Erinnern Sie sich? Vor einiger Zeit teilte im deutschsprachigen Raum plötzlich alle Welt dieses Video von einer jungen, blonden Poetry-Slammerin, die in einem Bielefelder Hörsaal vom Sinn des Lebens sprach: „Eines Tages, Baby …” Die eine Hälfte des Freundeskreises war prompt schockverliebt, die andere motzte: „Bäh, naiv!”, und wie es oft so ist, wenn jemand polarisiert, war dies der Beginn einer rasanten Erfolgsgeschichte. Rund vier Jahre später hat die Schauspielerin und ehemalige Psychologiestudentin Julia Engelmann drei Bücher veröffentlicht, zahlreiche Talkshow-Auftritte und Bühnenshows absolviert – und kürzlich mit „Poesiealbum” ein eigene CD herausgebracht. Ein Gespräch über kritische Stimmen, Yoga im Hotel und die Frage: „Lebe ich das Leben, das zu mir passt?”
Du tourst zur Zeit durch Deutschland und Österreich. Wie läuft es bis jetzt?
Wunderbar, ich bin immer wieder neu geflasht, wie viele schöne, sympathische Menschen da zusammenkommen, mittanzen usw.
Der Titel deiner Platte, „Poesiealbum”, passt perfekt. Benutzt man ihn im Hinblick auf Literatur, schwingt da jedoch manchmal auch etwas Belächelndes mit. Spielst du absichtlich mit dieser Doppeldeutigkeit?
Ach, nein. Für mich ist der Begriff rundum positiv besetzt. Ich erinnere mich sehr gerne zurück daran, wie Freundschaftsbücher und Poesiealben damals in der Klasse herumgegangen sind. Ein Freund hatte die Idee, mein Album so zu nennen, und mir gefiel das.
Ich habe meine Bücher von damals auch noch. Wie kam es denn überhaupt zu dem Album, war das ein Herzenswunsch von dir oder hat es sich einfach ergeben nach dem, was in den letzten Jahren so mit dir passiert ist?
Ehrlich gesagt: beides. Ich bin sicher nicht mega-virtuos, habe aber immer schon gerne Musik gemacht, Klavier gespielt oder Gitarre, doch ein eigenes Album war keine ernsthafte Option für mich. Bei meinen Lesungen habe ich aber gern mal ein Lied eingebaut, daraus wurden dann nach und nach mehr. Dass sich daraus letztlich ein Album ergeben hat, habe ich nicht erwartet, aber ich war auch nicht so überrascht. Ich freue mich einfach.
Nun teilst du ja mit den meisten Prominenten das Schicksal, neben Zuspruch auch Gegenwind zu erfahren. Wie nahe geht dir Kritik?
Kommt ganz darauf an, wie sie vorgebracht wird. Dass meine Gedichte nicht jedermanns Geschmack treffen, damit kann ich umgehen. Ich kann auch nachvollziehen, dass jemand genervt ist, wenn er auf Facebook oder so zigmal über mein Video stolpert, obwohl er das gar nicht sehen wollte. Sagen wir so: Solange mir jemand grundsätzlich wertschätzend, empathisch und liebevoll begegnet, nehme ich seine Kritik gerne an.
Sieht ganz so aus, als lebst du tatsächlich diese positive Grundhaltung, die man aus deinen Texten kennt. Hilft dir Yoga dabei?
Schon ein wenig, glaube ich. Ich liebe Yoga, diese Philosphie von „Jeder bleibt auf seiner Matte”, sprich: bei sich, und vergleicht sich nicht permanent mit anderen. Sei gut zu dir, schöpfe aus deinen eigenen Möglichkeiten … Das fängt ja im Kopf schon an. Nach einer Ses-sion bin ich jedenfalls immer sehr entspannt.
Geht mir genauso. Wann hast du Yoga für dich entdeckt?
