Manuelle Hilfestellungen im Yogaunterricht können deine Praxis verbessern. Doch nicht jeder möchte im Unterricht berührt werden. Consent Cards helfen Yogalehrern und ihren Schülern, individuell zu reagieren. Wir haben zwei Yogalehrer gefragt, wie sie mit gewollten und ungewollten Adjustments umgehen.
Das Recht auf eine selbstbestimmte Praxis sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Leider kommt es immer wieder vor, dass Yogalehrer – bewusst oder unbewusst – Grenzen überschreiten und unerwünschte Adjustments geben. Die meisten Lehrer fragen ihre Schüler vor dem Unterricht oder direkt an der Matte, ob Berührungen okay sind. Doch nicht alle Yogis und Yoginis trauen sich in genau diesem Moment laut und deutlich “Nein” zu sagen. Insbesondere dann nicht, wenn die Anderen im Raum mit den Hilfestellungen einverstanden sind. “Bin ich zu kleinlich? Vielleicht zu empfindlich, zu spießig?” Gedanken wie diese bringen einzelne Schüler dazu, ihre persönliche Grenze weiter zu ziehen, als sie das eigentlich möchten. Die Folge: Eine Situation in der wir uns uns öffnen sollen und frei sein wollen, empfinden wird plötzlich als unangenehm.
Yoga-Unterricht: Wann ist die Berührung okay?
Hilfestellungen sind sinnvoll und nützlich, um bestimmte Asanas noch besser zu verstehen. Viele Schüler fragen sogar danach. Doch wie kann ich mir als Yogalehrer sicher sein, dass meine Berührung in diesem Moment auch in Ordnung ist? Woher weiß ich, dass eine Person, die in der letzten Stunde kein Problem mit Berührung hatte, die Hilfestellung an einem anderen Tag oder in einer anderen Position als störend empfindet? Eine simple Lösung: Consent Cards. Jeder Schüler bekommt vor dem Unterricht eine Karte, die neben der Matte platziert wird. Die eine Seite zeigt: Ja, ich möchte Hands-on bekommen. Liegt die andere Seite oben, heißt es: Heute bitte keine Hands-on. Klingt simpel oder?
Wir haben die Yogalehrer Nora Kersten und Marcel Clementi gefragt, wie sie mit Adjustments im Unterricht umgehen und ob sie selbst Consent Cards nutzen.
Hallo Nora, Hi Marcel. Wie geht ihr als Yogalehrer das Thema “Hilfestellung” in eurem Unterricht an?
Nora: Ich habe meine Yoga Ausbildungen in Indien in einer Ashtanga Schule gemacht, in dieser Tradition wird viel Wert auf das Alignment gesetzt. Das korrekte Ausführen einer Yogapose kann dem Schüler Sicherheit und Freiheit geben. Ich persönlich finde Alignment wichtig aber man muss auch wissen, dass jeder Schüler eine andere Anatomie hat und dadurch muss man eingehen können. Nicht jedes Alignment ist für jeden Schüler geeignet. Es braucht Erfahrung, Wissen und Feingefühl die Schüler in unterschiedlichen Asanas zu unterstützen.
Marcel: Hands-on Assistance gehört für mich zu einer guten Yogastunde dazu und zeigt auch die Qualität des Unterrichts finde ich. Sollte ein Schüler das erste Mal zu mir in den Kurs kommen, frage ich natürlich nach ob es okay für ihn/sie ist, wenn ich sie in einzelnen Asanas unterstütze und dabei berühre. Das gehört zu meinen Stunden einfach dazu und ich beschäftige mich viel mit diesem Thema. Daher frage ich dann auch nicht vor jeder Stunde erneut nach. Nur bei der Savasana Kopfmassage am Ende meiner Stunde frage ich um ein kleines Zeichen (Hand auf dem Bauch), wenn jemand heute nicht am Kopf berührt werden möchte.
Übrigens: Noch mehr zu seiner Praxis hat uns Marcel Clementi hier im Interview verraten.
Nora wie ist es bei dir? Fragst du in die Runde oder bei jeder einzelnen Person nach Erlaubnis?
Nora: Bei kleinen Gruppen ist es einfacher um Erlaubnis zu fragen, da ich mir vor der Stunde Zeit nehme, um jeden Schüler einzeln zu begrüßen und zu fragen, ob Verletzungen vorhanden sind und ob man gerne bei der korrekten Ausrichtung der Asanas Hands-on-Assistance bekommen möchte. Bei einer größeren Gruppe erkläre ich am Anfang der Yogastunde, dass ich Hands-On-Assists gebe und wenn die Stunde startet und ich zu einem Schüler gehe, frage ich kurz um Erlaubnis und hole mir eine Bestätigung, ob es sich gut anfühlt, während ich assistiere. Ich freue mich aber sehr auf die Zukunft mit den Consent Karten. Ich glaube sie werden meinen Job erleichtern und dem Schüler mehr Power geben selbst und jederzeit entscheiden zu können.
Seid ihr mit dem Thema “Consent Cards” schon in Berührung gekommen? Arbeitet ihr selbst auch damit?
Nora: Zum ersten Mal habe ich davon in einem Yogalehrer Podcast gehört. Ich habe sofort danach gegoogelt und verschiedene Consent Cards oder auch Yoga Erlaubnis Karten online gesehen. Lustigerweise gefielen mir die Karten optisch nicht und darum habe ich mich direkt selbst entschlossen meine eigenen Karten zu kreieren. Ich fand die Idee nicht nur super, sondern auch notwendig. Nach der #metoo Debatte ist es eher fragwürdig, dass nicht schon alle Yogastudios und Lehrer diese nutzen. Ich finde es toll, dass man als Schüler die Freiheit hat sich jederzeit für oder gegen eine Hands-on-Assistance zu entscheiden. Als Lehrer hat man auch den Vorteil, dass Klarheit im Raum herrscht. Ich finde, das erleichtert auch den Job, wenn man nicht “fühlen” oder “raten” muss, ob jemand jetzt gerne Unterstützung in einer Pose hätte oder nicht. Ich habe es schon immer als unangenehm empfunden, wenn ich oder andere Lehrer am Anfang der Stunde gefragt haben, ob man keine Hands-On-Assists wünscht und sich somit mit klarem Handzeichen vor einem vollen Raum von Yogaschülern melden soll. Das erfordert extrem viel Mut und ich bin mir sicher, dass sich viele nicht mal melden. Ich nutzte die Consent Cards leider noch nicht. Mein Ziel ist es bald meine eigenen Karten zu produzieren und sie dann für mich zu nutzen – und natürlich auch für alle die mögen es zugänglich zu machen
Marcel: Das erste Mal hab ich Consent Cards in meiner 300h Multistyle Ausbildung in Indien gesehen. Damals fand ich die Idee richtig gut. Oft ist es unangenehm vor einer ganzen Gruppe die Hand zu heben, um mitzuteilen, dass man nicht berührt werden möchte. Die Karten bieten da eine angenehme Möglichkeit. Ich selbst habe sie ehrlich gesagt noch nie verwendet. Ich hab einen sehr guten Kontakt mit meinen Schülern in den Kursen und suche lieber das persönliche Gespräch.
Ihr wollt noch mehr über Nora und Marcel erfahren? Auf Instagram geben die zwei sympathischen Yogalehrer nicht nur Einblicke in ihr Privatleben, sondern auch in ihre eigene Praxis und verraten die Termine für Workshops, Kurse und Retreats.
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Danke für diese tolle Anregung. Ich kannte die Karten nicht und werde definitiv es ausprobieren. Es ist einen wichtigen Thema.