Im Schatten des Guru

Zwei Frauen, zwei Kulturen, ein Lehrer: Indem sich Geeta Iyengar und Angela Farmer aus dem Einfluss ihres herausragenden Lehrers lösten oder ihn ehrend bewahrten, fanden sie ihr eigenes Licht und wurden Pionierinnen des Yoga für Frauen.

Mit seinem 1966 erschienenen Standardwerk „Licht auf Yoga“ erhielt Yoga im Westen Gebrauchswert: Der 2014 im Alter von 95 Jahren verstorbene Bellur Krishnamachar Sundararaja Iyengar richtete den Fokus der Praxis auf den Körper. Asanas sah er als „bewegte Gebete“ und Ausdruck innerer Erfahrung. Bis zu seinem Lebens-ende verehrte er seinen Lehrer und Schwager T. Krishnamacharya. Sein Unterricht hatte den jungen Iyengar von seinen vielen körperlichen Leiden befreit,  gleichzeitig hatte er aber auch unter der unerbittlichen Strenge gelitten, die der Tradition entsprach und Vorbild für seine eigene Rolle als „Guru“ war. Der Verdienst des optisch teilweise drollig, dann wieder furchterregend wirkenden kleinen Mannes um das moderne Yoga ist unermesslich: Iyengar ordnete die Asanas systematisch und „erfand“ die Hilfsmittel, die auch weniger Gelenkigen das Üben ermöglichten. Zu seinen Schülern gehörten Monarchen, Intellektuelle und Künstler wie der Musiker Yehudi Menuhin, der Autor Aldous Huxley, der Philosoph Jiddu Krishnamurti und die damals 90-jährige Königin Elisabeth von Belgien. Bis heute gilt sein Stil als einer der exaktesten und therapeutischsten Arten, Yoga zu üben. In den präzisen Anweisungen des Iyengar Yoga rollt sich die Haut ein, heben sich die inneren Knöchel, schneiden Fußkanten in den Boden und nehmen kleine Zehen eine mystische Verbindung zur Schulter ein. Kehrseite der Medaille: Iyengars Stil brachte das Verständnis von perfekter Ausrichtung ins Hatha Yoga und setzte klare Standards von „falsch“ und „richtig“.

Diese starke Orientierung bildete die Grundlage für den Yogaweg zweier Frauen aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Was Iyengars Tochter Geeta und die Engländerin Angela Farmer jedoch zunächst verband, war ihre gemeinsame Auffassung von Autorität als männlicher Eigenschaft und ihre Faszination für die klare Linie Iyengars. Beide gelten als Pionierinnen des speziellen Yoga für Frauen. Wie ihre Lebensgeschichten auf den folgenden Seiten zeigen, verlief ihre Entwicklung jedoch sehr unterschiedlich: Während Geeta fest in der indischen Tradition steht, ihre Arbeit bis heute dem ehrenden Andenken ihres Vaters widmet und ihre Praxis gezielt auf die weibliche Anatomie abstimmt, gilt Angela als sanfte „Rebellin“, die sich mit ihrem Partner Victor van Kooten in den 1980er-Jahren aus dem immer elitärer werden Iyengar-Zirkel löste und seither ihr „Underground Yoga“ unterrichtet. Damit inspiriert sie besonders Frauen, ihre Schattenseiten zu ergründen und ihre individuelle Natur und Wahrheit zu leben.

Mit diesem Weg steht sie nicht allein: Ihre Weggefährtin Judith Hanson Lasater, die mit Iyengar nicht nur übte, sondern auch zum Bowling ging, transformierte die Praxis zum Restorative Yoga. Auch die eng befreundeten Iyengar-Schülerinnen Vanda Scaravelli und Dona Holleman fanden über die Auseinandersetzung mit Musik und Tanz zu neuen Ausdrucksformen.

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