Vor ungefähr drei Jahren. Ich praktiziere hauptsächlich Vinyasa und ab und zu Yin Yoga. Auch Ashtanga interessiert mich sehr, das habe ich dieses Jahr mal ausprobiert, aber noch nicht regelmäßig geübt.
Würdest du so weit gehen zu sagen: Yoga hat dein Leben verändert?
Ach, schwer zu sagen, das Leben ändert sich ja so oder so ständig, nicht wahr? Da gibt es selten klare Anfänge und Enden. Aber Gedanken, Haltungen können einiges verändern, und da gibt es dann natürlich Hobbys und Tätigkeiten, die dem zuspielen. Yoga bereichert mich auf jeden Fall. Für jemanden wie mich, die ich schnell abgelenkt bin, stellt es ein gutes Gegengewicht dar. Ich starte zum Beispiel morgens im Hotel mit einer kleinen Session, wenn ich auf Tour bin, oder gehe zwischendurch auch so mal in den herabschauenden Hund, um runterzukommen. Es geht bei Yoga nicht um Leistungsdruck, das gefällt mir.
Wobei man beim Blick auf die Szene manchmal durchaus den Eindruck bekommen kann, dass es den gibt, oder?
Na ja, ganz abstellen lässt sich das vielleicht nicht – der Vergleich mit anderen ist vermutlich etwas zutiefst Menschliches. Ich versuche aber, mich auf den Teil der Philosophie zu konzentrieren, der mir guttut.
Verstehe. Ich habe vorhin nicht zufällig nach dem Thema Veränderung gefragt – Wachstum und Wandel ist nämlich das Schwerpunkt-Thema dieser Ausgabe. Hast du dazu Assoziationen?
Lustig, ja – zufällig habe ich erst neulich mit einem Freund darüber gesprochen. Im Grunde verhält es sich doch so: Entwicklung und damit auch Wandel ist kein linearer Prozess, das Ganze verläuft eher in sich überlappenden und wechselnden Phasen. Im ersten Moment denkt man bei Wachstum ja oft an „Höher, schneller, weiter”, aber dass das nicht zufriedener macht, hat sich mittlerweile vielleicht ein bisschen rumgesprochen.
Neben „höher, schneller, weiter” gibt es ja auch dieses Gefühl von „nichts verpassen wollen”, das damit ein wenig verwandt ist. Auch deine Texte handeln immer wieder vom „Carpe diem”. Andererseits ist es unmöglich, nichts zu verpassen. Wie gut kommst du mit diesem Konflikt klar?
Hm, na ja, da geht es sicher viel um das Gefühl der Vergänglichkeit. Wir leben nun mal nicht ewig, daher ist es wahrscheinlich ein Stück weit normal, sich regelmäßig zu fragen: „Ist das jetzt gerade die schönste Version meines Lebens, die mir möglich ist?” Ich glaube, mit der Zeit lernt man, besser zu spüren, wie man seine Tage am besten nutzen kann, das kann man trainieren wie Muskeln. Will ich wirklich noch auf dieser Party bleiben oder täte mir Ruhe besser? Solche Dinge … Das ist eine Frage der Haltung.
Gibt es Punkte, in denen du deine Haltung gerne ändern würdest?
Ja, natürlich, ganz viele. Aber oft sind Dinge schon ganz gut, so wie sie sind, auch wenn wir das mitunter erst im Nachhinein erkennen. Mal ehrlich, wer hat denn schon je das Gefühl: Okay, jetzt ist alles in meinem Leben „fertig”? Der Spruch scheint zwar abgegriffen, aber es ist schon was dran: „Der Weg ist das Ziel.” Trotzdem will ich mich natürlich weiterentwickeln. Mehr Geduld haben zum Beispiel, auch im Sinne von biografischer Geduld. Das bemerke ich auch in meinem Umfeld: Viele wollen am liebsten sofort wissen, wohin ihre Reise mal geht.
