Ein persönlicher Impuls von Nora Kersten
Dieser Kommentar in den sozialen Medien hat mich tief berührt:
“Dein Profil wirkt aber schon so, als ob du Anerkennung immer noch sehr im Außen suchst.”
Die Worte haben etwas in mir aufgerüttelt, denn sie treffen einen wunden Punkt, der mich seit meiner Kindheit begleitet.
Ich erinnere mich, wie mir in meiner Familie oft gesagt wurde:
“Është marrë” — das bedeutet so viel wie: “Das ist nicht richtig”, “Das gehört sich nicht”, “Das ist unanständig”, “Das bringt Scham”. Ich durfte nicht zu viel von mir zeigen — weder meinen Körper, noch meine Stimme, noch meine Emotionen. “Führ dich nicht so auf, das ist unangemessen, peinlich.” Das Bedürfnis hinter diesen Worten wurde nie gesehen.
Später in der Schule, wenn ich mich gemeldet habe, weil ich mich für ein Thema interessierte, wurde ich als “Streberin” abgestempelt — jemand, der bei den Lehrern Anerkennung sucht. Im Beruf als junge Frau hieß es, ich solle nicht auffallen, weil sonst die Männer denken könnten, ich würde mit ihnen flirten oder Anerkennung suchen. Und im Ausgang mit Freundinnen wurde mir oft gesagt, ich solle mich nicht zu sexy bewegen, ich würde zu viele Blicke anziehen.
Und jetzt, mit meinen sozialen Medien, bekomme ich wieder gesagt, ich suche zu viel Anerkennung im Außen.
Ist der Wunsch nach Anerkennung nicht in Ordnung?
Diese Geschichte ist nicht nur meine persönliche — sie ist ein Spiegel von so vielen Menschen. Nicht nur von Frauen. Das Bedürfnis nach Anerkennung, nach Sichtbarkeit, ist ein uraltes menschliches Thema.
Warum ist Anerkennung oft negativ besetzt? Warum haben wir Angst, uns zu zeigen? Wir tragen ein kollektives Trauma in uns, das tief verwurzelt ist in unserer Geschichte. Generationen von Erfahrungen, in denen Sichtbarkeit auch Verletzlichkeit, Kritik oder Ausgrenzung bedeutete.
In unserer Gesellschaft, in vielen Kulturen, aber auch in unserer Erziehung, lernen wir: “Sei brav, sei zurückhaltend, nimm keinen zu großen Raum ein.” Besonders Frauen erfahren diese Botschaft häufig sehr stark — ein “braves Mädchen” ist das Ideal, das oft mit Schweigen, Anpassung und Unsichtbarkeit erkauft wird.
Auch im Yoga begegnet uns dieser Schatten. Über Jahrhunderte wurde das Ego oft als Feind gesehen. “Lass dein Ego los”, heißt es. Anerkennung wird mit Egoismus oder Gier verwechselt. Dabei brauchen wir unser Ego – Ahamkara – zum Überleben. Es hilft uns, Grenzen zu ziehen, für uns einzustehen und unser Selbst zu erkennen.
Was sagt die Yoga-Philosophie zum Thema “Ego”

Die Yoga-Philosophie lehrt uns, das Ego nicht zu verleugnen, sondern es liebevoll zu hinterfragen und zu integrieren.
Ein zentraler Gedanke aus der Bhagavad Gita lautet:
Karmanye vadhikaraste ma phaleshu kadachana –
“Du hast das Recht auf deine Handlungen, aber niemals auf deren Früchte.”
Das bedeutet: Wir sollen uns auf unser Tun konzentrieren, ohne uns an Anerkennung oder Erfolg zu binden. Diese Haltung, Vairagya genannt, bedeutet Loslassen und Gleichmut — aber nicht Verleugnung unseres Bedürfnisses gesehen und wertgeschätzt zu werden.
Aus Sicht der Trauma-Psychologie und der gewaltfreien Kommunikation verstehen wir heute besser, dass das Bedürfnis nach Anerkennung tief menschlich und existenziell ist. Es ist ein Bedürfnis nach Verbindung, nach Zugehörigkeit, nach Spiegelung unserer Existenz.
Wenn wir anderen Menschen ablehnend begegnen, oft mit Kritik oder Zurückweisung, ist das nicht nur ein Urteil über sie — es ist ein Spiegel unserer eigenen verletzten Anteile.
Die Einladung, die ich heute teile, ist eine doppelte:
Erstens, erkenne deine Sehnsucht nach Anerkennung als etwas Natürliches und Liebenswertes an. Zweitens, lade dich ein, liebevoll zu erforschen, wo in dir Angst, Scham oder alte Wunden dieses Bedürfnis überschatten.
Denn nur durch diese innere Annahme kann Heilung geschehen. Nur so kann Sichtbarkeit keine Bedrohung mehr sein, sondern ein Geschenk an uns selbst und die Welt.
Wie gehst du mit deinem Bedürfnis nach Anerkennung um? Fühlst du dich gesehen – von dir selbst und anderen? Persönlich empfinde ich es als einen Weg voller Mut und Sanftheit, immer wieder neu zu lernen, mich sichtbar zu machen – trotz der alten Stimmen, die mir etwas anderes sagen wollen. Es ist ein Weg, der Zeit braucht, der Mitgefühl mit mir selbst verlangt und gleichzeitig das Herz öffnet. Doch genau hier liegt die Freiheit: In der Verbindung mit unserem Herzen dürfen wir unser wahres Licht zeigen – und damit nicht nur uns selbst, sondern auch anderen Heilung schenken.
Ich freue mich auf deine Gedanken und den Austausch mit dir.
In Verbundenheit,
Nora
Alle Bilder: Cesar Rajan

Nora Kersten, auch als “Yoga Nora” bekannt, lebt und atmet Yoga mit jeder Faser ihres Wesens. Die gebürtige Albanerin ist zweifache Mama und lebt mit ihrer Familie in der Schweiz, wo sie aufgewachsen ist. Sie arbeitet als Yogalehrerin, gibt regelmäßig Retreats und Workshops und bildet seit 2018 auch selbst Yogalehrende aus. Erfahre mehr über Nora auf ihrer Webseite www.yoganora.ch und auf Insta @yoga_nora
Kennst du schon Noras Artikel über den weiblichen Zyklus? “Der weibliche Zyklus ist wie eine innere Reise, die uns von einer Phase der Ruhe über kreative Aufbrüche bis hin zu kraftvoller Strahlkraft und wieder zurück zu einer Phase des Loslassens führt.” Hier kannst du ihn nachlesen:


