Surya & Savitr: Die Lichtgötter hinter Sonnengruß und Gayatri-Mantra

Im Yoga verneigen wir uns mit dem Sonnengruß – Surya Namaskar – vor der Sonne. Doch “Surya” tritt in den alten Schriften auch als ein Lichtgott in personifizierter Gestalt auf. Auch “Savitr”, den wir mit dem Gayatri-Mantra besingen, verkörpert Klarheit, Licht und innere Führung. In diesem Artikel erfährst du, was genau hinter den beiden Namen steckt, worin sie sich unterscheiden – und wie ihre Sonnen-Energie deine Yogapraxis im Sommer inspirieren kann.

Titelbild: yurakrasil via Canva

Surya – Lichtgott und Sonnensymbol im Yoga

Schon im Rigveda, der ältesten vedischen Schrift, steht Surya (Sanskrit : सूर्य, sūrya) sowohl für die Sonne als Himmelsobjekt, als auch für den gleichnamigen Sonnengott. Auch wenn der Kontext jeweils unterschiedlich ist, steht Surya immer für das Licht, das uns Leben, Ordnung und geistige Klarheit schenkt. Surya gilt als “das Auge der Welt” oder “das Auge der Götter”, eine göttliche Instanz, die Dunkelheit vertreibt und Erkenntnis ermöglicht.

1. Surya als Gottheit

Bildliche Darstellung von Lord Surya auf seinem Himmelswagen
Lord Surya auf seinem Himmelswagen. Foto: Nomu420, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Surya wird als Gott mit goldener Kleidung und leuchtender Aura beschrieben, der in einem von sieben Pferden gezogenen Wagen über den Himmel fährt – ein Bild für die sieben Farben des Lichts, die sieben Wochentage oder die sieben Chandas (Metrik-Formen der Veden). In seinen Händen trägt er oft Lotusblüten. Ein weiteres Symbol, das ihn in manchen Darstellungen begleitet, ist das Rad (Chakra), das für die zyklische Natur der Zeit und des Universums steht. Über religiöse, astrologische und yogische Kontexte hinweg bleibt Surya das, was alles durchdringt: Licht, Wärme und Leben.

2. Surya im Yoga: Kraftquelle für Körper und Geist

In der Yogapraxis wird Surya besonders durch den Sonnengruß (Surya Namaskar) verehrt, der in seinen unterschiedlichen Variationen oft bei Sonnenaufgang geübt wird. Diese besondere Bewegungsabfolge ehrt nicht nur die physische Sonne, sondern auch das, wofür sie innerlich steht: Bewusstsein, Energie, Ausrichtung und Dankbarkeit.

3. Spirituelle Bedeutung: Licht als Symbol der Erkenntnis

Jenseits der körperlichen Praxis steht Surya auch für das innere Licht – jenes Bewusstsein, das die Dunkelheit (Täuschung/Ignoranz) vertreibt und zu klarer Wahrnehmung (Wahrheit) führt. Das macht jeden Sonnenaufgang zu einer spirituellen Lehre, jeden Sonnenstrahl zu einer Erinnerung an unsere eigene göttliche Natur.

Savitr – der antreibende Sonnenaspekt

Savitr (Sanskrit: सवितृ, savitṛ) ist in den vedischen Schriften eine göttliche Kraft, die der aufgehenden Sonne vorangeht. Er gilt als “der Antreiber”, derjenige, der die Sonne “in Bewegung setzt”, also das Licht hervorbringt – nicht nur am Himmel, sondern auch im Inneren.

1. Savitr als dynamischer Aspekt des Lichts

Während Surya oft mit der sichtbaren Sonne gleichgesetzt wird, beschreibt Savitr den subtileren, initiierenden Moment davor – die Qualität des Lichts, bevor es am Horizont erscheint. Im Rigveda wird Savitr als mächtige Gottheit gepriesen, die Lebewesen inspiriert, aufweckt und in Gang setzt. Er gilt als Beschützer des Tagesbeginns, als “goldarmig”, mit gütiger, antreibender Energie.

2. Gayatri-Mantra: Die geistige Verbindung zu Savitr

Vielleicht hast auch du schonmal zum Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang das Gayatri-Mantra gechantet. Doch warum ausgerechnet dieses Mantra? Es ist eines der zentralen Mantras im Yoga und hat seine Wurzeln im Rigveda 3.62.10. Es richtet sich explizit an Savitr:

„Om bhūr bhuvaḥ svaḥ
tat savitur vareṇyaṁ
bhargo devasya dhīmahi
dhiyo yo naḥ pracodayāt“

Freie Übersetzung: “Om Erde, Weltraum, Himmel. Wir meditieren über das höchste göttliche Licht, die strahlende Quelle des Seins. Möge es unsere Herzen und unseren Verstand inspirieren und leiten.”

