Die vier Wege des Yoga: Karma, Jnana, Bhakti und Raja

Yoga ist viel mehr ist als die körperlichen Übungen. Traditionell gesehen ist das Ziel Moksha. Die Erlösung vom Kreis der Wiedergeburten. Dieses Ziel vereint die klassischen vier Wege des Yoga. Hier stellen wir dir Bhakti Yoga, Karma Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga genauer vor.

Titelbild: Ketut Subiyanto via Pexels

Yoga als spirituelle Praxis zur Vereinigung von Körper, Geist und Seele mit dem Göttlichen ist so alt wie die Upanishaden. Diese wurden ungefähr ab 700 Jahre v. Chr. geschrieben. Auch im bekanntesten Teil davon, der Bhagavad Gita (ca. 400 v. Chr.) gilt es als Methode zur Befreiung vom Kreis der Wiedergeburten. Auch das Yogasutra von Patanjali zählt zu den zentralen Texten (ungefähr 2000 Jahre alt). Darin steht: “Yoga ist jener innere Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen.” Die individuelle Seele (Atman) soll eines mit der universellen Seele (Brahman) werden. Die vier Wege des Yoga wollen diesen Zustand erreichen. Zuerst entstanden Bhakti Yoga, Karma Yoga, Raja Yoga und Jnana Yoga. Erst später folgte das in der westlichen Welt weit verbreitete körperliche Hatha Yoga.

Karma Yoga – Der Weg der Taten

Unter Karma stellen sich viele ein kosmisches Gesetz vor. Gutes wie Schlechtes kommt verstärkt zurück. Tatsächlich bedeutet Karma, dass jedes Wirken oder jede Tat eine Wirkung hat. Entweder in diesem oder im nächsten Leben. Karma Yoga bezeichnet deswegen den Weg des Handelns, der Taten. In der Bhagavad Gita sagt Krishna:

„Du [musst] jede Tat vollziehen als eine Darbringung an Gott und frei sein von aller Bindung an die Ergebnisse.“

Die Idee des selbstlosen Handelns, Karma Yoga, ist in vielen Religionen vertreten. Ein Karma Yogi haftet nicht an den Erfolgen oder Misserfolgen seiner Handlungen an. Seine Handlungen sind Opfer für Gott. So kann er aus dem Kreislauf der Wiedergeburten aussteigen. Diese Idee macht Yoga auch modern. Denn man muss eben gerade nicht Eremit werden und nichts mehr tun. Sondern kann mitten im Leben Yoga praktizieren. Auch beim Straßen fegen oder Gemüse anbauen. Man kann Karma Yogis nicht von Außen erkennen. Sondern man muss die persönlichen Beweggründe für die Handlungen kennen. Karma Yoga ist also alles, was wir tun.

Bhakti Yoga – Der Weg der Hingabe

Bhakti Yoga bedeutet den Weg der Liebe für das Göttliche zu gehen. Der Pfad der Hingabe kommt bereits in der Bhagavad Gita vor, fand aber im mittelalterliche Indien seinen Höhepunkt. Zu dieser Zeit war er eng mit dem Sufismus verwandt. Diese mystische Strömung des Islam wurde unter anderem von Kabir praktiziert. Der indische Mystiker des 15. Jahrhunderts ist bis heute weit über seine Heimatstadt Varanasi sowohl als Bhakti- als auch als Sufi-Heiliger gefeiert. Demnach sind Sufismus und Bhakti zwei Ströme, die ins selbe Meer führen. Das Meer ist Gott, der Strom die Liebe.

Meistens wird unter Bhakti-Yoga Kirtan verstanden. Das Singen von heiligen Mantren in einer Gruppe. Dabei singt ein Sänger vor. Die Gläubigen singen nach. Mantra kann aber auch mit einer Gebetskette praktiziert werden. Das heißt Japa. Teil von Bhakti Yoga ist aber auch Puja. Die Hingabe an die Götter findet am Hausaltar oder in öffentlichen Tempeln statt. Hierbei werden in Indien Bildern oder Statuen von Göttern Blumen und Kerzen dargebracht. Ram Dass, der kürzlich verstorbene US-amerikanische spiritueller Lehrer, fasste Bhakti mit folgenden Worten zusammen:

„Du liebst so lange, bis du und der Geliebte Eins werden.“

Bhakti Yoga ist also die Vereinigung mit Gott auf dem Weg der persönlichen Hingabe zu Gott.

Jnana Yoga – Der Weg der Wissens

Einer der zentralen Lehrsätze des Jnana Yoga ist: Tat Tvam Asi. Du bist Das. Mit anderen Worten: Du bist Brahman, Atman ist Brahman. Wer dies weiß und (er)lebt erlangt den Ausstieg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten. Jnana wird als der schwierigste Weg angesehen. Aber natürlich haben alle vier Wege des Yoga ihre Daseinsberechtigung. Dafür gibt Jnana seinen Schülern mehrere spirituelle Werkzeuge.

