Robert Sturman ist Yogafotograf. Seine Porträts zeigen tiefe Menschlichkeit – egal ob auf den Straßen Afrikas, im Gefängnis, in der Covid-19 Notaufnahme oder in freier Natur. Der Kalifornier zeigt uns ein paar seiner Werke und erzählt, warum verurteilte Straftäter ihn zu einem besseren Leben inspirieren.
Titelbild: Prison Yoga/ Veracruz, Mexico
Robert, ich habe eine Geschichte über dich gehört: Als du noch ein kleiner Junge warst, sagte dir ein eigentlich fremder Mann: “Der Sinn des Lebens ist das Glück”. Würdest du dich heute als glücklich bezeichnen?
Ich erlebe täglich viele Glücksmomente und die haben oft damit zu tun, dass mich das Leben an sich einfach fasziniert. Ja ich würde mich als glücklich bezeichnen, wobei ich es mir auch erlaube die traurigen Momente des Lebens zu fühlen. Und genau darin liegt denke ich der Grund meines Glücks – alles im Leben ohne Ablehnung anzunehmen. Traurigkeit und Glück gehören zum Leben dazu und nur wenn wir diese Gefühle zulassen, dann entsteht dadurch dieses besondere Glücksgefühl.
Du hast mit dem Fotografieren begonnen, nachdem dein Vater dir als Jugendlicher deine erste Kamera schenkte. Damals gab er dir einen Tipp: “Fotografiere einfach das, was du liebst.” Dieser Ratschlag hat dich bis heute begleitet oder?
Du kannst deinen gesamtes Wissen aus Büchern oder dem Internet holen. Aber du wirst dadurch nichts über Liebe, Aufrichtigkeit, Leidenschaft oder die Lust am Leben erfahren. Was mich bei meiner Arbeit antreibt, sind Momente die auf einem Gefühl von Liebe basieren. Du kannst die beste Kamera der Welt haben, aber das menschliche Herz ist mit Abstand das ausgeklügeltste Instrument. Ich folge einfach meinem Herzen, alles ist im Fluß und wird nie langweilig.
Denkst du, dass die Fotografie deine Sicht auf die Welt und die Menschen darin verändert hat?
Durch das Fotografieren habe ich gelernt aufmerksam zu sein. Die Kamera hilft uns nicht nur starke und poetische Bilder zu machen, sie inspiriert uns dazu, unseren Fokus auf andere Menschen zu richten und ihnen so zu zeigen, dass sie dazu gehören. Den Blick auf andere Menschen zu richten, hat etwas sehr heilsames. Das habe ich während meiner Arbeit im Gefängnis gelernt. Die Leute die ich dort fotografierte haben die Bilder nie gesehen, sie haben nie danach gefragt. Aber sie fühlten sich gesehen. Die simple Tatsache, dass sich da jemand für sie interessierte, war wie ein Geschenk für sie. Das ist das Wertvollste überhaupt – zuhören, sich kümmern, sich sorgen. Dieses grundlegende menschliche Bedürfnis tragen alle Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, in sich. Egal ob es sich dabei um ein Cover-Shooting handelt oder um die Arbeit mit lebenslang Inhaftierten. Jeder begann von Innen heraus zu strahlen: Das ist die Essenz von Namasté.
Wie hat Yoga dich eigentlich gefunden?
Ich bin in Los Angeles aufgewachsen. Yoga war schon immer da. Ich hab hier und da geübt und hatte eine eher lockere Beziehung dazu. Aber so richtig geklickt hat es erst als ich mich entschloss, mein Künstlerdasein neu zu definieren. Eines Tages, so ungefähr vor 20 Jahren, saß ich in einem Museum in Italien. Ich schaute mir die Exponate in einem bestimmten Raum an und plötzlich fiel mir auf, dass viele meiner Künstler-Vorbilder ebenfalls in diesem Raum waren. Ich habe über ihre Lebensgeschichte nachgedacht. Sehr viele dieser Künstler führten ein destruktives Leben, voller Verzweiflung. Manche haben sich sogar umgebracht. Irgendwie machte das keinen Sinn – ihre Werke wurden hier von den Massen gefeiert und quasi unantastbar in unendlich wertvollen Gebäuden streng bewacht. Ich fragte mich, warum sie sich nicht um ihr Leben geschert haben? Sich nicht so um sich gesorgt, wie sich jetzt um ihre Kunstwerke gekümmert wird? Und das war der Moment, in dem Yoga mich gefunden hat. Ich traf die Entscheidung, die Geschichte eines Künstlers neu zu schreiben und erstmal mein Leben als Kunstwerk zu betrachten. Dann kann auch Kreativität und alles was dazu gehört fließen.