In manchen Auslegungen richtet sich das Mantra an eine weibliche Göttin namens Savitri, die wiederum eng verbunden oder gleichgesetzt wird mit der Göttin Gayatri.

Das Mantra ruft jedenfalls das göttliche Licht an, um unseren Geist zu klären und das Denken zu erleuchten. Dabei geht es nicht nur um Licht im physischen Sinn, sondern um die Verbindung mit der Intelligenz des Universums – ein stilles Erwachen, das Handlungen und Entscheidungen inspiriert.

Rad am Himmelswagen von Surya, im Sonnentempel von Konark
Eines der 24 Räder des Himmelswagens des Sonnengottes, zu finden im wohl bekanntesten Tempel zu Ehren des Gottes Surya – dem Sonnentempel von Konark in Odisha, Indien. Foto: Vismayam von Getty Images via Canva

3. Savitr als spiritueller Impulsgeber

In der symbolischen Deutung vieler yogischer Richtungen steht Savitr für den Moment der inneren Bewegung, den Impuls zur Praxis, zur Klarheit, zum Aufbruch. Er wirkt dort, wo Licht noch nicht sichtbar, aber schon spürbar ist. Auch in der Savitri Upanishad, ein kurzer Teil des Samaveda, wird er verehrt – oft als Kraft, die das Herz bewegt, das Bewusstsein aktiviert und zur Erleuchtung hinführt.

Übertragen auf unsere Yogapraxis ist Savitr der leise, innere Antrieb – die Kraft, die uns zur Matte zieht, uns aufstehen lässt, noch bevor der Tag beginnt. Während Surya das sichtbare Licht verkörpert, ist Savitr das unsichtbare Versprechen von Klarheit und Orientierung – in der Morgenstille wie in unserem inneren Wandel.

Wie wir das Licht von Surya und Savitr im Yoga verkörpern können

Auch wenn Surya und Savitr aus einer jahrtausendealten Mythologie stammen, lassen sich ihre Qualitäten ganz konkret in unsere moderne Yogapraxis integrieren.

1. Sonnengruß als tägliche Verehrung des Lichts

Der Klassiker: Surya Namaskar ist mehr als nur eine Aufwärmsequenz. Er ist eine dynamische Meditation in Bewegung – eine rituelle Verneigung vor dem Leben, dem Tag, dem Licht. Du kannst ihn morgens bewusst als Übergangsritual vom Dunkel zum Hellen üben.

2. Gayatri-Mantra zur geistigen Ausrichtung auf Savitr

Vor oder nach der körperlichen Praxis kannst du das Gayatri-Mantra (siehe oben) chanten oder still innerlich wiederholen. Besonders morgens, wenn der Tag noch formbar ist, wirkt es wie ein innerer Sonnenaufgang. Doch auch abends, mit Blick auf den Sonnenuntergang, kann es sehr magisch sein, dieses Mantra zu chanten.

3. Meditation für dein inneres Licht

Frau in Meditationshaltung der Sonne zugewandt
Foto: yurakrasil via Canva

Gerade im Sommer kannst du die Energie der äußeren Sonne nutzen, um dich mit deinem inneren Licht zu verbinden. Eine einfache Praxis:

Licht-Meditation (5–10 Minuten):
Setze dich in die Morgensonne. Schließe die Augen. Stelle dir beim Einatmen vor, dass du Licht aufnimmst – durch die Stirn, das Herz oder den Solarplexus.
Beim Ausatmen verströme dieses Licht in dein Umfeld.
Wiederhole innerlich: “Ich bin verbunden mit der Kraft des Lichts.

Reflexionsfragen:

  • Wie fühlt sich die Sonne in dir an?
  • Was bringt dich innerlich in Bewegung – so wie Savitr das Licht bewegt?
  • Welche Geste, welches Ritual, welches Wort könnte dein persönlicher “Sonnengruß” sein?

Lass dich von der äußeren Sonne im Sommer inspirieren – und entdecke das Licht, das dich von innen leitet und das dir hilft, klar zu sehen, mutig zu handeln und innerlich zu wachsen. Vielleicht beginnt deine nächste Yogaeinheit mit der stillen Frage:

Was möchte heute durch mich leuchten? Und wie kann mein Leuchten auch andere Menschen oder Lebewesen erhellen?


Hier zeigt dir Timo Wahl eine fließende Sommerpraxis, die du im Anschluss an den Sonnengruß üben kannst:

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