Wie ist das Universum beschaffen? Woher kommt Energie? Was ist Wirklichkeit? Und was bedeutet all das für unser Leben? Deepak Chopra zeigt auf, wie Yoga helfen kann, weit über die Ebene von körperlicher Energie und Wohlbefinden hinauszugehen und unsere Rolle als Mitgestalter der Schöpfung zu verstehen.
Wie jedes indische Kind wusste ich von klein auf um Yoga und habe später im Rahmen meiner Meditationspraxis eine Reihe von Asanas geübt. Doch die Erkenntnis, dass die körperorientierte Yogapraxis ein Portal zu einem erweiterten Bewusstsein sein kann, kam mir erst vor Kurzem. Von einem hauptsächlichen Meditierenden wurde ich zu einem leidenschaftlichen Schüler des Hatha-Yoga (also der Kombination von Asana und Atem). Mir wurde mit einem Mal klar, dass Körper, Geist und Kosmos eins sind und dass sie es verdienen, auch so behandelt zu werden, statt sie als getrennte Einheiten wahrzunehmen. Ich erkannte, dass die Asana-Praxis mir einen Zugang zur universellen Lebenskraft bot, die uns alle verbindet.
Wir Menschen tendieren dazu, Körper und Geist oder auch Geist und Kosmos als getrennt voneinander anzusehen, aber wir fragen uns nur selten, warum das so ist. Ich glaube, dass diese Trennungen Symptome für ein übergeordnetes Gefühl des Getrenntseins sind. Dieses Getrenntsein hat einen verheerenden Schleier um unser kosmisches Selbst gelegt. Alles, was einem hilft, sein verlorenes kosmisches Selbst wiederzuentdecken, ist daher von höchster Wichtigkeit – und Yoga steht dabei an erster Stelle. Es gibt nämlich eine verborgene, äußerst heilsame Dimension der Wirklichkeit, die den Menschen tiefen Frieden, Freude und heitere Gelassenheit erfahren lässt, wenn man denn den Zugang findet.
Um die Kraft des Yoga zu verstehen, uns wieder mit unserem kosmischen Selbst zu verbinden, möchte ich eine simple, fast triviale Frage stellen: Woraus besteht ein Laib Brot? Quantenphysiker sind sich bei der Beantwortung dieser Frage weitgehend einig: aus Nichts. Denn alle Materie und jegliche Energie entspringen (genau wie Raum und Zeit) dem Nichts, dem sogenannten Quantenvakuum. Man weiß erstaunlich viel über dieses Nichts. Vor allem weiß man, dass es das Potenzial hat, alles zu erschaffen – angefangen bei etwas so Kleinem wie einer Herzzelle bis hin zu etwas unendlich Großem wie einem Universum. Aus diesem Grund wird das Nichts auch treffend als „Schoß der Schöpfung“ oder als „Feld der unendlichen Möglichkeiten“ bezeichnet.
„Alles, was wir für wahr halten, ist nur ein Abbild dessen, was wir wissen.“
Das Wort „Möglichkeiten“ interessiert mich besonders, denn es schafft gleiche Bedingungen und Spielregeln für alles. So kann die Möglichkeit einer neuen Genmutation, einer neu entstehenden Supernova oder eines neu geschaffenen Musikstücks auf denselben Ursprung zurückgeführt werden. In allen Fällen steht Ursprung für reine Möglichkeit, wobei das Wörtchen „rein“ auf keinerlei Materie, Energie oder physische Spur hindeutet. In der Welt der Physik heißt es manchmal, dass Schöpfung geschieht, wenn aus Nichts etwas entsteht – der ultimative Akt von Zauberei. Das stellt uns scheinbar vor ein Paradox: Ein Laib Brot lässt sich auf Nichts reduzieren, während eben jenes Nichts ein unendliches Potenzial birgt. Warum sollte das Nichts etwas hervorbringen? Wo liegt seine Motivation, das zu tun? In der Physik gibt es darauf keine rechte Antwort, allein schon deshalb, weil Motivation das Vorhandensein von Geist impliziert, einer Instanz, die Bedeutung, Sinn, Wissen und Erfüllung anstrebt. All diese Merkmale gelten unter den meisten Physikern als nicht akzeptabel.
In der Bewusstseinsforschung sind diese Merkmale hingegen nicht nur akzeptabel, sondern unbedingt notwendig. Wenn aus dem Nichts Bewusstsein entsteht – ob in Form des menschlichen Geistes oder als Bewusstsein anderer Wesen – , entsteht eine bedeutsame Erfahrung. Bei aller Unterschiedlichkeit bleibt allen Gedanken gemein, dass wir die Welt erfahren und darum wissen, dass wir eine Erfahrung machen. Ohne die Sache kompliziert machen zu wollen, gehen wir mal davon aus, dass „Wissen“ immer mit „Bewusstsein“ einhergeht.
