Einfach alles rausschwitzen – Saunafans wissen, wie befreiend sich das anfühlen kann. Auch die Yogapraxis hält reinigende Praktiken bereit, die uns helfen, in unruhigen Zeiten einen klaren Blick zu behalten und Stabilität zu finden.
Text: Rina Deshpande / Titelbild: Kichigin via Canva
Eines Tages war ich zu Fuß in Brooklyn unterwegs und meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich kam nicht vorwärts, fühlte mich erstickt von gescheiterten Lösungsversuchen für meine üblichen Lebensprobleme. Mein Atem war angespannt, die Miene finster. Da fiel mein Blick auf die Plakatwand einer örtlichen Kirche und ein darauf angeschlagenes Zitat von Isak Dinesen (ein Pseudonym der “Jenseits von Afrika”-Autorin Karen Blixen). Ich habe es seither nie vergessen: “Schweiß, Tränen oder das Meer: Salzwasser ist das Heilmittel für alles.“
Was alle drei gemeinsam haben, ist ihre reinigende Wirkung, denn in seinen verschiedenen Formen kann Salzwasser helfen, Körper, Geist, Emotionen und sogar unsere Umgebung zu reinigen: Wenn wir schwitzen, erzeugen wir ausreichend Wärme, um Wasser und Giftstoffe auszuscheiden und uns über die Haut abzukühlen. Dabei beschleunigen sich in der Regel auch Atmung und Herzfrequenz, wodurch unser Blut mit Sauerstoff belebt wird. Wenn wir weinen oder gar schluchzen, setzen wir Emotionen frei.
Die reinigende Kraft der Hitze
Ganz gleich, ob diese Emotionen freudig oder schmerzhaft sind, ist der Zustand erst einmal erhitzt, aber danach fühlen wir uns oft klarer, leichter und bereit, zur Ruhe zu kommen. Auch wenn wir den Körper an heißen Tagen im Meer erfrischen oder warmes Salzwasser gurgeln, um einen entzündeten (also erhitzten) Rachen zu heilen, entfernen wir Unreinheiten und verspüren womöglich sogar sofortige Erleichterung.
Ich glaube, es hat gute Gründe, warum auch die alten Yogaschriften gezielte Hitzeentwicklung als eine Form der spirituellen Reinigung empfehlen. Zu Beginn des zweiten Kapitels erinnert uns Patanjali im Yoga Sutra daran, dass wir ganz einfach indem wir leben, mit anderen interagieren, denken und handeln eine Reihe von Unreinheiten ansammeln. Um diese loszuwerden, rät er zu reinigender Hitze:
Tapah-svadhyaya-ishvarapranidanani kriya-yogah
तपःस्वाध्यायेश्वरप्रणिधानानि
क्रियायोगः॥१॥
Yoga Sutra des Patanjali, Sadhana Pada 2.1
Ich würde das so übersetzen: “Das Üben herausfordernder Praktiken wie Reinigungsübungen und Selbststudium erzeugt eine innere Hitze, die Unreinheiten beseitigt. Die Früchte unserer Praxis werden dem Göttlichen geschenkt.“
Hitze in Zeiten des Wandels
Neben der Reinigung hat die Hitze der Yogaphilosophie zufolge aber noch eine zweite Funktion: Sie macht uns widerstandsfähiger und kann uns so dabei unterstützen, mit dem Auf und Ab im Leben besser umzugehen. Der Sanskrit-Begriff für diese Hitze ist Tapas. Tapas hilft, den Geist von innen heraus zu klären und zu stärken und auch gegen verschiedenste Widerstände auf Kurs zu bleiben.
Zu den Techniken, die im Hatha Yoga vor allem mit Reinigung in Verbindung gebracht werden, gehören die Praktiken des Kriya Yoga. Doch der Begriff Kriya (Handlung) wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet. Die Bhagavad Gita zum Beispiel definiert Kriya Yoga als eine Methode zur Aufrechterhaltung der Klarheit auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Bei vielen Kriya-Praktiken handelte es sich historisch um sehr intensive, asketische Techniken, doch es gibt auch verschiedene Atemübungen, Meditationen und Asanas, die für die heutige Zeit angepasst wurden. Sie können dich dabei unterstützen, innere Wärme, Stabilität und Kraft in Zeiten des Wandels zu finden. Einige Beispiele findest du hier.

