Leber und Galle sind das Königspaar für Entgiftung und Fettverbrennung. Ihr Funktionszyklus ist aus Sicht der TCM sinnbildlich für den Fluss der Lebensenergie, des Qi. Hier erfährst du, wie du die empfindliche Harmonie dieser wertvollen Organe erhalten und ganzheitlich im Fluss bleiben kannst – auch mit Yoga.
Text: Andrea Goffart / Titelbild: Foxys_forest_manufacture / Getty Images Pro via Canva
Leber und Leben – nur ein einziger, winziger Strich fehlt und es wäre dasselbe Wort. Die mittelalterliche Gelehrte Hildegard von Bingen sah – genau wie viele Heilkundige seit der Antike – da durchaus einen Zusammenhang. Für sie war die Leber “Sitz des Lebens”. In ihrer Lehre der vier Körpersäfte nimmt unser größtes (und mit bis zu zwei Kilo schwerstes) Organ daher eine zentrale Rolle ein: Hier entspringt nach Hildegards Vorstellung nicht nur unsere Lebenskraft, hier brennen auch unsere stärksten Gefühle, etwa Zorn und Begierde. Heute können wir die zentrale Bedeutung der Leber auch schulmedizinisch begründen: Als Zentralorgan des Stoffwechsels kommen ihr essenzielle Aufgaben zu, die unseren gesamten Organismus im Fluss halten – meistens …
Ein perfekter Kreislauf

Dafür, dass die Leber so viel Raum einnimmt, führt sie ein ziemliches Schattendasein. Einer der Gründe: Sie hat keine Schmerzrezeptoren.
Manchmal genügt allerdings schon die kleinste Gemütsbewegung, um uns aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es reicht, wenn uns eine “Laus über die Leber läuft” – und schon “geht uns die Galle über”. Die Redewendungen rund um Leber und Galle sind zahlreich und zeigen: Ähnlich wie unsere Gefühlswelt muss auch die Leber mit allem klarkommen, was wir ihr bieten. Sie macht das Beste daraus und gibt es unserem Körper dann wieder zurück. Als Stoffwechselzentrale ist die Leber Teil unseres Immunsystems, sie überprüft und filtert fortwährend das Blut, über das ihr der Darm die Inhaltsstoffe unserer Nahrungs- (und Medikamenten-) Aufnahme zur Verfügung stellt. Für diese Aufgaben benötigt sie selbst eine Menge Treibstoff – sogar mehr als das Gehirn – und sie setzt diese Energie mannigfaltig ein: Sie scheidet Giftstoffe aus, reinigt, verwertet und versorgt unseren Körper mit essenziellen Nährstoffen: Zucker, Eiweiße, Blutgerinnungsfaktoren, Antikörper und Cholesterin.
Außerdem beeinflusst die Leberfunktion unseren Hormonhaushalt. Inhaltsstoffe, die aktuell vom Körper nicht benötigt werden, speichert sie so lange, bis eine Bedarfsmeldung kommt – Hirn an Leber: Ich brauche Zucker, ich muss denken. Und was die Leber nicht verwenden kann, entsorgt sie über die Nieren oder verpackt es in Gallenflüssigkeit (bis zu einemLiter pro Tag), die unserem Darm dann zur Fettverdauung über das Speicherorgan Gallenblase zur Verfügung gestellt wird. So entsteht ein perfekter, ganzheitlicher Kreislauf.
Stehaufmännchen
Körperliche Gesundheit, geistige Balance und seelische Ruhe – alle drei basieren auf unserer Fähigkeit, diesen Zyklus dabei zu unterstützen, sich um Reinigung und Lebendigkeit zu kümmern und den Organismus mit allem zu versorgen, was gerade benötigt wird. Funktioniert der Kreislauf reibungslos, leert die Leber ihre Speicher immer wieder aus – sie reinigt sich selbst. Sogar einseitige Ernährung, Umweltgifte, Medikamente, Alkohol – die Leber wird mit all dem ziemlich gut und ziemlich lange fertig.
Ihre enorme Regenerationsfähigkeit ist Geschichte – bereits in der griechischen Mythologie hackt ein Adler dem unsterblichen Prometheus jeden Tag einen Teil der Leber heraus – der bereits am nächsten Tag wieder nachgewachsen ist. Erstaunlicherweise funktioniert dieser Mythos tatsächlich bis zu einem gewissen Grad, was sich die moderne Transplantationsmedizin zu Nutze macht. Die Leber wächst – nicht nur an ihren Aufgaben – und erneuert sich bis zum hohen Alter gut und schnell. So pendeln sich sogar eine beginnende Fettleber oder erhöhte Cholesterinwerte mit der dauerhaften Entlastung der Leber durch eine nachhaltige Umstellung der Lebensgewohnheiten wieder ein. Sie fungiert damit sinnbildlich für die immense Stehaufmännchen-Qualität unseres Seins – wenn es im Gleichgewicht ist, in der Balance. Daher mehren sich in Schulmedizin und Naturheilkunde die Stimmen, die von den trendigen, rein punktuellen (und manchmal ziemlich rabiaten) Detoxkuren abraten. Viel eher können wir durch eine insgesamt ausgeglichene, harmonische Lebensweise und Ernährung dafür Sorge tragen, dass die Leber ihren Job machen kann. Unser Beitrag zur Gesundheit von Leber und Galle läge dann nicht mehr im Tun, sondern im Lassen.