Doch diese simple Aussage hat es in sich. Wenn Bewusstsein – und mit ihm Wissen – wie alles andere aus einem Feld unendlicher Möglichkeiten hervorgeht, dann ist Wissen ebenso unendlich. Diese Vorstellung ist lange nicht so abgehoben, abstrakt oder theoretisch, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Vielmehr hat sich das Wissen dieses Merkmal der Unendlichkeit zunutze gemacht, um die Wirklichkeit zu erschaffen, die wir Menschen um uns herum wahrnehmen. All die Merkmale der Wirklichkeit, auf die wir bauen – was wir sehen, hören, schmecken, riechen und ertasten – sind also selbst erschaffen. Der bedeutende australische Neurologe und Nobelpreisträger Sir John Eccles drückt es so aus: „Ich möchte, dass Sie erkennen, dass es in der natürlichen Welt weder Farben noch Geräusche gibt – nichts dieser Art: weder stoffliche Beschaffenheit, Muster, Schönheit noch Gerüche.“ Was Eccles damit sagen will, ist, dass all die Merkmale der Natur – ob der betörende Duft einer Rose, der Stich einer Biene oder der Geschmack von Honig – vom Menschen erschaffen werden. Anders ausgedrückt: Alles, was wir für wahr halten, ist nur ein Abbild dessen, was wir wissen. Streicht man Biene, Rose und Honig, wird ihre physische Wirklichkeit sich auflösen, doch die menschliche Fähigkeit zu wissen bleibt bestehen. Dieses Wissen ist der Ausgangspunkt für jede Form von Kreativität, denn neues Wissen ist unendlich.
„Alles ist eine Aktivität des Bewusstseins, es entsteht im Bewusstsein und besteht aus Bewusstsein.“
Womit wir wieder beim Yoga und dessen Verbindung zum kosmischen Selbst wären. Die Genialität von Yoga – und damit meine ich die Gesamtheit der Praxis aus Meditation, Pranayama, Philosophie und Asana – liegt in dem Ziel von Yoga, den Menschen wieder zu einem Wissenden zu machen, einem Zustand, den man zu Recht als gottgleich verstehen darf. Jeder Mensch kann auch für sich sagen, was der Gott Krishna in der Bhagavad Gita formuliert: „Ich bin das Feld und der Kenner des Feldes.“ Diese Aussage ist bereits wahr. Sie ist hier und jetzt, genau in diesem Augenblick wahr. Der einzige Unterschied zwischen einem Yogameister und anderen Menschen ist ihr Grad an Wissen. Bevor man erkennt, worum es beim Yoga wirklich geht, mag man sich nicht wie der Schöpfer seiner eigenen Wirklichkeit fühlen. Doch durch Yoga beginnt man wortwörtlich „wahrzunehmen“, dass es wahr ist. Aber wie? Die Wirklichkeit unterscheidet sich je nach Bewusstseinszustand und jede Asana bringt den Übenden behutsam in einen neuen Bewusstseinszustand – wenn auch zunächst nur kurz und fast unmerklich. Darin verbirgt sich eine weitere Erkenntnis: Bei jeder Erfahrung geht es um Bewusstsein. Die alten Weisen des Yoga hatten die Vision, dass der eigentliche Sinn menschlichen Lebens auf dieser Erde darin besteht, sich auf dieses Leben als Prozess einzulassen. Und da alle Prozesse im Bewusstsein stattfinden, führt das zu einem evolutionären Bogen – einer unendlichen Reise – in das Feld unendlicher Möglichkeiten, das unser Ursprung ist.
Wer diesen Ursprung erfährt und das auch weiß, dem wird allmählich klar, was das Mantra bedeutet: „Ich bin Das, du bist Das, all dies ist Das.“ Diese geheimnisvoll anmutenden Worte haben in Wirklichkeit eine ganz einfache Bedeutung: Alles ist eine Aktivität des Bewusstseins, es entsteht im Bewusstsein und besteht aus Bewusstsein. Diese Erkenntnis gilt als die endgültige Befreiung. Keiner weiß, ob er diese Befreiung in naher Zukunft erfahren wird, aber man kann schon jetzt in dem Wissen leben, das es Ziel und Sinn des Daseins ist. Noch wichtiger ist: Man darf die Einblicke in ein Leben in Befreiung genießen, die immer dann entstehen, wenn man Freude, Liebe, Mitgefühl, Sicherheit, eine Art Sinn und eine Verbindung zum „Licht“ erfährt, wie auch immer man es definieren mag. Yoga gründet auf dem Wissen, dass niemand schwach, verloren oder unbedeutend ist. Wir sind Kinder des Universums und aus diesem Grund breitet sich das menschliche Universum unendlich in alle Richtungen um uns herum aus.
Deepak Chopra ist ein weltweit bekannter Pionier der ganzheitlichen Medizin und Autor von mittlerweile 85 Büchern. Wie wenige andere schlägt er die Brücke zwischen moderner Wissenschaft und traditionellem spirituellen Wissen. Sein neuestes Buch „Du bist das Universum“ ist beim deutschen Verlag Irisiana für Herbst 2018 angekündigt.