Über die Hitze zur Resilienz
Verschiedene Techniken und Lehren können dich dabei unterstützen, innere Hitze aufzubauen und deine Widerstandskraft zu stärken.
• Kriya Pranayama: Yogische Atemübungen dienen generell dazu, die Aufnahme von Prana (Lebenskraft) zu regulieren. Einige wirken kühlend, andere ausgleichend und wieder andere erzeugen Tapas (Hitze, Feuer). Als besonders erwärmend und reinigend gilt Kapalabhati Pranayama, manchmal auch als “Feueratem” bezeichnet. Atme dazu ein paar Züge lang ganz natürlich. Atme dann nur halb ein und beginne, den Nabel ruckartig und rhythmisch nach innen zu ziehen, sodass du kurz und schnaubend ausatmest. Die Einatmung geschieht nur passiv, indem du die Bauchdecke nach der Anspannung loslässt. Wiederhole diese ruckartige Bewegung 10 bis 28 Mal. Dann atme eine Weile entspannt, bevor du ein bis zwei weitere Runden Kapalabhati übst.
Wenn dir diese Praxis zu intensiv ist, empfehle ich als Alternative eine Variante des Krama-Atems, bei der man die Ausatmung unterteilt und dadurch verlängert. Atme auch hier zunächst ein paar Mal entspannt und natürlich. Atme dann vollständig durch die Nase ein und halte den Atem kurz an. Nun atme etwa ein Drittel der Atemmenge aus, verschließe die Kehle einen Moment, lasse dann das nächste Drittel entweichen, pausiere wieder und atme schließlich ganz aus. Wiederhole das etwa eine Minute lang. Auch hier atmest du danach eine Weile entspannt und gehst dann in eine bis vier weitere Runden.
• Parivritta Utkatasana (gedrehter Stuhl): Fast alle länger gehaltenen Stehhaltungen eignen sich dazu, Hitze zu erzeugen. Bei dieser verstärken wir den Effekt noch durch Drehungen. Wärme den Körper mit ein paar Sonnengrüßen auf. Verankere dich dann mit den Füßen fest am Boden, beuge die Knie und bewege dein Becken in eine tiefe Stehhocke nach hinten. Dabei legst du deine Handflächen vor dem Herzzentrum aneinander. Atme ein und drehe dich dann mit der Ausatmung nach rechts. Nach 2–6 Atemzügen drehst du dich einatmend wieder zur Mitte zurück. Beim nächsten Ausatmen drehst du nach links. Beobachte die Hitze, die sich in Oberschenkeln, Gesäß und im Nabel-Chakra bildet. Entspanne dich anschließend in einer lockeren Vorwärtsbeuge und spüre nach, bevor du beide Seiten noch mal wiederholst.
• Ein Tag nach dem anderen: Gerade bei einer tief greifenden Lebensveränderung wie zum Beispiel dem Verlust eines geliebten Menschen merkst du möglicherweise, dass du den Schmerz an einem Tag besser akzeptieren kannst, am nächsten jedoch wieder in tiefe Trauer verfällst. Wir sind geneigt, dieses extreme Auf und Ab überspringen zu wollen, doch so ein Widerstand führt letztlich nur zu einer stärkeren Anhäufung von Dukkha, Leid. Versuche stattdessen, jeden Tag oder jede Stunde so anzunehmen, wie sie ist. Nimm den Wechsel an, wie du auch den Wechsel von Kälte und Wärme zu Beginn des Frühlings annimmst oder Kontrast von Saunagang und Eisbad. So kannst du Widerstandsfähigkeit aufbauen.

Rina Deshpande lehrt, forscht und schreibt seit über 15 Jahren über Yoga und Achtsamkeit. Ihre Artikel erschienen bei uns, Huffington Post, Self Magazine und vielen anderen. Mehr Infos auf rinathepoet.com oder Instagram @rinathepoet
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