Dabei gilt das Lernen vom einen Guru als unerlässlich. Danach kommt Manana. Das innere Aufnehmen des erworbenen Wissens. Die dritte Stufe ist Meditation. Damit soll der Schüler Tat Tvam Asi am eigenen Körper und Gesit erfahren. Es gibt zusätzlich Hilfsmittel oder Anweisungen für Jnana Yoga. Vairagya ist die Loslösung von allen weltlichen, materiellen Dingen. Dies dient der Unterscheidung von Brahman (unveränderliche Realität) und Maya (Illusion). Als Shad-Sampad gelten die sechs Tugenden, die ein Jnana-Praktizierender einhalten sollte. Dazu gehören unter anderem Glaube und innere Sammlung.

Raja Yoga – der königliche Weg

Raja bedeutet übersetzt königlich. Es gilt als höchste Form des Yoga, weil es alle drei bereits genannten Aspekte vereint. Das Ziel ist nichts Geringeres als Herrschaft über den Geist. Dieser Weg hat acht Stufen und ist auch als achtgliedriger Pfad des Patanjali bekannt. Dazu zählen Verhaltensregeln, die Yamas und Niyamas. Atemkontrolle, Meditation und Hatha Yoga sind bereits fortgeschrittene Stufen.

Exkurs: Hatha Yoga – Der Weg des Körpers

Das davon abgeleitete Hatha Yoga ist keiner der vier Wege des Yoga. Deshalb handeln die klassischen Schriften nicht davon. Hatha bedeutet ungefähr “Anstrengung” oder “Kraft”. Das bezieht sich nicht nur auf den Körper, sondern auch auf den Geist. Die Arbeit am Geist geschieht parallel zu der am Körper. So wird der Körper ein Tempel. Eine angenehme Wohnstätte für Geist und Seele. So widersprechen sich Körperlichkeit und Spiritualität nicht, sondern unterstützen sich gegenseitig. Mit Hatha Yoga kann man sich mit Gott über den Körper verbinden. Inzwischen haben sich zahllose Yogastile entwickelt, die vom Hatha Yoga abstammen. Im Westen ist das Verständnis von Yoga sehr körperlich geworden. Es feiert individuelle Erfolge in Geist und Seele. So viele Yogis konnten ihr Wohlbefinden dadurch verbessern. Ob man nun die Philosophie dahinter kennt oder nicht.

Yoga Klassiker

Inzwischen braucht man fast zwei Namen für Yoga. Das westliche und das traditionell indische haben sich weit auseinander entwickelt. Beide sind auf ihre Art und Weise valide. Denn auch Menschen, die über die körperlichen Aspekte zum Yoga kommen, entdecken, dass es mehr gibt. Auch das Yoga in Indien ist ständigem Wandel unterworfen. Es hat Kriege, Jahrhunderte und Invasionen überstanden. Yoga bleibt. Denn immer wenn Menschen nach der Verbindung mit dem Göttlichen streben, ist es Yoga.

Obwohl man Yoga am Besten am eigenen Leib erfährt, lohnt sich auch der Blick in die folgenden klassischen und modernen Bücher. So erfährst du noch mehr über die vier Wege des Yoga.

  • Licht auf Yoga: Die beste der neueren Schriften über Yoga und Yoga-Philosophie, geschrieben vom großem Hatha-Yogameister B. K. S. Iyengar.
  • Bhagavad Gita: Eine der wichtigsten Schriften des Hinduismus. Die zentrale Quelle des antiken Wissens über Yoga.
  • The Gospel of Ramakrishna: Lehren des berühmten Mystikers und Bhakti Yogi aus dem 19. Jahrhundert.
  • Meine Experimente mit der Wahrheit: Autobiografie des Mahatma (der „großen Seele“) Ghandi. Er gilt als einer der vollkommensten Karma Yogis.
  • Yoga: Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung: Eine anschauliche Aufzählung verschiedener Hatha-Yoga-Übungen. Perfekt für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen!
  • Die Upanischaden: Älter sogar als die Bhagavad Gita. Das Kronjuwel der indischen Philosophie und Spiritualität. Aus diesen Schriften stammt auch der Satz: Tat Tvam Asi.

Autor: Lucas Pietrapiana bloggt auf seinem Kanal Orientexpress über die Wurzeln von Yoga und seinen Erfahrungen auf Reisen nach Indien. | Instagram

1 Kommentar

  1. Wieder einmal sehr viel dazugelernt, vielen Dank, in dieser so verständlichen Weise zu erklären – ist für jeden Leser ein Geschenk auf dem Lebensweg. ES bringt auch die gemachten Erfahrungen mit den Erkenntnissen in ein anschauliches Bild und man versteht die Zusammenhänge. (Egal aus welcher Glaubenrichtung man ursprünglich kommt. )

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