Was den Italienern ihre Pasta, ist den Indern ihr Dal. Hier erfahren Sie, warum der wärmende, sättigende Eintopf in seinen vielen Varianten auch unter Yogis so beliebt ist.
Ich erinnere mich noch gut an den besonderen Geruch des Ashrams, in dem ich Anfang zwanzig lebte. Bald fand ich heraus, dass er sich zu gleichen Teilen aus Räucherstäbchen, der göttlichen Präsenz und Dal zusammensetzte – dem würzigen, suppenartigen Eintopf aus Hülsenfrüchten, der weit über die Grenzen Indiens hinaus beliebt ist. Der dem Ashram-Leben geschuldete Verzicht auf Knoblauch und Zwiebeln (sie stehen bei strengen Yogis im Verdacht, Agni, das „innere Feuer“ auf ungewünschte Art anzuregen) tat dem Geschmack keinerlei Abbruch: Nichts konnte mich am Ende eines langen Nachmittags voller Asanas und Karma-Dienst glücklicher machen, als meinen Löffel in den duftenden, würzigen Brei zu tauchen – eine cremige Symphonie aus weich gekochten Split-Linsen, Kurkuma, Kreuzkümmel, Koriander und Ingwer, serviert auf einem Bett aus dampfendem Basmatireis. Und genau so, wie ich mich nach meiner ersten Yogastunde genährt, zufrieden und ein bisschen angefixt gefühlt hatte, empfand ich auch den Genuss des Dal: Es war das befriedigende Gefühl, mir etwas richtig Gutes zu tun.
Heute weiß ich, dass die heilende und nährende Wirkung von Dal nicht nur dem Zauber des Ashrams (und meinem Mangel an Zucker und Sex) zu verdanken war: Dal ist seit jeher ein klassisches Yogi-Gericht, denn es gehört zu den so genannten sattvischen Nahrungsmitteln. Genau wie Ghee (geklärte Butter), Kräutertee, Honig oder frisches Gemüse gilt auch Dal als „rein“ und soll Sattva, also Harmonie, Frieden und Gleichgewicht, fördern. Den Hintergrund erklärt Kantha Shelke, Ernährungswissenschaftlerin und Yogini aus Chicago: „Die Yogaphilosophie meidet das Übermaß und spricht sich für Mitahara, eine maßvolle Ernährungsweise, aus.“ Das günstige, nährstoffreiche Dal passt wunderbar in dieses Konzept. Shelke schwärmt: „Die geballten Nährstoffe des Dal und die aromatischen Gewürze nähren sowohl den Körper als auch die Sinne.“ In anderen Worten: das perfekte Gericht für Menschen, die Körper und Leben ins Gleichgewicht bringen möchten – also das perfekte Gericht für Yogis.
Ein Hoch auf Hülsenfrüchte
Ähnlich wie Yoga ist Dal in Indien allgegenwärtig. Kein Wunder: Der Hauptbestandteil (verschiedene Arten von Hülsenfrüchten, meistens Linsen) ist günstig, vegetarisch und dennoch proteinreich und dabei ganz einfach zuzubereiten. Ein Grundnahrungsmittel für Arm und Reich, Alt und Jung. Die erste feste Nahrung indischer Babys besteht in der Regel aus einem wässrigen Mungbohnen-Dal ohne Gewürze. Laut Ayurveda, der alten indischen Heilkunst und Schwesterwissenschaft des Yoga, eignet sich Dal für alle drei Doshas (Konstitutionstypen) und wird sogar als Medizin eingesetzt: Man behandelt Bauchschmerzen oder grippale Infekte zumindest teilweise mit Dal.
Yogis nutzen Kitchari, ein würziges Dal aus Linsen, Reis und Ghee, während spezieller Fastenkuren oder um das Fasten zu brechen. Jede Region und jede Familie kennt unzählige verschiedene Dal-Gerichte. Auch wenn dabei immer dieselben vier bis fünf Sorten von Hülsenfrüchten zum Einsatz kommen, sorgt das variantenreiche Tarka, die scharfe Mischung aus Gewürzen und Öl, für Abwechslung. In Südindien findet man zum Beispiel Sambar, ein Dal aus gelben Linsen (Toor Dal, eigentlich geschälte, gespaltete Straucherbsen) oder Kichererbsen (Chana Dal) mit Gemüse. Ein südindisches Tarka enthält in der Regel Senfsamen und Curryblätter. Weiter im Norden, etwa im Punjab, besteht das typische Tarka aus Kreuzkümmel, Zwiebeln, Ingwer, Knoblauch und etwas Garam Masala – eine wärmende Mischung für kühleres Klima. An der tropischen Küste im kokosnussreichen Kerala wird Dal auch mal mit Kokosmilch zubereitet.
Dal selber kochen
An der Wahl der Hülsenfrüchte kann man nicht nur die regionale Herkunft festmachen, sie bestimmt auch Zubereitung und Nährstoffgehalt: Je naturbelassener die Hülsenfrucht, desto länger die Kochzeit und höher der Nährwert. Und auch wenn Dal im Sanskrit „teilen“ oder „aufspalten“ bedeutet, werden manche Hülsenfrüchte doch im Ganzen gekocht. Die lachsfarbenen roten Split- Linsen (Masoor Dal) zum Beispiel zerfallen nach etwa 12 Minuten zu Brei. Es gibt sie aber auch im Ganzen und ungeschält. Dann sind sie braun und brauchen mehr als 45 Minuten, um gar zu werden.
Im Westen lernt man, Linsen bissfest zu kochen, in Indien bevorzugt man dagegen eine breiartige Konsistenz – also weg mit der Vorstellung vom Linsensalat und eher orientieren an Haferbrei. Um einen simplen Linsenbrei in ein unvergessliches Geschmackserlebnis zu verwandeln, sollten Sie sich beim Kochen vor allem auf das Tarka konzentrieren. Doch Vorsicht: Zu lang angebraten, verwandelt sich die köstlichste Gewürzmischung in bittere, verkohlte Reste; zu kurz angebraten können sich die Aromen nicht ausreichend entfalten. Damit das Tarka optimal gelingt, gilt folgende Faustregel: Die Tarka-Zubereitung dauert insgesamt maximal 2 bis 3 Minuten. Sobald das Öl oder Ghee heiß ist, geben Sie die ungemahlenen Gewürze wie Koriander- und Kreuzkümmelsamen in der angegebenen Reihenfolge hinein und warten, bis sie anfangen zu knistern. Nach 30 bis 40 Sekunden bei mittlerer oder starker Hitze, wenn die Gewürze rötlich-braun werden und duften, fügen Sie Zwiebeln, Ingwer und/oder Knoblauch hinzu. Ganz zum Schluss kommen die Gewürze in Pulverform in die Pfanne, die schnell anbrennen.
Anupy Singlas Familie, bei der es jeden Abend irgendeine Form von Dal gibt, beschwert sich manchmal: „Schon wieder Linsen?!“ Aber das variantenreiche Aufeinandertreffen von Linsen und Tarka hat geschmacklich etwas so Magisches, dass die Familie immer wieder einlenkt, sobald das Essen beginnt. „Das faszinierende Zusammenspiel der Aromen macht einfach süchtig.“ Mit diesen vier einfachen Rezepten von Anupy Singla dampfen schon bald auch in Ihrer Küche Schalen mit köstlichem Dal.