Und dann kommt doch alles anders und ist irgendwie trotzdem okay – sage ich jetzt mal mit der Erfahrung einer 41-jährigen. Wenn ich mir die jungen Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis angucke, habe ich einen ähnlichen Eindruck: Viele sind deutlich zielstrebiger und fokussierter, als wir es seinerzeit waren.
Das liegt vermutlich daran, dass wir so viel Zugriff auf unterschiedliche Lebensmodelle haben. Wir sind permanent konfrontiert mit „So toll kann es werden” oder auch „Wenn ich mich nicht anstrenge, dann ende ich so” … Diese ständigen Vergleichsmöglichkeiten machen ein In-den-Tag-Hineinleben oft schwierig. Natürlich lässt sich nicht alles beeinflussen, auch wenn es manchmal so scheint. Trotzdem wollen wir es ja alle irgendwie hinbekommen, zufrieden zu sein mit dem Leben, das wir führen.
Das erinnert mich ein bisschen an mein eigenes Lebensmotto: „Glück ist eine Entscheidung”. Vor einigen Monaten las ich allerdings den sehr schlüssigen Artikel eines Depressiven, der sich von solchen Sprüchen angegriffen fühlte. Seitdem benutze ich sie deutlich vorsichtiger. Du wirst sicher auch manchmal mit solchen Argumenten konfrontiert, oder?
Puh, ja. Da muss man natürlich differenzieren, Lebensglück ist ja etwas sehr Komplexes. Einem Depressiven oder jemandem, der einen schlimmen Schicksalsschlag erlitten hat, brauchst du nicht mit einem „Hey, lach doch mal!” zu kommen, das ist klar. So möchte ich meine Songs auch nicht verstanden wissen. Es ist auch nicht so, dass ich niemals traurig, melancholisch oder wütend bin. Alle Gefühle sind wichtig und auf ihre Weise poetisch, aus allen kann man etwas ziehen. Wenn ich sinngemäß darüber schreibe, dass man sich für das Glück entscheiden kann, geht es mir mehr um die Punkte, die ich wirklich selbst in der Hand habe. Und bei denen will ich eben das Gute wählen, den positiven Weg.
Kannst du dir verzeihen, wenn dir das mal nicht gelingt?
Na ja, natürlich bin ich am liebsten fröhlich, aber so wie sich Frühling, Sommer, Herbst und Winter abwechseln, so ist das eben auch mit Gefühlen. Wichtig ist, sich nicht unterkriegen zu lassen, nicht zu streng mit sich zu sein und sich bewusst zu machen, dass normalerweise auf schlechte Zeiten auch wieder schöne folgen. Es hilft dabei, sich mit Menschen zu umgeben, die einem gut tun.
Auch deine Texte tun vielen gut – kannst du dich an besonders berührende Nachrichten erinnern?
Oh, da gibt es ganz viele. Wenn ich mit meiner Familie auf Tour bin, lesen wir einander manchmal vor, was mir so geschrieben wurde. Da sind so tolle Dinge dabei. Paare, die sich auf meinen Veranstaltungen kennengelernt haben, junge Mädchen, die mir wunderschöne Gedichte schreiben, oder Menschen, die gerade in der Klinik sind oder sich in einer schwierigen Phase befinden und erzählen, dass meine Texte ihnen Mut machen.
Das klingt großartig, aber auch nach einer gewaltigen Verantwortung. Macht dir die manchmal Angst?
Ach, ich glaube irgendwie an so eine Art großen, allgemeinen Pool, in den von verschiedenen Seiten immer wieder Gedanken wie meine geschüttet werden. Es braucht Menschen, die ihr Innenleben öffnen und teilen. Schön, wenn ich mit meinen Gedichten dazu beitragen kann, dass Menschen einander begegnen oder positive Entscheidungen treffen. Aber wenn ich es nicht täte, dann gäbe es genug andere, davon bin ich überzeugt.
Das klingt schön und traurig zugleich. Man könnte es interpretieren als „Alle sind ersetzbar” oder aber als „Alles ist im Fluss”.
Na, dann wäre ich doch mal eher für letzteres. (lacht)“