Lu Jong – Tibets Tanz aus Form und Bewegung

Mal ganz ehrlich: Können wir uns vorstellen, dass der Dalai Lama Yoga macht? Dass tibetische Mönche sich mit Atem- und Körpertechniken beschäftigen? Denkt man an tibetischen Buddhismus, so hat man zumeist Bilder von Meditierenden im Kopf – und weniger von Bewegungen, die helfen, unsere Kanäle und Chakren zu öffnen.

Was nur wenige wissen: Yoga ist ein elementarer Teil der tibetisch-buddhistischen Praxis des Tantrayana. Viele Eremiten im Himalaya halten sich mit Körperbewegungen gesund und nutzen diese auf dem spirituellen Pfad.

Aber: In Tibet werden diese Techniken traditionell nur mündlich an ausgewählte Schüler weitergegeben. Sie sind geheim, weil sie so kraftvoll sind. Und weil durch diese direkte, von Herzen kommende Form der Überlieferung die spirituelle Stärke nicht verloren geht, sie also nicht zu Gymnastik mutieren. Deshalb sind diese Methoden bei uns kaum bekannt. Doch seit immer mehr hohe tibetische Meister in den Westen kommen und hier lehren, sind einige dieser tibetischen Yogastile auch bei uns angekommen.

Eine dieser Traditionen ist Lu Jong. Lu bedeutet Körper, Jong heißt so viel wie Umwandlung, erklärt der hohe Meister Tulku Lobsang, der das tibetische Heilyoga vor einigen Jahren zu uns in den Westen brachte. Lu Jong – das sind einfache, wirkungsvolle Übungen, die unsere Chakren und Kanäle sozusagen massieren und uns helfen, beweglicher und glücklicher zu werden. Es sind Übungen, die für jedermann geeignet sind, auch für unbewegliche Menschen.

Meditation in Bewegung
Statt feste Positionen über längere Zeit einzunehmen, geht es bei Lu Jong um die Kombination von Form und Bewegung. Diese Mischung ist typisch für tibetisches Yoga. Die Form bereitet den Körper vor, während die fließenden Bewegungen an verschiedenen Punkten Druck ausüben und wieder reduzieren. Durch siebenfache Wiederholung entfalten die Bewegungen in Kombination mit gezielter Atmung ihre Wirkung – und öffnen so durch eine innere Massage die Kanäle. Dadurch entsteht mehr Klarheit und mehr Ruhe, mehr Bewusstheit, Zufriedenheit und Vitalität, mehr Mitgefühl und Liebe. Oder anders gesagt: Lu Jong ist Meditation in Bewegung. Es schärft die Sinne, mobilisiert unsere Energien und lässt uns den Augenblick wahrnehmen.
Lu Jong steht – wie der gesamte tibetische Buddhismus – in engem Zusammenhang mit der tibetischen Medizin. Die Übungen sind entstanden aus dem tiefen Wissen der Meister um die wechselseitige Abhängigkeit von Natur, Geist und Körper, von Atem und unseren feinstofflichen Winden (sozusagen der Lebensenergie). Viele der Bewegungen orientieren sich an der Natur und den Tieren. Lu Jong balanciert einerseits die fünf Elemente Raum, Erde, Wind, Feuer und Wasser – jene Elemente, aus denen wir ebenso wie unsere Umwelt aufgebaut sind –, andererseits unsere drei Körpersäfte, die laut tibetischer Medizin lebenswichtigen Substanzen Galle, Schleim und Wind.
Zudem arbeitet Lu Jong auf sanfte Art mit allen Wirbeln unserer Wirbelsäule, „dem Energielieferanten, der Batterie des Körpers“, wie der buddhistische  Meister und Arzt der tibetischen Medizin Tulku Lobsang sagt. Ist sie stark, kann sie unseren ganzen Körper mit Energie versorgen – ist sie schwach, ist auch das Gleichgewicht unserer Körpersysteme gestört. In der Wirbelsäule zeigen sich organische wie psychische Störungen. Oder um es mit Tulku Lobsang auszudrücken: „Genau wie der Baumstamm mit den Ästen, Blättern und Früchten verbunden ist, so verbindet unsere Wirbelsäule unsere Kanäle, Nerven, Organe und Körperteile.“

Die Essenz jeder Bewegung
Schon in frühester Jugend interessierte sich Tulku Lobsang, als achte Reinkarnation des Nyentse Lama anerkannt, für die uralten Bewegungsübungen seiner Heimat und erhielt Belehrungen von Meistern aller Traditionen des tibetischen Buddhismus. Als er uns Westler kennen lernte, merkte er, wie sehr Lu Jong uns helfen kann. Wir haben den Kontakt zur Natur verloren, unsere Art zu denken ebenso wie unser Tagesablauf sind unnatürlich – und so haben wir das Gefühl für unseren eigenen Körper verloren. Wir sitzen zu lange in falschen Positionen, bewegen uns immer weniger und nehmen durch unsere Nahrungsmittel automatisch viele Chemikalien auf. Dadurch werden wir nicht nur physisch krank, sondern oft auch geistig: Wirbelsäulenprobleme, Magen-, Leber- oder Herzerkrankungen sind ebenso wie Depressionen oder Burn-out nur einige der klassischen Symptome dafür.
Als Tulku Lobsang sah, wie sehr wir uns von uns selbst entfernt haben, beschloss er, sein reiches Wissen zu nutzen und eine Auswahl von Übungen speziell für unsere Lebenssituation zusammenzustellen. Er nutzt dabei die Essenz jeder Bewegung – damit auch Menschen mit nicht allzu flexiblen Körpern davon profitieren.
Herausgekommen sind 21 Übungen (plus zwei für Schlafstörungen), die sich wiederum in vier Gruppen gliedern. Allen ist eines gemein: Sie schaffen Bewusstsein für unseren Körper und Geist und helfen uns, wieder wahrzunehmen, was wir wirklich benötigen. Damit wir wieder gesünder und vor allem auch glücklicher werden.
Die erste Gruppe, sozusagen die Basis des Lu Jong, sind die Übungen der fünf Elemente. Die zweite Gruppe widmet sich allen fünf Körperteilen, vom Kopf bis zu den Beinen, eine weitere löst speziell Blockaden unserer Vitalorgane, die vierte widmet sich klassischen Problemen wie Verdauungsstörungen, Depressionen oder Erschöpfung.
Doch so sehr Lu Jong auf den Körper und unsere Probleme wirkt; es ist natürlich weit mehr als ein simples Mittel, um seinem Körper etwas Gutes zu tun. Das ist der erste Schritt. Die zweite ist, ganz klar, eine spirituelle Veränderung. Eine Veränderung, die immer tiefer geht; jeden Tag ein Stückchen mehr. Der Körper beeinflusst eben auch in Tibet den Geist, und der Geist den Körper.
Gerade die Mischung aus Form und Bewegung gibt beim Lu Jong das Gefühl eines Tanzes, eines Tanzes mit sich selbst. Eines Tanzes, während dem man unwichtige Gedanken und störende Emotionen ganz schnell loslassen kann und mit sich selbst immer mehr ins Reine kommt.
In der tibetischen Medizin ebenso wie im tibetischen Buddhismus wird die Form mit dem Männlichen assoziiert, die Bewegung steht für das Weibliche. Und so arbeiten bei Lu Jong beide Prinzipien gleichwertig zusammen und schaffen ein Gleichgewicht auch in unserem Körper: Methode und Weisheit, die männlichen und die weiblichen Energien.
Und das Schönste: Egal ob alt oder jung, egal ob beweglich oder unbeweglich – Lu Jong wirkt. Es macht ruhiger und glücklicher. Es hilft, nicht mehr alles so ernst zu nehmen. Oder anders gesagt: Es öffnet Blockaden und die Kanäle, lässt die Winde, die Lebensenergie, freier fließen und bringt die fünf Elemente ins Gleichgewicht. Seit Tausenden von Jahren.

 

Judith Becker (www.lu-jong-muenchen.de) ist von Tulku Lobsang persönlich zertifizierte Lehrerin und Ausbilderin für Lu Jong in München. Alle  Lehrer und Ausbilder für Lu Jong finden Sie unter www.lujong.org

 


 

 


Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Das Neueste

Den Körper lieben lernen – 3 Übungen für mehr Körperwahrnehmung

Dein Körper ist ein Partner fürs Leben – ihr werdet für den Rest eures irdischen Daseins miteinander auskommen müssen....

Astrologie: So wirkt der November-Vollmond im Stier

Wann ist Vollmond? Am 15. November um ca. 22:28 Uhr steht der Vollmond im Erdzeichen Stier. Jetzt treffen zwei...

Dies.Das.Asanas mit Jelena Lieberberg – Der Päckchen-Handstand

Ein freier Handstand, der dir sogar Zeit lässt, deine Beine anzuwinkeln – von so viel Körperbeherrschung träumen die meisten...

YogaWorld Podcast: #129 Fortgeschrittene Pranayama-Praxis mit Susanne Mors

Willkommen beim "YogaWorld Podcast"! Die Idee dahinter: Zugang zu echtem Yogawissen, ohne stundenlangem Bücherwälzen. Hier erfährst du einfach alles...

#129 Energieerweckung in Balance: Fortgeschrittenes Pranayama für neue Tiefen deiner Yoga-Praxis – mit Susanne Mors

Erlebe die transformative Wirkung von Kapalabhati, Wechselatmung und Bhastrika in einer intensiven Pranayama-Praxis Entdecke die Kraft der fortgeschrittenen Pranayama-Praxis mit...

Frauen werden anders krank – Männer auch

Aus dem Yoga wissen wir: Asanas, bei denen es um Beweglichkeit geht, fallen Männern meist schwerer als Frauen, während...

Pflichtlektüre

Das könnte dir auch gefallen
Unsere Tipps