Während du die Welt bereist machst du Fotos von Kindern, Soldaten, Gefängnis-Insassen oder Lehrern. Du porträtierst Männer und Frauen aus allen Berufs- und Bildungsschichten, mit dem gemeinsamen Nenner Yoga. Was denkst du, woran liegt es, dass Yoga alle zusammenbringt? Vielleicht weil das Herz dabei eine größere Rolle spielt als der Verstand?
Ich denke der Grund ist, dass Menschen mit Yoga beginnen um ihre Lebensqualität zu verbessern. Und die Intention dafür kommt aus dem Herzen, da die Asanas uns dazu bringen in unserem Herzen zu sein.
Deine Arbeiten zeigen, dass wir Schönheit, Achtsamkeit und Anmut an jedem Ort, in jedem Menschen und in jeder Seele finden können – sogar in der Zelle eines verurteilten Straftäter. Was glaubst du woran liegt das? An den Menschen oder an Yoga?
Ich glaube nicht, dass es an Yoga liegt. Ich glaube es liegt an einer Art inneren Sehnsucht und der Aufrichtigkeit der Menschen. Für mich als Künstler bietet die Bildsprache des Yoga die Möglichkeit, diese bemerkenswerte Geschichte zu erzählen: Menschen auf der ganzen Welt, die runterkommen, sich einen Moment Zeit nehmen, ihre Herzen öffnen und in Richtung Himmel strecken, ihren Blick nach Innen richten und nach etwas Ungreifbarem suchen. Das ist doch wirklich außergewöhnlich.
Für viele Menschen hat die eigene Yogapraxis etwas sehr Persönliches. Wenn man deine Bilder sieht, spürt man aber eine intime Verbindung zwischen dir und den Menschen vor der Kamera. Kannst du beschreiben, wie dieser besondere Moment entsteht?
Das ist eine wunderbare Frage. Ich erreiche das, in dem ich einfühlsam bin, wirklich interessiert. In dem ich den Menschen mit dem ich arbeite wirklich wahrnehme – die Kamera ist dabei eigentlich nur eine Art Ausrede, damit ich genau das tun kann. Es geht darum zuzuhören und Anerkennung zu schenken, egal ob man Fotos macht oder nicht. Wenn uns die Menschen um uns herum wirklich wichtig sind, dann schafft das Verbindung. Und das ist die geheime Zutat für den künstlerischen Schaffensprozess und nichts hilft uns dabei so sehr wie unser Herz.
Verändert sich die Bedeutung von Yoga, wenn man es in einem Gefängnis, einer Schule in Afrika, in der freien Natur oder auf der Straße praktiziert?
Ich glaube im Gefängnis bekommt die Praxis noch mehr Bedeutung als überall sonst. Die Insassen dürfen einmal pro Woche eine Stunde Yoga machen und jedes Mal spüre ich wie viel diese Stunde allen bedeutet, die dann ihre Matte ausrollen. Es ist wirklich schön. Es berührt mein Herz. Es bringt mich dazu, für das was ich habe dankbar zu sein und all die Momente, in denen ich üben kann wertzuschätzen. Man könnte sogar sagen, dass ich die Menschen mit denen ich in den Gefängnissen zusammen arbeite als Lehrer betrachte. Sie inspirieren mich dazu, ein besserer Mensch zu sein.
Dann hat deine Arbeit also Einfluss auf deine eigene Praxis?
Ja! Ich sehe immer wieder Menschen, die sich bemühen, die beste Version ihrer Selbst zu sein. Das inspiriert mein gesamtes Leben, auf und abseits der Matte.
Mehr Info zu Robert Sturman auf robertsturmanstudio.com oder Instagram.