Du fühlst dich gut – aber was dann?

Auf der Tabla und mit der Bansuri-Flöte zelebriert Kirtan-Künstler Jason Kalidas die heilende Kraft der Musik. Und zwar jeder Musik. „Mantren nutzen niemandem, der gerade Punk braucht“, so der Musiker aus Brighton, dessen Spiel man leicht als „virtuos“ beschreiben könnte – fände er selbst solche Kategorien nicht absolut unbedeutend.

Jason Kalidas könnte gerade sehr erschöpft sein. Ausgelaugt von einem intensiven Retreat im Seminarhaus Höllbachhof bei Regensburg, wo er in Zusammenarbeit mit der Münchner Yogalehrerin Regina Gambarte 20 Teilnehmer durch einen dreitägigen Detox-Workshop führte. Aber Erfahrungen wie diese sieht Jason als Energiequelle. Mehrere Monate im Jahr ist der Musiker aus Brighton weltweit auf Tour, um Solo-Konzerte zu geben, mit befreundeten Musikern auf Kirtans zu spielen oder mit therapeutischer Musik und „sacred sound“ die Arbeit von Yogalehrern zu unterstützen.
„Jasons Sound ist gleichzeitig fließend und feurig, geerdet und ätherisch“, sagt Dave Stringer über den Percussionisten und Bansuri-Spieler, der mit 20 Jahren nach Indien ging, in klassischer indischer Musik ausgebildet wurde, später mit Bhagavan Das tourte und den Kirtan für sich entdeckte.

YOGA JOURNAL: Diverse Lebensgeschichten gehört, ein paar Krisen miterlebt und  schließlich die positive Wirkung gesehen, die die Gruppe aus deiner Arbeit gezogen hat – all das in drei Tagen. Wie geht es dir am Ende eines Retreats, wenn diese intensive Gemeinschaftserfahrung vorbei ist?
Jason Kalidas: Hervorragend. Ich empfinde diese Situationen als ungemein bereichernd, ihr Effekt geht über die eines Konzerts oder Kirtans hinaus. Bei den Teilnehmern entwickelt sich ein tief gehender Prozess – von außen betrachtet lässt sich das gesamte Ausmaß dieser intensiven Innenschau nur in Ansätzen wahrnehmen.

YJ: Wie stark bringst du dich selbst in diese Entwicklung ein? Gibt es dabei eventuell etwas, wovor du dich schützen musst?
JK: Absolut nicht. Ich bringe immer 100 Prozent von mir ein und wüsste nicht, wovor ich mich schützen müsste. Im Gegenteil – ich hoffe immer, noch mehr geben zu können. Denn umso tiefer ich in die Musik eintauche, desto mehr merke ich, dass es dabei nicht um mich oder den Einzelnen geht. Die Musik passiert einfach, und es ist völlig unerheblich, woher sie kommt.

YJ: Aber du produzierst den Sound, und zwar auf eine ganz besondere Weise mit besonderer Wirkung.
JK: Trotzdem ist das nichts Besonderes. Ich sage nicht, dass da nichts Magisches im Spiel ist, aber ich mag generell diese Gegenüberstellung nicht: Ich, das Genie, spiele, und du sitzt da und staunst ergriffen. Es passiert etwas ganz Spezielles, aber der Ursprung liegt nicht bei mir, höchstens seine Form. Je großartiger meine oder irgendeine Musik ankommt, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sie nicht mir gehört, sondern ganz andere Räume einnimmt. Das nimmt ihr nichts von ihrer Besonderheit, aber der Trick ist, sich nicht damit zu identifizieren. Um das zu üben, habe ich habe mir angewöhnt, jedes Mitglied des Publikums als Lehrer zu sehen.

YJ: Der Begriff ist strapaziert, aber trotzdem die Frage: Würdest du deine Musik als „spirituell“ bezeichnen?
JK: In den Ritualen fast aller Kulturen hat Musik schon immer eine wichtige Rolle gespielt, also kann man jede Musik als „spirituell“ bezeichnen. Die Sehnsucht nach Einheit ist ein natürlicher Impuls, der manche auch zu Drogen greifen lässt. In der Sufi-Tradition und anderen Kulturen nutzen die Menschen den Klang, um sich durch Tanzen in Trance zu versetzen und die Grenzen der Persönlichkeit zu überwinden. Das Gleiche passiert allerdings auch beim Punk-Konzert, im Elektro-Club oder wo immer sich Menschen komplett einer Musik überlassen. Du vergisst dein Selbst und gehst mit gleich gesinnten Leuten in dieser Gruppenenergie auf. Das beschließen wir nicht im Sinne von „so, jetzt vergessen wir uns mal alle“, sondern es passiert einfach.

YJ: Welche Rolle spielt dabei der individuelle Musiker?
JK: Ich kann nur für mich sprechen. Je regelmäßiger ich meine Musik übe, je mehr Regelmäßigkeit und Wiederholung es gibt, desto größer wird die Eigendynamik, ähnlich wie das Japa beim Mantrensingen. Die Illusion, dass ich dabei etwas tue, wird durch das Staunen über die unfassbare Schönheit der Musik ersetzt. So seltsam es klingt: Es entsteht etwas Höheres, und der Gedanke, dass du das „machst“, wird langweilig. Der Gedanke an die eigene Großartigkeit ist begrenzt. Klar, er gibt dir eine Zeit lang ein gutes Gefühl, aber was dann? Die Freude an etwas Größerem, das dieses Erlebnis verursacht, ist nachhaltiger.

YJ: Sollte das Ego in der Musik also zurücktreten?
JK: Das macht sie auf jeden Fall offener. Dabei hilft, dass wir das Konzept überwinden, dass uns etwas „gehört“. Musik ist dafür ein gutes Beispiel: Sie gehört niemandem sondern allen. Gleichzeitig ist sie das perfekte Mittel, das Ego aufzubauen – extremerweise in der Identifikation als „Star“. Ein Rock- oder Popstar ist eine öffentliche Figur die bewirkt, dass sich Massen von Leuten gut fühlen. Aus dem Gefühl heraus, dass du persönlich dafür verantwortlich bist, schicken sie dir massenweise Energie und sagen dir, wie großartig du bist. Das kann süchtig machen. Es nährt das Ego, das sich damit immer realer fühlen kann. Denn das ist es, was es braucht: Es möchte fühlen, dass es da ist. Es braucht Input von außen, um sich zu formen. Guten oder schlechten, das ist dem Ego egal, solange es sich manifestieren kann. Deshalb gibt es Yogis, die sich für lange Zeit in Höhlen zurück ziehen – dort gibt es keine Einflüsse, die das Ego strukturieren. Es kann sich an nichts festhalten und demnach immer mehr auflösen.

YJ: Ist Kirtan mit seinem Community-Gedanken für dich die ideale Form der Performance?
JK: Derzeit spiele ich tatsächlich mehr Kirtan als Solokonzerte. Mir gefällt dabei, dass das Publikum unkompliziert teilhaben kann. Singen öffnet sowieso immer das Herz. Dazu das traditionelle Verständnis von Sanskrit: Es gibt die Auffassung, dass man in anderen Sprachen über etwas spricht – im Sanskrit wird man aber zu der Sache, die man ausspricht. Om Namah Shivaya: Hier sprechen wir nicht über Shiva, sondern lassen seine Energie in uns klingen. Diese Verschmelzung von Subjekt und Objekt geht zu uralten Ideen zurück, nach denen alles Klang ist.

YJ: Zusätzlich interessierst du dich sehr für die therapeutische Qualität von Musik.
JK: Ja, und zwar jeder Musik. Seit Jahrtausenden wissen wir, dass Musik heilende Wirkung hat. Auch Heavy Metal und andere vordergründig „dunkle“ Sounds: Musik hilft uns dabei, emotional aufzuräumen. Es macht keinen Sinn, einen Metal-Fan zum Kirtan zu schleppen. Er braucht anderen Input, um damit umzugehen, was in ihm und in seinem Umfeld passiert.

YJ: Auch deine Klangmassagen mit dem Didgeridoo, die du in Workshops und Retreats anbietest, dürften ihn nicht unmittelbar ansprechen…
JK: Vermutlich (lacht). Das ist eine gute Ergänzung zu meiner Arbeit mit Yogalehrern. Elemente einer typischen Stunde wären: Sonnengruß mit Live-Tabla, erholsame Haltungen mit indischen Ragas auf der Flöte, Stimmarbeit mit dem Harmonium und während Savasana individuelle Klangmassagen mit dem Didge. Der durchdringende Sound mit dem Didgeridoo kann tief sitzende Blockaden lösen – und das ist sicher nicht nur für Yogis interessant.

Interview: Christina Raftery

Hörproben und Jasons aktuelle Solo-CD gibt es unter www.jasonkalidas.com

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