Helga Baumgartner: Mit Yin Yoga gegen Burnout

Helga Baumgartner kennt sich aus mit Grenzerfahrungen in einer Berufswelt, die einem viel abverlangt und Menschen dazu bringt, ihr Gefühl für die individuellen Bedürfnisse von Körper und Geist zu verlieren.

In ihrem Beruf als Architektin war sie lange Zeit sehr gefordert. Überstunden, Leistungsdruck, Wettbewerbe: Es ging immer darum, noch besser zu sein, in noch kürzerer Zeit Ergebnisse zu liefern. Abends war sie erschöpft, das Bedürfnis nach Ruhe und Meditation, nach Revitalisierung war da. Mit Ashtanga Yoga und Vinyasa Yoga forderte sie ihren Körper nur noch mehr. Kurz vor dem Burnout begegnete sie Yin Yoga – für Helga war das „the missing piece“.  Mit Yin Yoga konnte sie endlich auch körperliche Anspannungen lösen. Mittlerweile ist Helga Baumgartner anerkannte und leidenschaftliche Yin-Yoga Lehrerin, sie unterrichtet auf Yoga-Konferenzen und hat eine eigenes Yin Yoga-Buch herausgebracht: “Yin Yoga. Achtsames Üben für innere Ruhe & Entspannung”, erschienen bei BLV.

YOGA JOURNAL sprach mit der Architektin und Yoga-Lehrerin über Yin Yoga, die Bedeutung und Wirkung.

YJ: Was genau macht die psychologische Komponente des Yin Yoga aus?

HB: Der Effekt des Yin Yoga ist mit dem der Meditation vergleichbar. Wenn wir zur Ruhe kommen, können wir uns dem widmen was wirklich da ist. Verborgene Vrttis – Vasanas, oft ist das die Spitze eines Eisbergs, der lange im Verborgenen lag. Das kann erschreckend, überraschend, erfreulich oder auch traurig sein.

YJ: Im Yin Yoga geht es immer um das Annehmen. Der unruhige Geist soll im Yoga zur Ruhe gebracht werden.Yoga citta vrtti nirodhah … so steht es ganz zu Beginn des Yoga Sutras von Patanjali. Ist das überhaupt im Gruppenunterricht möglich, kann man das anleiten?

HB: Es ist für jeden eine eigene, individuelle Reise, man kann aber wie Patanjali auch sagt, die Werkzeuge anleiten. Wie geht man mit dem vrttis (den Wirrungen des Geistes) um, identifiziere ich mich mit ihnen oder versuche ich in einer liebevollen Aufmerksamkeit zu bleiben. Patanjali sagt, wir sollen uns nicht identifizieren und erst so können wir unsere wahre Natur erkennen. So sagt es auch der Buddhismus. Erlaube, schaffe einen Raum, nur so können sich sich innere Türen und Fenster öffnen.

YJ: Birgt das nicht auch Gefahren, wenn man jetzt in einer Gruppe Yoga übt und da plötzlich etwas hoch kommt und die Schüler dann nach der Stunde damit alleingelassen werden?

HB: Da ist man als Lehrer stark in seiner Verantwortung gefragt. Ich muss mich fragen, wieviel möchte ich aus meinen Schülern herausbringen? Spiele ich eine super emotionale Musik, gehe ich nur auf die ganz tiefen Themen, öffne ich Pandoras Box ohne sie nachher wieder zu schließen? Oder mach ich das behutsam Stück für Stück, immer wieder ein kleines Stück. Man muss die Welt nicht an einem Tag erobern und auch nicht die innere Welt. Das ist eine lange, lange Reise, für die wir ja vielleicht sogar mehrere Leben Zeit haben ( lacht).

YJ: Im Yin Yoga wird immer erwähnt, wir sollten das was da ist, den Moment so annehmen, wie er ist. Und nicht mehr verlangen. Das Extrem davon währe eigentlich, dass man den Antrieb verliert, keinen Ehrgeiz mehr entwickelt. Alles anzunehmen, bedeutet das nicht auch, dass da der Drive verloren geht?

HB: Der Drive geht dann verloren, wenn Du einen Irrweg betrittst. Ich glaube, das ist leider bei vielen Menschen der Fall. Meine Hoffnung ist, dass die dann auch wieder zurück  und in eine reflektierte Praxis kommen. Manchmal brauchen wir dazu auch einen Lehrer, der uns an die Hand nimmt. Einen sehr erfahrenen Lehrer. Die Praxis ist wie eine Rasiermesserschneide. Verirrt ist man dann, wenn man nur noch denkt, alles ist gottgegeben – wobei da eher ein innerer Frust dahinter steckt. Das ist einzig und allein, das genaue Reflektieren. Was ist meine Motivation, meine Inspiration? Ich sehe die Gefahr nicht in der Yin-Praxis, eher in der Meditationspraxis. Im Yin Yoga ist es ja nicht so, dass alles losgelassen wird, es wird immer noch gehalten? Du hast also schon noch Körperspannung im Gegensatz zum restorative Yoga. Es ist eine Struktur im Muskel, die Halt gibt – auch wenn der Muskel locker ist, der Knochen hält auch, Du musst also nicht anspannen. Es kann in jeder Haltung vollständig losgelassen werden.

YJ: Es gibt eine große Verwirrung im unterrichten von Yin-Yoga…

HB: Oft wird Long-Slow-Deep als Yin Yoga missverstanden, Yin-Yoga, in der Form wie ich es unterrichte trägt keinerlei muskuläre Spannung. Sobald muskuläre Anspannung da ist, kann man mit Hilfsmitteln arbeiten. Im Yin passiert auch das Heben und Senken des Kopfes muskulär – also geht nicht alles Yin, aber der große Anteil der Stunde ist Yin. Man muss seinen eigenen Punkt erkennen.


Foto: Axel Hebenstreit

100. Ausgabe YogaWorld Journal

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