Erinnerst du dich an unseren Filmtipp zu “Was will der Lama mit dem Gewehr?”, der aktuell in den Kinos läuft? Nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist mittlerweile eine Videokonferenz zu Regisseur Pawo Choyning Dorji nach Bhutan geglückt! Ein Gespräch über Dankbarkeit, Glück und Verbundenheit …
“Dankbarkeit” ist auch das Titelthema unseres neuen YOGAWORLD JOURNALS 05/2024. Ab 27. August 2024 hier und am Kiosk erhältlich!
Interview: Carmen Schnitzer / Foto: fotofritz16 / Getty Images via Canva
Unsere neue Ausgabe des YOGAWORLD JOURNAL wird sich um das Thema Dankbarkeit drehen. Was verbindest du damit?
Weißt du, wann immer ich im Ausland jemandem verrate, dass ich aus Bhutan komme,
bekomme ich zur Antwort: “Oh, dann bist du sicher sehr glücklich.” (lacht) Und es stimmt schon – ich bin tatsächlich sehr dankbar dafür, aus so einem einzigartigen Land zu stammen, in dem das Streben nach Glück über dem Streben nach Wohlstand und ökonomischer Entwicklung steht. In dem wir sogar ein eigenes Glücksministerium haben, das das Glück der Bevölkerung sicherzustellen versucht. Diese Dankbarkeit merkst du meinen Filmen auch an – ich feiere darin unsere Kultur, unsere Spiritualität … Im Buddhismus gibt es ja den Begriff der Interdependenz. Der ist sozusagen das Herzstück unseres Glaubens.
Die wechselseitige Abhängigkeit oder, vielleicht schöner ausgedrückt, das
Verbundensein von allem mit allem …
Genau. Wir glauben sehr stark daran, dass wahres Glück nicht von außen kommt, von einem Ferrari, einer Hermès-Tasche oder einem dicken Bankkonto, sondern eben von dieser tiefen Verbindung mit der Natur und dem Kosmos. Darum gibt es bei uns auch interessante Gesetze – zum Beispiel, dass man keine Bäume fällen darf, obwohl uns das womöglich reicher machen würde. Auch Bergsteigen ist verboten. Umweltschutz ist ein ganz erklärtes Staatsziel und wir sind weltweit das einzige Land mit einer negativen CO2-Bilanz. Auch, weil wir dankbar sind für unseren Wald, unsere Berge. Sie sind ein Teil unseres Seins.
Das klingt alles so wunderbar nachvollziehbar. Warum glaubst du, dass sich andere Länder, andere Kulturen damit so schwer tun? Schockiert dich das nicht manchmal?
Das ist sehr schwer zu beantworten – wir gucken dabei ja auf ein paar Tausend Jahre Karma. An Ursache und Wirkung glauben wir in Bhutan sehr stark. Daran, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert. Dass andere Länder nach anderen Dingen streben, liegt meiner Meinung nach in deren Karma begründet. Aber ich möchte übrigens nicht den Eindruck erwecken, anti-westlich zu sein oder unsere Herangehensweise als die einzig wahrhaftige anzusehen. Das tue ich keinesfalls!
Wir glauben sehr stark daran, dass wahres Glück nicht von außen kommt.
Du nimmst deine Kultur in deinen Filmen ja durchaus auch auf die Schippe …
Eben. Du hast natürlich recht, dass Umweltverschmutzung bei euch zum Beispiel ein großes Problem ist. Aber Leiden kann sich auf unterschiedliche Weise manifestieren – und Bhutan leidet eben an anderen Dingen. Weil wir uns dafür entschieden haben, keine Bäume zu fällen, unsere Berge nicht für Tourist*innen zu öffnen etc., sind wir ein sehr armes Land. Ein sehr armes Land in einer modernen Welt, in der sonst alle zum Rhythmus der Materialismus- und Industrialisierungs-Trommeln marschieren. Das hat natürlich schmerzhafte Folgen: Unsere Infrastruktur ist schlecht, auch unsere Kliniken und Schulen sind sicher nicht die besten, unsere Arbeitslosenquote ist hoch.
Fernsehen und Internet gibt es in Bhutan erst seit 1999 – inwiefern haben sich durch die neuen Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Ländern die Haltungen zum Leben und zum Glück gewandelt?
