Interview // Patricia Thielemann

Das pralle Leben

Vom Intellekt zum Erlebnis: Im YOGA JOURNAL-Interview spricht Deutschlands bekannteste Pre- und Postnatal Yoga-Expertin Patricia Thielemann über die Herausforderung, die Frauen durch Geburt und Schwangerschaft erleben, wie Yoga sie dabei unterstützen kann – und was ihre Lehrer/innen dabei beachten sollten.

YOGA JOURNAL: Patricia, Schwangerschaft und Geburt eines Kindes sind für die meisten Frauen nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern eine Phase der umfassenden Neu-Positionierung.

Patricia Thielemann: Durch Schwangerschaft und Geburt kommt nicht nur ein Kind zur Welt, sondern auch eine Frau als neue Mutter. Dass die damit verbundenen persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen nicht leicht zu vereinbaren sind, ist auch meine Erfahrung. Ich habe mein erstes Kind mit 38 Jahren bekommen. Davor war mein Plan: Ich lasse mich darauf ein, und wenn das Universum das will, werde ich meinen Weg finden. Trotzdem hatte ich zunächst durchaus Angst vor dem Neubeginn.

Wie kann Yoga hierbei unterstützen?

Yoga kann es Frauen erleichtern, bewusst in ihre neue Rolle als Mutter hinein zu wachsen und die vermeintlichen Gegensätze zwischen persönlichen Bedürfnissen und den Anforderungen der Gesellschaft auszugleichen. Die Praxis hilft, diesem – vor allem im Nachhinein – relativ kurzen Zeitabschnitt die angemessene Aufmerksamkeit zu geben. Oft ist es ja so, dass das Herausfinden der Schwangerschaft ein großes Ereignis ist, danach aber eher als Nebensache mitläuft. Wir alle sind eben organisatorisch voll ausgelastet.

Schafft Yoga also einen realistischen Zugang zur neuen Lebensphase?

Bildschirmfoto 2013-04-17 um 17.08.13

Eigentlich ist es merkwürdig: Bei anderen gravierenden Einschnitten in unser Leben wie Tod oder materieller Verlust halten wir inne und bewerten vieles neu. In der Schwangerschaft wollen wir uns oft beweisen, dass sich trotzdem nicht viel verändern muss. Auch unser Umfeld trägt dazu bei: Es wird anerkannt, wenn sich der Körper nicht allzu sehr verändert und man weiterhin in Beruf und sozialem Leben alles gibt. Yoga hilft auf jeden Fall, den Übergang zu begleiten und dem heranwachsenden Leben auch im übertragenen Sinn Raum zu geben. Wenn man alles wie gewohnt weiterlaufen lässt, kann einem später alles ins Gesicht schlagen. Egal, wie sehr man Alltag und Körper in Schach halten möchte – letztlich gewinnt immer die Natur.

Wie hat sich Yoga in deinen beiden Schwangerschaften bewährt?

In der ersten Schwangerschaft hat sich Yoga für mich insofern als heilsam erwiesen, als dass sich einige Dinge, die mich vorher sehr gestresst haben – Karriere, perfektes Aussehen und trotzdem vor allem durch Intelligenz und Leistung wahrgenommen zu werden – relativiert haben. Beim zweiten Kind war die Praxis vor allem dafür da, diesem Baby seinen eigenen Raum zu geben. Sich den Anforderungen von Schwangerschaft und Geburt zu stellen, auch dem Leben danach, bedeutet vor allem, praktisch werden zu müssen. Der Anspruch, vor allem nach außen wirken zu müssen und Anerkennung zu finden, hat sich  abgeschliffen.

Hattest du diesen Anspruch auch in der Yogapraxis?

Im Yoga gibt es durchaus die Gefahr, dass Selbststudium und Selbstsuche doch wieder einem Leistungsprinzip unterworfen werden. Man geht dann nicht objektiv vor, sondern meint, dass man nur „sein“ dürfe, wenn man seine Triebe und sonderbaren Facetten ausmerzt oder in Form bringt. Schwangerschaft und Ankunft meines ersten Kindes haben dem eine pragmatische Komponente geben und mir als eher komplizierte Frau gut getan. Es ist vergeblich, an einem alten Selbstbild festzuhalten zu wollen. Sie haben mich auf den Teppich gebracht, ohne dass ich meine Träume verloren hätte, und mich in einen Zustand des Seins gebracht, keiner bloßen Idee von mir.

Interview: Christina Raftery

Mehr lesen Sie im Sonderheft Yoga & Familie.

INFO: Patricia Thielemann, zweifache Mutter und Gründerin der Spirit Yoga-Studios, hat sich besonders im Pre- und Postnatal Yoga einen Namen gemacht, zu dem sie zwei DVDs, mehrere CDs und zuletzt das Buch „Yoga in der Schwangerschaft“ veröffentlicht hat und das sie auch als Fortbildung für Yogalehrer/innen und Hebammen anbietet. Termine und weitere Informationen gibt es unter www.spirityoga.de

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Das Neueste

Den Körper lieben lernen – 3 Übungen für mehr Körperwahrnehmung

Dein Körper ist ein Partner fürs Leben – ihr werdet für den Rest eures irdischen Daseins miteinander auskommen müssen....

Astrologie: So wirkt der November-Vollmond im Stier

Wann ist Vollmond? Am 15. November um ca. 22:28 Uhr steht der Vollmond im Erdzeichen Stier. Jetzt treffen zwei...

Dies.Das.Asanas mit Jelena Lieberberg – Der Päckchen-Handstand

Ein freier Handstand, der dir sogar Zeit lässt, deine Beine anzuwinkeln – von so viel Körperbeherrschung träumen die meisten...

YogaWorld Podcast: #129 Fortgeschrittene Pranayama-Praxis mit Susanne Mors

Willkommen beim "YogaWorld Podcast"! Die Idee dahinter: Zugang zu echtem Yogawissen, ohne stundenlangem Bücherwälzen. Hier erfährst du einfach alles...

#129 Energieerweckung in Balance: Fortgeschrittenes Pranayama für neue Tiefen deiner Yoga-Praxis – mit Susanne Mors

Erlebe die transformative Wirkung von Kapalabhati, Wechselatmung und Bhastrika in einer intensiven Pranayama-Praxis Entdecke die Kraft der fortgeschrittenen Pranayama-Praxis mit...

Frauen werden anders krank – Männer auch

Aus dem Yoga wissen wir: Asanas, bei denen es um Beweglichkeit geht, fallen Männern meist schwerer als Frauen, während...

Pflichtlektüre

Das könnte dir auch gefallen
Unsere Tipps