Yogalehrerin Eva wagt den Blick hinter die perfekte Yogakulisse, wo neue Sichtweisen auch mal auf unbequeme Fragen und eine ordentliche Portion Humor treffen. Thema heute: Sollen Gelenke knacken oder nicht?
Es passiert eigentlich in fast jeder Yogastunde und ich kündige es sogar häufig an: “Jetzt könnten einige Gelenke knacken!”. Und tatsächlich enttäuschen meine Schüler*innen mich fast nie. Todsicher und sehr eindrucksvoll klappt es, wenn wir langsam in die Knie gehen: Die Geräusche können sehr laut sein und erinnern daran, wenn man Walnüsse mit einem Nussknacker öffnet. Je nach Größe, Position und Kongruenz des Gelenks variiert das Geräusch übrigens tatsächlich und die Bandbreite reicht vom herzhaften Knacken bis zum leisen, hellen Klicken.
“Zu Hause” in Ostfriesland ist es gang und gäbe, bei Blockaden direkt den “Knochenbrecher” des Vertrauens aufzusuchen. Die Behandlung ist nichts für Zartbesaitete, aber die Mehrzahl meiner Bekannten schwört auf diese Art der Behandlung, bei der natürlich nicht wirklich Knochen gebrochen, wohl aber geräuschvoll und manchmal unter vollem Körpereinsatz wieder an die “richtige” Stelle gebracht werden. Tamme Hanken († 2016) behandelte überwiegend Pferde und verhalf dem Berufszweig durch seine eigene TV-Show zu einem gewissen Bekanntheitsgrad.
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“Ist das normal?”
Die Begleitreaktionen von meinen Teilnehmer*innen beim Yoga sind überwiegend eher erschrocken bis besorgt (“Ist das normal?”). Auch gibt es einige Yogalehrer*innen, die wenig positiv über die Geräusche in den Gelenken (gemeint sind im Folgenden freilich immer: Diarthrosen) sprechen und eher Angst verbreiten und diese Sorgen somit füttern. So wird einem unter Umständen gerne mal erzählt, dass man aktuell eine “Arthrose entwickelt”, es sich um “Alterungsprozesse” handelt und man “bald ein künstliches Gelenk braucht!”. Ich habe es schon häufiger erlebt, dass dazu geraten wurde, entsprechende Bewegungen zu vermeiden.
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Die Vakuum-Hypothese
Über die genaue Ursache der Geräusche gab und gibt es verschiedene Theorien. In den letzten Jahren hat sich die “Vakuum-Hypothese” durchgesetzt, die besagt, dass es sich hierbei um das Zusammenfallen von Gasbläschen (CO2) in den Gelenkhöhlen handelt. Bei Frauen hört man die Gelenke übrigens durchschnittlich häufiger, was am weicheren Bindegewebe liegt. Kennt man die Theorie, ist es logisch: Je mobiler die Gelenke, je großzügiger der Gelenkspalt, desto häufiger kann es überhaupt zu Gaseinschlüssen kommen.
Neben dem klassischen Beispiel der Knie wird mir häufig von Geräuschen im Bereich der Hüfte berichtet. Nicht nur das Geräusch ist hierbei anders, sondern auch das Gefühl ist eher ein “Schnalzen”. Ist das der Fall, handelt es sich um eine Sehne, die sich über einen Knochenvorsprung an der Vorderseite des Beckens bewegt – oder man hört die Bewegung eines Bandes über dem Trochanter major.
Ist Knacken ein Zeichen für Gesundheit?
Ich lade dich auf Basis dieser Theorie zum Weiterdenken ein und ich lese mich aktuell noch weiter in diese Thematik ein, jedoch ohne bisher auf die ultimative Quelle gestoßen zu sein. Aber es leuchtet ein, dass immer mehr Expert*innen die These vertreten, dass man genau andersherum denken muss: Es ist ein Merkmal gesunder Gelenke, überhaupt Geräusche produzieren zu können! Die Voraussetzung hierfür sind nämlich ein gesunder Gelenkspalt und gut geschmierte Gelenkpfannen. Wenn ein Knie arthritisch wird und an Beweglichkeit verliert, nimmt diese Art von Geräuschbildung tatsächlich ab.
Bei Schmerzen Ursache unbedingt abklären
Natürlich sollte man unter gewissen Umständen oder bei Zweifeln einen Arzt oder eine Ärztin konsultieren: Bei Begleitsymptomen wie Schmerzen, Schwellungen oder im Rahmen einer akuten Verletzung muss man sich unbedingt eine Expert*innenmeinung einholen. Auch kommt es immer auf den individuellen Bau des Skeletts, auf eventuelle Fehlstellungen und die Längenverhältnisse der Muskulatur an. In diesen Fällen ist das beruhigte Ignorieren von Knackgeräuschen keine Dauerlösung, insbesondere wenn es sich nicht nur einmalige Phänomene, sondern um einen sogenannten Krepitus handelt. Hier muss man unbedingt die Ursache abklären, um langfristige Binnenschädigungen im Gelenk auszuschließen. Dennoch ist mit dem Besuch beim Yoga der Anfang gemacht und idealerweise kann der*die Lehrer*in die Geräusche deuten und darauf eingehen.
Vorsicht mit falschen Suggestionen
Wenn ein*e Yogalehrer*in das Phänomen allerdings automatisch mit Degeneration und Funktionsstörungen in Verbindung bringt, dann ist das schlichtweg falsch. Viel zu häufig werden durch Worte und Reaktionen von Lehrenden Sorgen und Katastrophenszenarien in den Köpfen der Teilnehmenden angeregt. Wenn suggeriert wird, dass bestimmte Gelenkgeräusche und ergo bestimmte Bewegungen von Natur aus besorgniserregend sind, kann dieses Verhalten zur Verringerung des Bewegungsradius oder gar zur Vermeidung bestimmter Bewegungen führen, was seine eigenen, negativen Folgen hat. Und eigentlich sollte das genaue Gegenteil doch das erklärte Ziel deiner Lehrerin oder deines Lehrers sein.
Kein Grund zur Sorge
“Wo gehobelt wird, fallen Späne”, kann man zusammenfassend sagen. Denn so verhält es sich auch mit Gelenkgeräuschen, die in der Mehrzahl ein völlig normales, gutartiges Nebenprodukt von Bewegungen sind. Wenn die Geräusche schmerzfrei und asymptomatisch sind, besteht definitiv kein Grund zur Sorge und sie sind nicht unbedingt ein Zeichen für eine Funktionsstörung im Körper! Bisher konnte ich keine gesicherte Quelle finden, die Zusammenhänge zwischen Gelenkgeräuschen und Gelenkpathologien zeigte.
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Unsere Mythbuster-Kolumnistin und Yogalehrerin Eva kommt ursprünglich aus dem Leistungssport. Aufgrund einer gesunden Neugier liebt sie es, sich mit anatomischen Fragen auseinanderzusetzen und so den eigenen Körper besser zu verstehen. Zusätzlich nutzt sie ihr Wissen, um die Yogawelt immer inklusiver zu machen. Mehr Infos auf Instagram: @yogacycle_by_eva. Porträtbild: Sonja Netzlaf www.sonjanetzlaf.com
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