst:

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