Gabriela Bozic: “Frauen haben eine bessere Intuition”

“Yoga ist vielleicht nicht mehr männlich genug.” Die Jivamukti-Lehrerin Gabriela Bozic lebt und unterrichtet nach einer Lehrstelle in London wieder in München. YOGA JOURNAL-Autorin Diana Krebs traf sie 2010 zu einem Gespräch über die heilsamen Aspekte des Übens und darüber, ob Yoga (zu) weiblich geworden ist.

YOGA JOURNAL: Gibt es weibliche und männliche Aspekte im Yoga?
GABRIELA BOZIC: Das Schöne am Yoga ist, dass die vermeintlichen Gegensätze zusammenkommen. Denn in jeder Frau steckt auch ein Mann, und umgekehrt. Diese so genannten Yin- und Yang-Qualitäten zu vereinen und dadurch ein Spielfeld zu erhalten, auf dem man sich der Situation angemessen männlich oder weiblich verhalten kann – das streben wir im Yoga an. Einige wählen bewusst die männlichen Qualitäten wie Durchsetzungsvermögen oder Aktivität. Die anderen entdecken für sich Hingabe, Gefühl, Geduld oder Toleranz – als eher weibliche Qualitäten. Es geht darum, alles zu leben. Werde dir bewusst, dass du diese gesamte Palette an Möglichkeiten hast und in deine Persönlichkeit integrieren kannst.

Yoga wurde lange Zeit von männlichen Gurus dominiert. In den letzten Jahren hat sich dieses Bild extrem gewandelt. Wie ­verändern die zahlreichen weiblichen Gurus die ­Yogaszene?
Hatha Yoga war anfangs eine Lehre von Männern für Männer. Als Krishnamaracharya anfing, diese alte Regel zu durchbrechen und Frauen zu unterrichten, war das ein bahnbrechendes Ereignis.

Inwiefern?
Was ich jetzt sage, hört sich vielleicht nach einem Klischee an, aber Frauen haben eine bessere Intuition. Sie wissen einfach, was ihnen gut tut: innere Ruhe, Stärke – all diese Dinge, die Yoga tatsächlich vermitteln und bewegen kann in der Welt. Und so fühlen sich die Frauen eher zum Yoga hingezogen als Männer, die es über die Zeit möglicherweise als „weiblich-romantisch“ abgelegt haben. Männern ist Yoga vielleicht nicht mehr männlich genug.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Ich finde es gut, dass es so viele weibliche Yoga-Praktizierende gibt. Schließlich bringen sie die Kinder auf die Welt, die uns ins neue Zeitalter führen. Die Praxis hat beispielsweise direkten Einfluss auf ihr noch ungeborenes Baby und wirkt weiter nach der Geburt. Frauen haben einen unglaublichen Einfluss auf ihre Familie; sie geben die yogischen Qualitäten weiter. Durch dieses natürliche Einfließen wird Yoga vielleicht auch für die männlichen Familienmitglieder alltäglich und selbstverständlich.

Das heißt, Frauen bringen ihre persönlichen Erfahrungswerte in ihre Yogapraxis ein?
Genau. Dabei handelt es sich um Erfahrungen, die zuvor vielleicht gar nicht unterrichtet worden sind, wie etwa beim Prenatal- und Postnatal-Yoga. Yoga in der Schwangerschaft ist ein Geschenk an die Menschheit. Viele meiner Freundinnen haben während ihrer Schwangerschaft Yoga praktiziert. Gurmukh ist eine Pionierin auf diesem Gebiet. Von ihr habe ich gelernt, welche Auswirkungen Yoga in der Schwangerschaft auf das Ungeborene hat und auf den Hormonhaushalt der Frau nach der Geburt. Dabei ist die Schwangerschaft an sich bereits eine Yoga­erfahrung – eine Erfahrung der Einheit.

Du sprichst von Frauen als Mütter…
Auch ein Leben ohne Kinder kann ein sehr erfülltes sein. Ich finde, dieser Erfahrungswert – sich bewusst gegen das Kinderkriegen zu entscheiden – muss speziell im Yoga Platz haben. Wir Yogis sollten aufräumen mit diesen alten Klischees und Konditionierungen, eine Frau müsse ein Kind haben. Wer sagt das? Kann man nicht auch Erfüllung in etwas anderem finden, als sich selbst in seinem Kind zu sehen? Auch ohne Kinder sind Frauen ausgestattet mit den körperlichen Eigenschaften einer Mutter. Leider glauben sie oftmals, nur durch eine Schwangerschaft und die Geburt ihre Weiblichkeit spüren zu können.

