Ein freier Handstand, der dir sogar Zeit lässt, deine Beine anzuwinkeln – von so viel Körperbeherrschung träumen die meisten von uns. Unsere Kolumnistin hält dagegen: “Probieren hilft!” Eine stützende Wand und konsequenter Kraftaufbau auch. Und nicht zu vergessen: viel spielerische Neugier.
Text: Jelena Lieberberg / Foto: Theresa Bartmann
Auf den Händen zu stehen wirkt immer so, als würde man der Schwerkraft einen Streich spielen. Schließlich tragen uns sonst, Tag ein, Tag aus, unsere Füße. Schon seit unserem ersten Lebensjahr, als wir Laufen gelernt haben, denken wir nicht mehr groß darüber nach und sehen das Stehen und Gehen als selbstverständlich an. Erst als ich mir letztes Jahr den Fuß brach und sechs Wochen lang nicht auftreten durfte, wurde mir klar, wie dankbar ich doch für jeden Schritt bin, den ich gehen darf. Ich war fast ein bisschen neidisch auf alle, die einfach so auf beiden Füßen gehen konnten.
Immerhin konnte ich auch während dieser Zeit manchmal auf meinen Händen stehen – und ich muss sagen: Dieses Üben hat mir sehr viel Lebensfreude geschenkt. Und auch Hoffnung. Denn für mich ist Adho Mukha Vrikshasana, der “herabschauende Baum”, wie der Handstand im Yoga heißt, viel mehr als einfach nur irgendeine fordernde Asana. Handstand-Üben heißt für mich: geballte Konzentration, ein Ausdruck von Liebe zum Detail und die Bereitschaft dazu, die Welt ab und zu auf den Kopf zu stellen – ein heilsamer Perspektivenwechsel, der uns aus dem Alltags-Tunnelblick herausholt und uns wieder eine frische, liebevolle, neugierige Sichtweise auf uns und die Welt schenken kann.
Macht das Spaß?
Auf jeden Fall! Du musst ja nicht im Freien zwischen Orangen und Zitronen (wie auf dem Foto) balancieren, sondern kannst daheim an einer Wand üben. Aber Achtung: Handstand üben kann süchtig machen, Endorphine frei setzen und das Gemüt erheitern.
Muss ich das können?
Nein. Aber wie immer gilt: Probieren hilft. Wer nicht überzeugt ist, darf staunen und träumen.
Was muss ich dafür tun?
Vor der Handstandpraxis sollten wir in jedem Fall unsere Gelenke aufwärmen, vor allem Handgelenke und Schultern. So bereiten wir sie auf die ungewöhnliche Belastung durch das eigene Körpergewicht vor. Sonnengrüße helfen, den Kreislauf in Schwung zu bringen, zusätzlich ist es eine gute Idee, die Beinrückseiten aufzuwärmen, da diese bei den Kick-ups in den Handstand in Anspruch genommen werden. Für alle Handstand-Neulinge ist erst mal der Kraftaufbau zentral: Der herabschauende Hund zum Beispiel kann uns lehren, den Schultergürtel zu stabilisieren und uns aus den Schultern nach hinten zu schieben. Core-Übungen helfen dabei, im Zentrum stabil zu bleiben.
Step by Step
1. Übe diesen Handstand zu Beginn mit dem Rücken zu einer Wand. Dazu setzt du deine Hände im Vierfüßlerstand etwa eine Handbreit vor der Wand mit schulterbreitem Abstand auf. Spreize die Finger und richte deinen Blick zwischen die Hände.
2. Aktiviere bewusst deine Arme und Schultern und schiebe dich kraftvoll nach oben, wenn du nun die Knie hebst, dich auf die Zehenspitzen stellst und deinen Schwerpunkt auf Hände und Schultern verlagerst.
3. Stoße dich mit einem Fuß ab und schwinge beide Beine nach oben in den Handstand mit dem Rücken zur Wand.
4. Wenn du die Füße an der Wand anlehnst, passiert es leicht, dass die Wand dich in ein Hohlkreuz zieht, was Alignment und Balance deutlich erschwert. Um beides zu erleichtern, beugst du beide Knie und gleitest mit den Zehen an der Wand entlang nach unten.
5. Lass dabei Knie und Füße zusammen, schiebe dich aus den Schultern heraus nach oben und strecke deine Hüften so weit, wie es mit den gebeugten Knien möglich ist. Bleibe eine Weile in dieser Position und atme – ein wichtiges Detail, denn Luft anzuhalten ist kontraproduktiv.
Variante für Handstand-Cracks: Kicke freistehend in den Handstand und ziehe auch hier die Knie zu einem Päckchen an.
JELENA LIEBERBERG ist Osteopathin und Yogacoach in Berlin. Ihre eBooks, Retreats und Workshops findest du unter kickassyoga.com oder besuche Jelena auf Insta @kickassyoga.
Lust auf noch mehr Balance-Haltungen, aber auf den Füßen? In ihrer letzten Kolumne zeigte dir Jelena die Tip Toe Pose: