Wenn wir an Verspannungen denken, dann meinen wir meistens Muskeln oder Faszien. Was wir häufig vergessen, sind unsere Nerven – doch gerade bei Schmerzen spielen sie eine entscheidende Rolle. In dieser Reihe zeigt dir Gül Ruijter einfache Übungen zur Mobilisation der wichtigsten Nervenbahnen. Also: Arms up! – den Auftakt macht die obere Extremität.
Text & Sequenz: Gül Ruijter, Fotos: Hanna Witte, Outfit: Kismet Yogastyle
Aua! Sicher kennst du das: Es spannt im Nacken. Oder in den Schultern. Oder im Rücken. Du fasst hin und kannst richtig spüren, wie hart das Gewebe an dieser Stelle ist. Früher dachte man: Oh weh, das sind Muskeln, die nicht mehr locker lassen wollen. Inzwischen wissen die meisten von uns: Muskeln gehören zu einem komplexen System an Faszien, also Bindegeweben – und da spannt meist sehr viel mehr als nur der eigentliche Muskel.
Aber wie spielen Spannung und die Empfindung von Schmerz überhaupt zusammen, wie gelangt die Information, dass da etwas nicht in der Balance ist, ins Gehirn? Für diese Kommunikation sind Nerven zuständig: Sie sind Grundlage für fast alle Funktionen unseres Körpers. Der Körper reagiert sehr sensibel und eindeutig, wenn Nerven in irgendeiner Form eingeschränkt oder gestresst sind, zum Beispiel mit Kribbeln, Taubheit, Empfindungsstörungen und sogar Lähmungen. Die “eingeschlafenen Füße” sind ein gutes Beispiel dafür, wie Nerven reagieren, wenn sie kurzzeitig eingeklemmt sind.
Aber auch sonst gilt: Wenn eine Nervenbahn sich nicht frei bewegen kann, nicht gut durch das umliegende Gewebe gleitet oder irgendwo eingeengt ist (im Extremfall durch einen Bandscheibenvorfall), dann meldet sie nicht nur Schmerz ans Gehirn, sie erzeugt auch selbst Spannung im sie umgebenden Gewebe – und meist wissen wir gar nicht, dass das der eigentliche Grund für unsere Verspannung ist. Umgekehrt schenken dir mobile Nerven ein Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit in deinen Bewegungsabläufen – und unterstützen so auch deine Yogapraxis.
Im ersten Teil unserer kleinen Reihe zur Nervenmobilisation stellen wir dir die Mobilisation der drei Haupt-Nervenstränge in den Armen vor. Die Übungen sind super als Warm-up oder Vorbereitung für eine armlastige Yogasequenz geeignet. Du kannst sie aber auch ganz einfach im Alltag nutzen. Zum Beispiel, wenn du lange Stunden am Schreibtisch sitzen musst.
Test: Vorher und nachher
Setze dich, bevor du beginnst, aufrecht hin und hebe die gestreckten Arme langsam über vorne bis neben die Ohren. Spüre genau hin und beobachte, wie sich diese Bewegung anfühlt – und was du bei gehobenen Armen wahrnimmst. Dann noch mal: Hebe die Arme langsam über die Seiten. Denselben Test machst du noch einmal nach den drei folgenden Übungen. Spürst du den Effekt?
1. Mobilisation des Nervus Medianus
Er entspringt am mittleren/unteren Teil der Halswirbelsäule und verläuft mittig und innen am Arm entlang durch die Ellenbeuge bis zur Hand. Dort innerviert er die Innenseite der Hand vom Mittelfinger bis zum Daumen. Er sendet Signale zur Bewegungsausführung der meisten Beugemuskeln im Arm.
Sitze aufrecht und lass die Arme zunächst hängen. Dann hebst du die Hände etwas nach vorne und oben, drehst die Fingerspitzen nach außen und spreizt die Arme leicht nach außen. Es kann sein, dass du einen Zug an einem oder beiden Mittelfingern spürst. Halte die Arme und Hände in dieser Position. Bewege zunächst die Schultern 5–10 Mal langsam auf und ab. Anschließend drehst du den Kopf langsam 3–5 Mal nach links und rechts. Denke während dieser und den kommenden Übungen daran, dich möglichst sanft und achtsam zu bewegen.
2. Mobilisation des Nervus Ulnaris
Der Nervus Ulnaris entspringt aus dem untersten Teil der Halswirbelsäule und verläuft an der Innenseite seitlich des Armes bis hin zum kleinen Finger. Im Volksmund heißt er fälschlicherweise auch “Musikantenknochen”. Dieser Nerv innerviert den kleinen Finger und die Hälfte des Ringfingers.
Wie schon in Übung 1 sitzt du zu Beginn aufrecht und lässt die Arme locker hängen. Dann hebst du die Hände nach vorne und oben, beugst die Ellenbogen und drehst sie zu den Seiten auf. Deine Handinnenflächen sind jetzt ungefähr neben deinen Ohren. Es kann sein, dass du einen Zug an der Kleinfingerseite spürst. Halte die Arme in dieser Position und bewege die Schultern wieder 5–10 Mal langsam auf und ab und danach den Kopf 3–5 mal nach links und rechts.
3. Mobilisation des Nervus Radialis
Er entspringt aus dem mittleren/unteren Teil der Halswirbelsäule und verläuft an der Rückseite des Armes bis hin zum Handrücken. Dort innerviert er den Handrücken vom Mittelfinger bis zum Daumen. Er ist zuständig für die Arm- und Fingerstrecker, wie zum Beispiel den Trizeps-Muskel. Auch dieser Nerv sendet Berührungs- und Empfindungssignale in seinem Wirkungsbereich an das Gehirn zurück.
In der dritten Übung hebst du die Hände aus der Ausgangsposition mit hängenden Armen nach hinten. Dabei drehst du die Fingerspitzen zur Seite und bewegst die Arme ein Stück nach hinten. Es kann sein, dass du einen Zug im Bereich der Daumen spürst. Halte die Arme in dieser Position und bewege die Schultern wieder 5–10 Mal langsam auf und ab und danach den Kopf 3–5 mal nach links und rechts.
HINWEIS: Allgemein gilt für Nervenmobilisationen, dass du sehr achtsam üben solltest. Es kann durchaus etwas kribbeln oder ziehen, in einem schmerzfreien Ausmaß ist das unproblematisch. Wenn du jedoch merkst, dass eine Übung sehr unangenehm wird oder ein Taubheitsgefühl auftritt, dann solltest du wieder etwas aus der Bewegung rausgehen und viel sanfter mit dir und deinen Nerven sein.
Hier geht’s zu Teil 2 – Nervenmobilisation in den Beinen (Ischias):
Gül Ruijter kennt sich aus mit Verspannungen und Schmerzen: Als Physiotherapeutin weiß sie genau, wie hier was zusammenhängt. Als Yogalehrerin kann sie dem klassischen Repertoire der “Krankengymnastik” allerdings noch viele ganzheitliche Bewegungen hinzuzufügen. Erfahre mehr über Gül und ihre Arbeit unter vondermatteinsleben.de, auf Insta @vondermatteinsleben oder in ihrem Podcast “Von der Matte ins Leben”.
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