Entwicklungshilfe in Laos: Den Reis wachsen hören

In Laos läuft das gesamte Leben um einiges gemächlicher als selbst im angrenzenden Thailand. Das bemerken nicht nur Individualisten, Naturliebhaber und kulturell interessierte Touristen, die die manchmal beschwerlichen Wege nach und durch Laos einschlagen. Für die wirtschaftliche und touristische Entwicklung des Landes engagieren sich viele Staaten. Ein deutscher Entwicklungshelfer hat sich in Laos‘ Norden dieser Aufgabe gestellt, für die ihm vor allem Humor und regelmäßige Meditation Kraft geben: „Hier ist es wichtig, Ruhe zu entwickeln, um die Ruhe auszuhalten zu können.“

„Die Vietnamesen pflanzen den Reis, die ­Kambodschaner schauen ihm beim Wachsen zu, und die ­Laoten lauschen, wie er wächst“: So beschrieben in der Kolonialzeit die Franzosen ihre Eindrücke des früheren Indochina. Im politischen und wirtschaftlichen Weltgeschehen spielt Laos eine untergeordnete Rolle, aber unter Reisebegeisterten ist das kleine Land zwischen Thailand, Myanmar, Vietnam, ­Kambodscha und China der Geheimtipp in Südostasien. Spektakuläre Natur, verwunschene buddhistische Klöster und die legendäre Gelassenheit der Menschen haben in den letzten Jahren eine wachsende Zahl von Menschen einen Urlaub fern der ausgetretenen Traveller-Pfade verbringen lassen.

Im Gegensatz zum Nachbarland Thailand ist Laos noch keine Yoga-Destination, obwohl eine Australierin in der Hauptstadt Vientiane das erste Yoga-Studio des Landes eröffnet hat und die Tempelstadt Luang Prabang alljährlicher Schauplatz für den vierwöchigen “Thai Massage Circus” ist. Die ersten Hotels bieten Wochenend-Retreats an, aber die Yogis des Westens halten nur allmählich Einzug in Laos. Daneben hat sich das Land eine umfassende eigene Spiritualität bewahrt. Die tiefe religiöse Hingabe der Laoten zeigt sich dem Besucher in Gestalt der buddhistischen Tempel, ­Ritualen wie dem morgendlichen Almosengang Tak Bat und dem ­allgegenwärtigen leuchtenden Orange der Mönchsroben.

Die gelebte Spiritualität beeindruckt besonders angesichts der wechselhaften Geschichte: Im Laufe der Jahrhunderte war das ursprüngliche „Reich der Millionen Elefanten“ („Lan Xang“) Invasionen aus Thailand, Burma, Vietnam und China ausgesetzt, wurde im 19. Jahrhundert von den Franzosen kolonialisiert und versank im Vietnamkrieg unter schweren Bombenangriffen. Da der wichtige Versorgungsweg „Ho-Chi-Minh-Pfad“ durch Laos führte, fielen von 1964 bis 1973 mehr US-Bomben auf das Land als im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen. Die Entsorgung der Blindgänger ist bis heute eine der größten logistischen und sozialen Herausforderungen. Seit 1975 hat Laos eine kommunistische Regierung: Buddhistische Geisteshaltung trifft auf sozialistische Verwaltung. Das ist nicht der einzige Gegensatz, der das Leben oder einen Besuch in Laos spannend macht. Das Erhabene trifft oftmals auf das Skurrile, der Gongschlag in einem uralten Tempel steht in akustischem Wettstreit mit der benachbarten Karaoke-Bar, und eine traditionelle Lao-Massage kann man durchaus eingewickelt in einen Sarong mit Superman-Motiv erleben.

Gelassenheit und Humor sind überlebenswichtig. Nach 21 Monaten Einsatz für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) ist dies auch das Fazit von Stefan Auth. Der 38-Jährige aus dem hessischen Mühlheim ist kein Charity-Idealist, sondern sieht seine Tätigkeit pragmatisch. Auth arbeitet als touristischer Berater für die Provinz Phongsali und trägt dazu bei, die Region im äußersten Norden des Landes für Besucher zu erschließen und ihr damit eine dringend benötigte Einnahmequelle zu ermöglichen. Für Stefan Auth ist klar, dass nur ein ökologisch orientierter, „sanfter“ Tourismus sinnvoll ist: „Abgesehen von der Nachhaltigkeit würde alles andere auch der laotischen Mentalität widersprechen.“ Als erfahrener Reisefotograf und als Tourguide für Wikinger Reisen in Asien und Afrika hat Auth erlebt, wie behutsamer Tourismus positiv auf die Entwicklung einer Region wirkt. Parallel inspiriert er die Reisenden, ihren Horizont zu erweitern. Den Begriff „Entwicklungshilfe“ findet Auth veraltet und bevorzugt ­„Entwicklungszuammenarbeit“: „‚Hilfe‘ impliziert immer auch ‚Opfer‘. Das ist eine fast neokoloniale Haltung.“ Obwohl die Menschen in Phongsali in sehr einfachen Verhältnissen leben, empfindet Auth sie nicht als „arm“. „Sie selbst würden das auch nicht tun. Würde und Selbstachtung sind Voraussetzung für das Leben in der Hütte.“

Um sein Gefühl für die neue Kultur zu schärfen und Klarheit für sein Projekt zu gewinnen, hat sich der begeisterte Bergsteiger und Mountainbiker in Laos erstmals auf eine ruhigere Form der Verbindung mit der Umwelt eingelassen: Als Teil seiner Einweisung durch den DED begann er im buddhistischen Waldkloster Wat Nakoun Noi, 21 Kilometer von Vientiane entfernt, eine Meditationspraxis. Dort kann sich jeder Gast – auch aus dem Westen – zu jeder Zeit gegen eine Spende für eine gewisse Zeit ins Klosterleben integrieren. Das ist in den Klöstern von Laos durchaus üblich, einem Land, in dem fast jeder Mann als Bestandteil seines Lebens zeitweise Mönch wird. Einen Aufenthalt im Kloster kann man beliebig oft wiederholen; zudem fungiert es auch als Sozialstation für ältere und hilfsbedürftige Menschen. Die einzige Bedingung ist, sich vorbehaltlos auf den Tagesablauf einzulassen: 3.30 Uhr Wecken, 3.45 gesungene Gebete, 4.15 bis 5.00 Meditation, 6.30 Almosengang, bei der die Bevölkerung Reis spendet, 7.30 Frühstück, 11.30 die letzte Mahlzeit des Tages, 14 Uhr sitzende und gehende Vipassana-Meditation, 21 Uhr Bettruhe. Dazwischen können sich die Gäste für die Klostergemeinschaft engagieren. Stefan Auth erteilte den Mönchen Englischunterricht.

Die tägliche Meditation hat Auth auch in seinem Einsatzort Phongsali beibehalten. Sie hilft ihm, mit den teilweise harten Lebensbedingungen zurechtzukommen – von der unregelmäßigen Strom- und Wasserversorgung über anfängliche Kommunikationsprobleme bis zur laotischen Einstellung zu Arbeit und Leistung, die der deutschen Mentalität komplett entgegen läuft. Eine vollkommen neue Gegenwart und intensives Eintauchen in eine andere Kultur: „In einer fremden Umgebung mit ständig neuen Eindrücken hilft mir die Meditation, zu erkennen, wer und wie ich wirklich bin. Dadurch kann ich das ‚Woanderssein‘ bewusster und mich selbst als Teil des Ganzen sehen.“ Der praktische Nutzen: „Ich kann mich besser auf das konzentrieren, was unmittelbar ansteht.“ Denn als Erstes ­musste der überzeugte Planer einsehen, dass man in Laos weniger konzipiert als (re)agiert. „Im Westen lernt man aus der Vergangenheit und plant für die Zukunft oder versucht es zumindest. In Laos zählt der Moment, und jeder Tag beginnt bei null“ – charmant für den Touristen und spirituellen Aspiranten, zuweilen schwierig für jemanden, der Resultate erzielen möchte. Und so beabsichtigt Auth in seiner Arbeit immer weniger konkrete Ergebnisse, sondern möchte „Steine ins Rollen bringen“. Die Menschen in seinem Umfeld bildet er durch Erfahrung, nicht Belehrung aus. Auths Kollegen in der Tourismusinformation Phongsali waren beispielsweise selbst noch nie in einem anderen Land. Deshalb organisierte er eine Exkursion über die nahe Grenze nach Vietnam und ließ die Mitarbeiter sich dort zwei Tage selbständig durchschlagen, damit sie ein Gefühl für das „Fremdsein“ der Touristen entwickeln konnten.

Seine Hauptaufgabe ist, die Bewohner und die Provinzbehörde Phongsalis für die Bedürfnisse westlicher Besucher zu sensibilisieren. Warum wandert man freiwillig kilometerlange Strecken, wenn man nicht muss? Sind Alleinreisende bedauernswert einsame Menschen? Warum möchte man in einer Hütte schlafen, wenn man sich ein gutes Hotel leisten kann? Warum will im Lokal jeder getrennt bestellen und bezahlen? Und vor allem: Warum kein Fleisch? Seinen Kollegen all dies zu vermitteln, empfindet Auth immer noch als „interessante Selbstreflexion“.
Bei einer Tätigkeit wie der Entwicklungszusammenarbeit, die grundsätzlich dem „Off The Mat“-Gedanken vieler Yogis nahe steht, prallen mindestens zwei Einstellungen aufeinander: Der Mensch aus dem Westen sucht eine Alternative zu seinem konsumgeprägten Leben in der Wohlstandsgesellschaft, während sich die „Empfänger“ im Entwicklungsland durch seinen Einsatz weniger die innere Erfüllung, sondern Verbesserung ihrer materiellen Situation erwarten. „So wichtig die Religion im Leben der Menschen ist, so wenig hätten sie auch gegen Dinge wie Autos, Computer, Fernseher und ein großes Haus“, so Auth. Deshalb wundert er sich über gelegentliche Beschwerden von Touristen, dass das Leben im nordlaotischen Bergdorf keinesfalls mehr „ursprünglich“ sei – man habe Motorradspuren und in einer Hütte sogar ein Radio entdeckt. „Trotz eines anderen Humors, eines anderen Lebensstils und einem anderen Umgang miteinander finde ich es wichtig, dass sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen“, sagt der 1,94 Meter große Auth. „Dafür lohnt es sich, die Perspektive zu wechseln.“ Ob er ein Idealist sei? Landestypisch antwortet er mit einem Sprichwort. „Het Bun Dai Bun“: „Wer Gutes tut, erhält Gutes als Geschenk.“


Tee und Tradition in Phongsali
„Laos Top End“: Diesen Werbeslogan hat Stefan Auth für seinen Einsatzort Phongsali (6.000 Einwohner, 1430 Meter hoch gelegen) im äußersten Norden von Laos gefunden. Die Anreise von der Hauptstadt Vientiane oder dem Tourismuszentrum Luang Prabang ist in den vergangenen Jahren etwas einfacher geworden. Der Reisende steckt nicht mehr tagelang fest, wenn der Wasserstand des Flusses Nam Ou zu hoch ist und keine Boote fahren. Er muss auch nicht mehr zwei Tage lang auf einem ungefederten Bussitz über Staubpisten holpern. Der Transport nach Phongsali ist zwar immer noch abenteuerlich, aber Teilstrecken lassen sich mittlerweile per Flugzeug oder auf ge-teerten Straßen zurücklegen. Wenn man es einmal geschafft hat, steht fest, dass man sich an einem ganz besonderen Ort befindet und tatsächlich Neuland betritt. Bisher gibt es nur drei einfache Hotels. Die wenigen Restaurants haben weder Schilder noch Speisekarten, jedoch köstliches, vom benachbarten Yunnan in Südchina inspiriertes Essen.

Attraktionen hat Phongsali reichlich zu bieten, unter anderem Verkostungen seines einzigartig würzigen Tees. Auf seit alters her ökologisch bewirtschafteten Tee-Gärten mit 400 Jahre alten und sechs Meter hohen Teebäumen ernten Frauen der Phunoy-Minderheit per Hand die Teeblätter. Sie werden als grüner Tee und ebenso als gesunder Pu-Erh-Tee verarbeitet und teils in Eigenregie auf dem Markt verkauft. Äußerliche Verwendung finden die Teeblätter im Aufguss der traditionellen Kräutersauna – einer simplen, auf Stelzen stehenden Holzhütte mit einem Loch im Boden, durch das der von einem Feuer angefachte Dampf eingeleitet wird. Mittlerweile führen einige organisierte Trekkingtouren durch den Urwald und über Reisfelder in die Dörfer der Bergbevölkerung. Rund 28 traditionell lebende Bergvölker, darunter die prächtig gekleideten Akha, wohnen rund um Phongsali. Die meisten von ihnen sprechen ihre eigenen Sprachen, die mit dem Laotischen nichts gemein haben. Dort zu Gast bei einer Familie zu sein, inklusive -Verkostung des hausgebrauten Reisschnapses, ist eine in vieler -Hinsicht unvergessliche Erfahrung…

Fotos: Michaela Derrer

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