Auch nach den Prinzipien der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) bedeutet Lebergesundheit ein kontinuierliches Fließen. Dieser Lehre zufolge ist es unsere Lebensenergie, das Qi, das durch die Leber gesteuert wird. Daher gilt in der TCM die Leberaktivität – in enger Anbindung an die Verdauung – als einer der zentralen Körperkreisläufe. Gemäß des ganzheitlichen Prinzips von “Wie außen so innen” sagt die TCM, dass wir der Seele viel Aufmerksamkeit schenken sollten, wenn die Leberenergie gestaut ist. Ist sie in Harmonie, ist auch der Mensch im Fluss, ist geduldig und gütig – hingebungsvoll.
Die Kraft des Yoga

Die Autorin und Yogalehrerin Tina von Jakubowski verbindet seit vielen Jahren Yoga und TCM zu einem ganzheitlichen Ansatz und rät dazu, bewusste Impulse zu setzen – allerdings Impulse der Leichtigkeit, nicht der Anstrengung: “In der TCM ist der Funktionskreislauf von Leber und Galle dem Element Holz und dem Frühling zugeordnet – der Zeit des Aufblühens. Es ist eine gute Zeit, Neues zu beginnen und Dinge bewusst loszulassen – auch eine Zeit Pläne zu schmieden und ins Tun zu kommen”.
Wie immer in ganzheitlichen Systemen sollten wir allerdings genau hinschauen und typgerecht agieren: “Gerade Menschen mit einer Neigung zum Strukturieren, Planen und Anpacken dürfen da aufpassen, dass ihre Energie nicht in Stress umschlägt. Was ihre Leber jetzt braucht, sind Leichtigkeit und Freude”, bekräftigt Tina und erklärt, dass wir unserer Leber öfter mal Nicht-Tun gönnen dürfen. Tina bildet seit vielen Jahren Yogalehrer*innen aus und ist sich sicher, dass wir durch gezielte Asanas eine Kräftigung von Verdauung und Blutfluss erreichen, den Lebermeridian aktivieren und damit auch viel für die Frauengesundheit tun können.
Dabei muss es nicht unbedingt Yin-Yoga sein, auch wenn das durch Paul und Suzee Grilley eng mit dem System der TCM und dem Wissen um die Körpermeridiane verbunden wurde. Auch kraftvolle Vinyasa-Sequenzen eignen sich gut, um die aktivierenden Eigenschaften des Yoga für den Leber-Galle-Zyklus zu nutzen und den harmonischen Fluss der Lebensenergie zu gewährleisten. “Wir sind Gärtner, keine Mechaniker”, sagt Tina und betont, dass alle Methoden zur Gesunderhaltung immer das Gegenteil von “radikal” sind – es darf sanft sein, es darf Spaß machen. “Manchmal reicht es schon, gar nicht angestrengt zu schauen, was man isst, sondern wie man isst – sich Zeit nehmen, kauen, schmecken, so kommt unser Leberfluss in Balance.”
Nehmen und geben in Harmonie
Als Nehmende und Gebende, als wesentliche Verteilstation ist unsere Leber unermüdlich damit beschäftigt, uns in Balance zu halten, Schädliches zu eliminieren und Nahrhaftes zur Verfügung zu stellen. Ihre Aufgabe wird durch einen Lebensstil, dem viele von uns sich aktuell angepasst haben, nicht einfacher.
Tatsächlich leidet die Leber auch besonders am allgegenwärtigen Überfluss – sie muss sinnbildlich alles schlucken, was wir konsumieren und eine permanente Flut von Nahrung, Information oder Ablenkung verkraften. Ein Zuviel an Tun und Zuwenig an Sein bringt unsere Leber immer öfter an die Grenzen dessen, was sie verarbeiten kann. Leber- und Gallenbeschwerden nehmen in unserer Gesellschaft kontinuierlich zu. “Vor allem Kalorien und Toxine im Übermaß bringen die Leber an den Rand ihrer Belastbarkeit und sorgen für eine massiv erhöhte Fetteinlagerung in ihrem Gewebe”, erklärt Dr. Volker Schmiedel, der fast 20 Jahre lang die Innere Abteilung der Habichtswaldklinik in Kassel leitete. Die sogenannte Fettleber beträfe mittlerweile etwa ein Drittel der Bevölkerung in westlichen Ländern, sagt der Mediziner und Autor des Buchs “Gesunde Leber und Galle” (Goldmann, 2021).