Im Hatha Yoga habe ich oft den Eindruck, es gehe nur um die perfekte Körperlichkeit. Wie schützt man sich als Frau in einer Yogaklasse vor dem Diktat einer rigiden Körperlichkeit?
Diese Einstellung bringen einige Schüler in die Yogaklasse mit. Sie sehen Yoga als Wettbewerb und nicht als ein Teilnehmen am Wunder des Lebens durch Bewegung und den Atem. Die Frau ist ein ­Mondwesen inklusive Mondzyklus. Das zu verneinen würde bedeuten, eigenes Leben zu verneinen. Beispielsweise fassen viele Frauen den Ratschlag eines männlichen Yogalehrers, während der Periode kein Yoga zu praktizieren, häufig als sexistisch auf. Die Menstruation zu verleugnen ist jedoch das Gegenteil von dem, um was es im Yoga eigentlich geht: Selbsterkenntnis.

Einfacher gesagt als getan…
Jede Yogini sollte sich fragen: Folge ich nur einem Trend oder bin ich auf der Suche nach Selbsterkenntnis, Wahrheit und einem erweiterten Bewusstsein? Was erwarte ich vom Yogaweg? Ist es körperliche Ertüchtigung, möchte ich nur Gewicht verlieren? Oder soll es mich näher an das Wesen meiner Seele bringen? Oder mir helfen, mich besser kennen zu lernen, meine hellen und dunklen Seiten zu erkennen und diese zu umarmen? Ich ­empfehle Frauen, den Unterricht von Yogalehrerinnen zu besuchen – natürlich nicht ausschließlich. Denn mit einer Yogalehrerin über Themen wie ­Menstruation zu sprechen, hilft Frauen eher weiter, oder nicht?

Hast du denn die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen mit spezifisch weiblichen Fragen eher an Männer wenden?
Sehr häufig, das ist oftmals kulturell ­bedingt. Die Männer waren als Lehrer immer in der Mehrzahl, an Schulen, Universitäten, im Kloster und im spirituellen Bereich. In der Yogawelt sind die Toplehrer häufig immer noch Männer. Das ändert sich allmählich, gerade wenn man in die USA blickt und an Lehrerinnen wie Shiva Rea, Seane Corn oder Gurmukh denkt. Aber durch diese Konditionierung – der Mann ist Wissender und Lehrer – gehen viele Frauen oft zu einem männlichen Ratgeber. An dieser Stelle bringt Yoga Licht in das unbewusste Verhalten. Erst wenn die alten Überzeugungen erkannt werden, kannst du dich bewusst entscheiden, sie fortzusetzen oder aufzugeben, weil sie nicht mehr nützlich sind.

Wie gestaltest du eine Open Class, wenn ­diese beispielsweise zu 80 Prozent aus Frauen ­besteht?
Ich unterrichte manchmal sogar reine Frauenstunden. In dem Fall kann ich mich in meinem Unterricht auf jene Qualitäten konzentrieren, die oft schon abhanden gekommen sind: das Feminine, die Hingabe und das Rezeptive. Dabei möchte ich vermitteln, dass es ohne Hingabe im Yoga zu einem Stillstand kommt, der auch die Männer betrifft. In einer typischen Open Class versuche ich stets, männliche und weibliche Qualitäten zusammenzubringen. Ich integriere sowohl Asanas, die sich mehr auf das Loslassen und Atmen konzentrieren, als auch ­Haltungen, die auf Kraft, Energie und Ausdauer basieren.

Du wünschst dir mehr Solidarität unter Frauen. Ist das ein Element, das du in der Y­ogawelt vermisst?
Ja! Ich habe häufig das Gefühl, dass sich Frauen innerhalb der Yogaszene in einem Konkurrenzkampf befinden, wobei Konkurrenzdenken total überflüssig ist – finde ich. Schließlich vergleicht sich eine Blume nicht mit einer anderen Blume. Jede von uns hat ein bestimmtes Talent, das uns ausmacht. Das ist gut so, denn diese Unterschiede machen die Welt so vielfältig. Und dennoch haben wir alle einen Herzschlag und einen Atem, den wir teilen. Wir alle sind Ausdruck dieser gemeinsamen Existenz.

Wie schaffen wir es, Konkurrenzdenken ­abzulegen?
Beginne zunächst einmal mit Respekt dir selbst gegenüber. Wenn du dich annehmen und akzeptieren kannst mit allen Schatten- und Lichtseiten, dann schaffst du es auch, deine vermeintliche Konkurrentin zu akzeptieren und sie als Schwes­ter zu sehen. Yoga kann dabei helfen, den Respekt dir selbst gegenüber aufzubauen und wahres Selbstvertrauen zu entwickeln. Es sind unsere Schattenseiten, die darauf warten, akzeptiert zu werden. ­Diese Frau ist in dein Leben getreten, damit du dich selbst in ihr erkennst und aufhörst, zu bewerten. Beginne stattdessen, Yoga zu leben!

Bilderquelle: Gabriela Bozic

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