Selbständig sein, gut über die Runden kommen und Yoga leben – wie passt das alles zusammen? Aus dem Leben einer New Yorker Yogalehrerin.
Sadie Nardini ist ein typisches Beispiel für viele Yogalehrende: Noch vor einigen Jahren hetzte sie durch ihre Heimatstadt New York, unterrichtete mehr als ein Dutzend Yogaklassen pro Woche und kam kaum über die Runden. Wenn sie nach dem Preis für Privatstunden gefragt wurde, wollte sie eigentlich “125 Dollar” sagen, aber statt dessen murmelte sie schüchtern: “50?”. “Ich glaube, ich habe das Thema Geld genauso vermieden wie die gebundene Dreieckshaltung”, gesteht Sadie. Bis sie irgendwann einsah, dass es an der Zeit war, ein wichtiges Prinzip ihrer Yogapraxis auch im Alltag anzuwenden: “Asanas sind kraftvoll, aber nicht immer nur angenehm”, erklärt Sadie. “Aber erst wenn man bereit ist, sich auch den unangenehmen Herausforderungen zu stellen, bekommt man Gelegenheit, zu wachsen.”
Sie setzte sich mit einer Tasse Chai in ihr Lieblingscafé und schrieb alles auf, was ihr zum Thema einfiel: Zuhause hatte der Vater die Familienfinanzen verwaltet, sie bekam erst spät eigenes Geld und fühlte sich lange davon überfordert. Als frisch gebackene Yogalehrerin hatte sie das Gefühl, sie dürfe kein Geld annehmen für etwas, das sie so gerne tat. Müsste sich Geldverdienen nicht mehr nach harter Arbeit anfühlen? Auch eine gewisse Scham spielte eine Rolle: Verrate ich die Ideale des Yoga, wenn ich finanziellen Profit daraus schlage? Dahinter steckte aber noch mehr: “Ich konnte nie so viel verlangen wie meine Freunde, weil ich tief in meinem Inneren auch ein Problem mit meinem Selbstwertgefühl hatte”, gesteht Sadie. An dem Nachmittag im Café nahm sie sich vor, nicht länger in diesen alten Mustern hängenzubleiben: Sie begann, ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster zum Thema Geld ganz bewusst zu beobachten. Sie ging strategischer an die Frage heran, wann und wo sie unterrichtete, um nicht unnötig Energien zu verpulvern. Sie verlangte tatsächlich 125 Dollar für Privatstunden – und bekam sie auch. Nicht, dass all das immer ganz einfach und mühelos gewesen wäre. Aber jedes Mal, wenn sie beklemmende Gefühle und Widerstände bei sich wahrnahm, tat Sadie genau das Gleiche wie in der gebundenen Dreieckshaltung: Sie atmete tief, lenkte die Atmung an die Stellen, wo es sich besonders unangenehm anfühlte, und übte sich in Geduld und Hingabe.
Ein gesundes Verhältnis zum Thema Geld entwickeln
Sadie hat ein paar schwierige Schritte zu einem entspannteren, gesünderen Verhältnis zum Geld gemeistert, findet Brent Kessel. Er ist Buchautor, Yogi und Mitbegründer einer großen amerikanischen Firma für nachhaltige Investments. “Viele Menschen machen Geld für alle Übel der Welt verantwortlich, vermeiden es aber, sich ihr eigenes Verhältnis dazu wirklich klar vor Augen zu führen,” meint Kessel. “Dabei kann Geld ein spiritueller Lehrer sein, wenn man bereit ist, ihm mit demselben Grad an Bewusstheit und klarer Intention zu begegnen wie anderen spirituellen Praktiken.”
Aber wie kann etwas so Uninspirierendes wie der eigene Kontoauszug eine ähnlich transformierende Wirkung entfalten wie ein*e großartige*r Yogalehrer*in? Zunächst einmal, indem er einem die eigenen Muster spiegelt, meint Kessel. Summiert sich mein Hang zu Green-Smoothies im Trend-Café allmählich zum eher unbekömmlichen Posten im Monatsbudget? Oder könnte ich mir nicht längst mal wieder einen schönen Urlaub gönnen, anstatt die Euros auf dem Sparkonto vergammeln zu lassen? “Ich denke, jeder handelt ganz selbstverständlich in einer Weise, von der er annimmt, dass sie das eigene Glück fördert und Leid verhindert”, meint Kessel. “Erst wenn wir uns fragen, warum wir uns auf diese bestimmte Weise verhalten und welche Schmerzen es sind, die wir dadurch vermeiden möchten, können wir unter Umständen zu einer anderen Schlussfolgerung gelangen.”
Der Vorteil der Yogi*nis
Dazu gehört es ganz wesentlich, sich den eigenen Ängsten und Widerständen bewusst auszusetzen. Yogi*nis haben dabei dank ihrer Asana-Praxis einen entscheidenden Lernvorsprung: Im Yoga verbessern wir ständig unsere Fähigkeit, unangenehme körperliche Empfindungen zu analysieren und bis zu einem gewissen Grad auszuhalten. Erinnere dich zum Beispiel daran, wie in Pashchimottanasana deine Beinrückseiten manchmal gespannt haben, wie du innerlich aufbegehrt hast und am liebsten sofort aufgesprungen und davongelaufen wärst. Trotzdem bist du sitzen geblieben, hast mithilfe der Atmung die Ruhe bewahrt und dich selbst in deiner Auflehnung freundlich zu beobachten gelernt.
“Genau diese Technik kannst du auch anwenden, wenn es darum geht, alte Verhaltensmuster zu erkennen und zu überwinden”, meint Kessel. Das Gute daran: Ein entspannter, vernünftiger Umgang mit Geld nimmt eine Menge Stress aus dem Alltag. Oder wie die Meditationslehrerin und frühere Wall-Street-Brokerin Claire Kinsella Holtje sagt: “Niemand wird je Samadhi (den Zustand spiritueller Erleuchtung) erreichen, während er sich Sorgen um seinen Kontostand macht.”
Die Autorin Meghan Rabbitt hat als freiberufliche Journalistin selbst lernen müssen, mit einer gewissen finanziellen Unsicherheit leben zu müssen – auch wenn sie fast jeden Monat mit Artikeln in amerikanischen Gesundheits-, Mode- und Lifestyle-Magazinen vertreten ist: Wer weiß, was nächsten Monat kommt?