Macht die große Zahl von Leuten, die Yoga üben, die Welt zu einem besseren Ort?
Bewegen die vielen Yogis etwas zum Guten? Beim Engagement für Flüchtlinge und anderen wichtigen gesellschaftlichen Themen scheint das nicht gerade der Fall zu sein. Die Trägheit der Yogis ist am Ende auch ein Problem für die Glaubwürdigkeit von Yoga an sich…
„Ist die verhältnismäßig große Zunahme der Zahl professioneller (…) Moralphilosophen in moralischer Hinsicht etwas Positives?“ Diese provokante Frage stellte die Philosophin Annette Baier vor 30 Jahren an die Zunft. Selbstreflexion kann auch der wachsenden Yogagemeinde nicht schaden. Es geht hier wie da um die soziale Nützlichkeit von Leuten, die großartige ethische Ideen vertreten. Und es geht konkret um die Frage, wie lebensnah und hilfreich Yoga als angeblich praktische Lebensphilosophie ist.
Eine Blitzumfrage im Yogastudio hat ergeben, dass meine Schüler und ich selbst in der Unterstützung von Flüchtlingen nicht oder nur sehr mäßig aktiv sind. Das kratzt ordentlich an unserem Selbstverständnis als sozial engagierte Menschen. Wir haben vom jeweils anderen sozusagen ganz selbstverständlich angenommen, dass er oder sie sich in der aktuellen Situation engagiert: das Studio, die Lehrer, die Schüler, das Yoga Journal, irgendwer müsste doch eigentlich … Fehlanzeige. Ein bisschen seltsam ist es schon, dass die Yogis nicht auf der großen Welle der Hilfsbereitschaft mitsurfen – ganz zu schweigen davon, dass sie die Welle ausgelöst hätten oder sie weiter anwachsen ließen.
Yoga versus Aktivismus?
Offenbar ist es nicht so, dass aktive Zivilcourage, Hilfsbereitschaft, soziales Engagement und Solidarität beim Yoga frei Haus mitgeliefert werden. Vielleicht weil das aktive, gemeinsame, zielgerichtete Handeln (also auch das politische Handeln) keine Kernkompetenz im Yoga ist? Oder vielleicht, weil sich Yoga dann eben doch in einer übertriebenen Selbstwahrnehmung erschöpft? Wir haben die ständige Rede von Mitgefühl und Hilfe für andere zwar im Ohr wie ein Mantra, aber Yoga macht uns nicht automatisch zu Aktivisten, wenn es drauf ankommt. Wir haben vergangenes Jahr gesehen (zumindest wir in München), dass die yogische Trägheit und Ratlosigkeit von der „normaler“ Leute nicht zu unterscheiden ist.
Politisch und sozial engagierte Yogis
Dabei gibt es tatkräftige Vorbilder: T. Krishnamacharya (1888–1989) war ein sehr aktives Mitglied in seiner Stadtgesellschaft. Sein Sohn berichtet davon, das Krishnamacharya sich auch in lautstarke Streits am Markt eingemischt hat. Die Amerikanerin Seane Corn propagiert seit 2007 ihr Projekt „Off the Mat Into the World“, das als Non-Profit-Organisation eine Brücke zwischen Yoga und Aktivismus schlägt und es sich zum Ziel gemacht hat, durch nachhaltigen Aktivismus zu einem gesellschaftlichen Wandel zu inspirieren. Am verblüffendsten ist vielleicht der diplomatische Erfolg des indischen Yoga-Gurus und Friedensbotschafters Sri Sri Ravi Shankar, der zur Zeit zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Bürgerkriegsparteien in Kolumbien vermittelt: Die Verhandlungsgruppe der Rebellen telefoniert und übt regelmäßig mit ihm, sobald die Gespräche stocken.
Das Spirituelle am Yoga ist sein Wirken in der Welt
Der Blick aufs eigene Leben gibt Auskunft über das Gelingen von ethischen (Yoga-)Ideen. Der Prüfstein fürs Yoga-Gerede ist das Handeln und jede einzelne Entscheidung, die wir täglich treffen. Den originellsten Beitrag zur Diskussion hat die ghanaische Künstlergruppe FOKN geliefert, wie Jonathan Fischer in der Süddeutschen Zeitung berichtet. Sie fordert Afrikaner auf, massenhaft nach Europa zu gehen, um dort den Europäern zu helfen, ihre eigenen Werte nicht zu vergessen. Mitgefühl und Großzügigkeit könnten uns die Flüchtlinge beibringen: Go to Europe – Save the People. Denn wer könne besser Familiensinn, gemeinsames Essen oder offene Straßengespräche lehren als Afrikaner?
Teach to Talk. Show to Share. Help to Love.
Michi Kern lebt und unterrichtet als Jivamukti-Yoga-Aktivist in München. Neben Yogastudios betreibt er diverse Clubs und Restaurants – und studiert Philosophie.
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