Das hat natürlich viel geändert und eine große Neugier auf die Welt außerhalb unseres Landes geweckt. Viele Menschen haben Bhutan verlassen … Damit einher geht auch ein gewisser Verlust der Unschuld, die doch eine solch wunderbare Qualität hat. Diese Arg- und Ahnungslosigkeit, dieses Pure, das es eben auch wahrscheinlich macht, das jemand eine gewaltige Menge Geld ablehnt, weil ihm die Annahme nicht richtig erscheint, wie es in meinem Film passiert. Ich wünsche mir, dass wir diese Kultur der Unschuld schützen und zelebrieren. Es gibt da im Westen ein großes Missverständnis …
In Bezug auf die Unschuld
Ja. Die Unbedarftheit wird gerne mit Ignoranz verwechselt. Darum geht es aber nicht, sondern eher um Authentizität. In Bhutan gibt es ein Sprichwort: “Du wirst nie deine eigenen Wimpern sehen.” Weil sie dir viel zu nah sind. In dieser Hinsicht bin ich ein eher ungewöhnlicher Bhutanese: Ich konnte meine Wimpern sehen, weil ich viel in anderen Ländern gelebt habe, in Indien zum Beispiel, der Schweiz oder den USA … Und da ist mir aufgefallen, dass es in ärmeren Ländern, insbesondere in Asien oft eine Verwechslung gibt …
Nämlich?
Dass Modernisierung mit Westernisierung gleichgesetzt wird. Dass wir alle westlichen Werte 1:1 adaptieren müssen, um modern zu sein. Dem ist aber nicht so.
Ich vergleiche das Leben gerne mit einem Regenbogen – du brauchst eine Menge Bedingungen, damit er sichtbar wird
Ein großer westlicher Wert scheint mir Freiheit zu sein. Aus meiner deutschen
Perspektive fällt mir die Vorstellung tatsächlich schwer, wie man für die Einführung der Demokratie, der freien Wahlen nicht dankbar sein könnte. Dein aktueller Film hat mir geholfen, es zu verstehen. Was verbindest du mit dem Begriff Freiheit?
Interessante Frage, denn ich denke tatsächlich, dass der Freiheitsbegriff bei uns ein sehr anderer ist. Ich komme da gerne noch mal auf die Interdependenz zurück, von der ich anfangs schon gesprochen habe. Ein Konzept, das längst nicht so religiös ist, wie es vielleicht zunächst klingt! Im Grunde ist es sogar sehr irdisch. Es gibt da eine buddhistische Weisheit: Wenn du ein Stück Papier betrachtest, kannst du darin auch eine Wolke sehen, die darüber hinwegschwebt. Ohne diese Wolke gibt es keinen Regen, ohne den Regen keinen Wald, ohne den Wald keine Bäume und ohne die Bäume kein Papier …
Der Kreis schließt sich.
Und so ist es mit allem im Leben. Auch, dass wir beide jetzt miteinander sprechen, hat damit zu tun. Es gab eine Menge Bedingungen, Kausalitäten usw., die das ermöglicht haben. Wenn du wirklich fest daran glaubst, dass alles mit allem zusammenhängt, dann können wunderbare Dinge entstehen. Dann bringst du allem eine Wertschätzung entgegen: Frieden, Liebe, Mitgefühl. Dann siehst du in einem Stück Papier mehr als eine kleine weiße Fläche. Ich vergleiche das Leben gerne mit einem Regenbogen – du brauchst eine Menge Bedingungen, damit er sichtbar wird: das Licht, den Regen, einen bestimmten Winkel in dem das eine auf das andere trifft … Plötzlich erscheinen diese so echten, so lebendigen Farben – und im nächsten Moment sind sie verschwunden. Aber gerade wegen seiner Flüchtigkeit schätzen wir sie so. Das Leben ist wie ein Regenbogen. Alles ist wie ein Regenbogen.
Ein wirklich schönes Bild! Ich sehe schon, wir können viel von Bhutan lernen. Da wage ich kaum zu fragen: Denkst du, das funktioniert auch umgekehrt?
Aber ja! Ich bin ja letztlich selbst ein Produkt des Westens. (lacht) Es geht mir wirklich nicht darum, Kulturen gegeneinander auszuspielen. Viele gute Dinge, die es auf der Welt gibt, kommen aus dem Westen, das muss man nicht leugnen. Zum Beispiel, was die Verantwortung für das eigene Leben angeht, den Wunsch, etwas aus sich zu machen. Dafür sind wir in Bhutan manchmal ein bisschen zu entspannt. Um nicht zu sagen faul. (lacht)
Carmen Schnitzer arbeitet als Journalistin und schreibt seit Jahren für das YOGAWORLD JOURNAL. Erfahre mehr über die Autorin und besuche ihre Facebook-Seite.
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