Lebererkrankungen bleiben oft unerkannt. “Die Müdigkeit ist der Schmerz der Leber”, heißt es.
Leider bleiben Lebererkrankungen oft unbemerkt, denn das Organ hat keine Schmerzrezeptoren. “Die Müdigkeit ist der Schmerz der Leber”, heißt es. Ein wichtiger Indikator, doch wo ist die Grenze, wieviel Erschöpfung ist “normal” in dem Hochgeschwindigkeitsleben, dem wir ausgesetzt sind? Viele ignorieren die Müdigkeit, trinken Kaffee und machen weiter. Da können uns ganze Prozessionen von Läusen über die Leber laufen, bis wir es bemerken und unser wichtigstes Stoffwechselorgan vor der Überlastung retten. Wobei Kaffee tatsächlich eine gute Idee sein kann, wie Volker Schmiedel betont: Bis zu drei Tassen täglich fördern gemäß neuerer Studien die Lebergesundheit, vermutlich aufgrund der in ihm enthaltenen Bitterstoffe.
Welche Ernährung die Leber unterstützt

Mit seinen Bitterstoffen ist Löwenzahn ein Multitalent für die Leber. Blätter und Blüten machen sich super im Salat, auch die Wurzel kann man verwenden. Für einen Leber-Tee brühst du getrocknete Wurzeln und Blätter mit heißem Wasser auf.
Was können wir sonst tun, um den Funktionszyklus von Leber und Galle in Schwung zu halten? Dr. Schmiedel sagt: “Gerade zum Gesunderhalt oder im Anfangsstadium von Störungen können wir sehr gut mit natürlichen Heilmitteln helfen. Der Leberwickel, drei- bis siebenmal pro Woche zur selben Uhrzeit durchgeführt, bringt nicht nur Struktur in den Tag, sondern auch mehr Blut in die Leber. Das sollte bei keiner Lebertherapie fehlen, es sei denn bei akuten Entzündungen. Auch Omega-3-Säure und Bitterstoffe schützen die Leber und begleiten die Regeneration bei bereits gegebenen Schäden.”
Aus Sicht des TCM, sagt Tina, sind es die Heilkräfte der Ernährung, die unterstützen, vor allem die Qualitäten bitter, sauer und grün. Gerade bitteres Essen ist für viele Menschen erst einmal eine Überwindung, aber Bitterstoffe regen die Speichelproduktion an, sorgen für genügend Magensäure und einen guten Gallenfluss, was dem Körper die Fettverdauung erleichtert. Angenehmer Nebeneffekt: Regelmäßiger Verzehr bitterer Lebensmittel wie Löwenzahn, Endivien, Chicorée, Radicchio, Salbei & Co. mindert den Heißhunger auf Süßes. Bei der Ernährung sind sich Naturmediziner und TCM-Kennerin einig: Der Körper benötigt hochwertige und frische Nahrung und vor allem benötigt er Pausen, in denen er diese verwerten kann. Speziell abends sollten wir im Hinblick auf unsere Lebergesundheit öfter mal weniger mehr sein lassen.
Da die Leber zwischen 1 und 3 Uhr nachts auf Hochtouren arbeitet, darf das Abendessen früh und leicht sein, denn für ihre Arbeit benötigt die Leber Ruhe, die Verdauung sollte dann pausieren. Tut sie das nicht, weil wir zu wenig schlafen oder zu spät essen, stören wir die Arbeits- und Ruhezeiten unserer zentralen Stoffwechselstelle empfindlich, denn sie ist laut TCM das Körperorgan mit der stärksten Taktung: Ihre Uhr ist zuverlässig und lässt sich nicht umstellen. Zart, zuverlässig und unbeugsam tut sie ihre Arbeit und für uns hat sie mit diesem unbeeinflussbaren Wirken eine klare Botschaft: Stell dich nicht dagegen – fließ einfach mit.

Andrea Goffart beschäftigt sich aufgrund einer Autoimmunerkrankung intensiv mit Heil- und Ernährungswissen. Für diesen Beitrag hat sie kluge Menschen befragt, die sich beruflich mit dem Thema befassen. Allerdings betont sie gerne und oft: Die besten Expert*innen für unseren Körper sind wir selbst.
Auch Ruhephasen sind für unsere Gesundheit wichtig. Auch damit hat sich Andrea Goffart schon beschäftigt: