„Kick Ass Yoga“: So heißt nicht nur Jelena Lieberbergs dynamischer und kreativer Yogastil, sondern auch ihr Buch. Im Interview spricht die Berliner Yogalehrerin und YOGA JOURNAL-Kolumnistin über Kraft, Motivation und eine allzu rosige Selbstwahrnehmung.
„Kick Ass Yoga“ – das klingt irgendwie gefährlich. Was droht hier unserem Allerwertesten?
Das kriege ich tatsächlich öfter zu hören, dabei bin ich eigentlich ganz nett. Kick Ass Yoga ist nicht aggressiv, sondern als freundliche, jedoch direkte Motivation gemeint, wenn man es selbst nicht schafft, sich aufzuraffen, vom Sofa aufzustehen und sich zu bewegen. Ich habe den Namen gewählt, weil ich auf der Suche nach etwas war, was mich selbst aufweckt, wenn ich in Träumen schwelge und dabei Raum und Zeit vergesse.
Welche (Fitness-)Trends integrierst du ins Yoga und welche klassischen Qualitäten bleiben erhalten?
Meine Praxis enthält nicht nur den Push (wie etwa bei Chaturanga Dandasana), sondern auch den Pull mit Hilfe einer Klimmzugstange – zur Not geht auch ein Türrahmen. Dieser Pull fehlt uns Yogis, er sorgt aber wie kaum etwas anderes für eine gesunde Rücken- und Bauchmuskulatur. Dadurch wird die Yogapraxis zu einer runden Ganzkörperschule, bei der allein das eigene Körpergewicht genutzt wird. Außerdem gehe ich in meinem Buch auch eingehend auf das Thema Faszien und Foam Rolling ein. Der Atem bildet als klassische Qualität dabei die Grundlage.
Was ist deine persönliche Definition von „Kraft“ und wie können wir sie mit deinem Programm fördern?
Interessant ist für mich da die Frage: „Was kam zuerst: das Huhn oder das Ei?“ Ob also zuerst mentale Kraft oder Selbstbewusstsein existiert oder ob körperliche Kraft uns mental stärken kann. Generell liegt meine Definition nicht im äußeren Erscheinungsbild, sondern in Fähigkeiten, Geschick und Ausdauer.
Deine YOGA JOURNAL-Kolumne „Dies.Das.Asanas“, in der du klassische Asanas kreativ variierst, ist sehr beliebt. Fehlt uns im Yoga manchmal genau diese Leichtigkeit – und der Spaß?
Die Kombination macht es für mich tatsächlich rund. Ich lache lieber über Fehler und Missgeschicke, als mich darüber zu ärgern. Das geht im Alltag oft verloren. Ich sehe meine Kolumne als Inspiration und humorvollen Reminder, dass es auch leichter geht.
Gleichzeitig gibt es auch kritische Kommentare, dass die von dir vorgeschlagenen Haltungen zu „extrem“, manchmal auch riskant seien. Wie viel Mut gehört zum Yoga-Praktizieren?
Diese kritischen Kommentare kommen tatsächlich auch von mir selbst. Ich gehe damit sehr klar um und sehe mich als verantwortungsvolle Journalistin: Haltungen, die potentiell gefährlich sind, werden auch als solche deklariert und nicht zum Nachahmen empfohlen. Ich wünsche mir dadurch mehr Bewusstsein bei waghalsigen Sachen, die im Internet kursieren und dann eventuell von Laien kopiert werden, ohne zu wissen, worum es geht.
Wozu haben wir Grenzen, wenn wir sie überwinden sollen? Anders gefragt: Wann schützen sie uns, wann engen sie uns ein?
Angst ist etwas ganz Natürliches und schützt uns vor Verletzungen. Manchmal nimmt diese Angst allerdings überhand und wir verstecken uns dahinter. Mit einem fähigen Lehrer kann man ganz behutsam an seinen Grenzen arbeiten und freut sich über jeden noch so kleinen Fortschritt.
Immer mehr Yogalehrer beschreiben wie du ihren Unterricht als „undogmatisch“. Welche Dogmen empfindest du im Yoga als wenig hilfreich?
Ein Dogma möchte jegliche Weiterentwicklung unterbinden. Ein undogmatischer Unterricht lässt dem Schüler den Raum des Herausfindens, Zweifelns und Erfahrens, ohne ihm eine bestimmte Wahrheit eintrichtern zu wollen. Das Schlimmste, was es für mich in der Yogaszene gibt, ist der Satz „Du bist genau so richtig, wie du bist“ oder „Alles ist gut, du bist genau da, wo du sein sollst…“ Ich verstehe, was damit gemeint sein soll, aber das gibt den Schülern die Erlaubnis, sich im Alltag geistig über die Yogapraxis zu rechtfertigen. Wir sind Yogalehrer, keine Psychologen.
Ein Schüler, der sich in seinem Leben wie ein Arschloch verhält, sollte nicht die Bestätigung bekommen, er sei so, wie er ist, perfekt. Ein Schüler, der zum Beispiel unter seinem Übergewicht leidet, braucht nicht hören, dass alles rosig sei. Da kommt mein Anspruch der aufweckenden Motivation ins Spiel. Es ist wichtig, immer wieder zu überprüfen, ob wir uns eine Realität basteln, die alles erträglicher macht, oder ob wir uns der ungefilterten Wahrheit stellen können. Dieser Prozess kann auch irgendwie schmerzhaft sein. Kick Ass eben.