Oft wirkt Pranayama für Yogaschüler wie ein Buch mit sieben Siegeln. Oft wird die Atmung nur während der Asanas angesagt, nicht aber getrennt davon geübt. Das kann mehr stressen als entspannen. Deshalb bringen wir dir heute Atemübungen für jeden näher.
1 Atembewusstsein stärken
Versuche, dir im Alltag immer wieder bewusst zu machen, was dein Atem gerade macht. Wo genau im Körper spürst du ihn? Wann ist er flach und warum? Was bringt ihn in Fahrt? Wann fühlt er sich eng an? Diese Informationen sind wertvoll, um in Pranayama einzusteigen. Sie helfen, besser mit Stress umzugehen: Schon die achtsame Einstimmung auf den eigenen, natürlichen und immer wieder verschiedenen Atem kann ihn beruhigen und vertiefen – und das hilft, körperliche Stressreaktionen zu stoppen. Manchmal reicht es schon, wenn du dich drei Minuten auf das Atemspüren konzentrierst.
Spüre deinen Atem
So geht’s: Diese Übung kann man immer und überall machen: Einfach innehalten und beobachten. Wo spüre ich die Atmung gerade besonders deutlich? Wie fühlt sich die Einatmung an? Wie die Ausatmung? Was ist deutlicher? Was länger? Wie empfinde ich die Atempausen, einmal wenn die Einatmung endet und dann wieder nach der Ausatmung, bevor der nächste Atemzug einsetzt? Wie viele Atemzüge mache ich in einer Minute? Vierzehn bis zwanzig sind der Durchschnitt – aber wesentlich besser fühlt man sich mit halb so vielen. Versuche, die Atmung möglichst nicht zu manipulieren, sondern nur zu beobachten. Am besten mindestens 3 Minuten lang.
Das Atemspüren bringt dich deinem Atem wieder näher. So ging es auch der Autorin, die diese “Liebeserklärung an meinen Atem” schrieb.
2 Volle Yogaatmung
Wenn du deine Atmung genauer beobachtest, wirst du vielleicht wahrnehmen können, dass es drei Atemräume gibt: tief unten im Bauch, mittig auf Höhe der Rippen und oben im Bereich der Schlüsselbeine. Während man im Alltag meist nur einen Teil dieser Räume ausschöpft, werden in der vollen Yogaatmung alle drei bewusst geöffnet und “durchlüftet”.
So geht’s: Am besten kann man die Atemräume in Rückenlage spüren und erforschen. Als Erstes lege deine Hände auf den Unterleib und spüre, wie sich die Bauchdecke mit jedem Atemzug hebt und senkt. Das Gewicht der Hände hilft, den Bauchraum nach und nach immer weiter für die Atmung zu öffnen, einatmend zu füllen und ausatmend wieder zu entleeren. Nimm dabei auch die natürlichen Pausen wahr und halte die Kehle weich. Nach 2 bis 3 Minuten legst du die Hände seitlich an die Rippen. Spüre in der gleichen Feinheit, wie sich mit jedem Atemzug die Rippen zu den Seiten weiten und wieder zusammenziehen.
Atmung im Bereich der Schlüsselbeine spüren
Im dritten Schritt legst du die Fingerspitzen sanft unter die Schlüsselbeine und nimmst auch hier die allmähliche Öffnung und Vertiefung wahr. Versuche nach dieser Vorübung, mit jedem Atemzug durch alle drei Räume hindurch zu atmen: Einatmend füllt sich zuerst der Bauch, dann weiten sich die Rippen und schließlich heben sich die Schlüsselbeine. Ausatmend leeren und senken sie sich wieder in umgekehrter Reihenfolge. Dabei geht es nicht darum, den Atem willentlich “tiefer” zu machen und mit Kraft das maximale Lungenvolumen auszuschöpfen. Öffne stattdessen behutsam die drei Atemräume und nimm den natürlichen, wellenförmigen Atemfluss darin wahr.
3 Ujjayi Pranayama, die “siegreiche Atmung”
Diese klassische Übung wird wegen ihres sanften, beruhigenden Klangs auch “Meeresrauschen” genannt. Sie wirkt noch tiefer entspannend als eine langsam geführte Atmung allein, denn angeblich stimulieren die Vibrationen am Kehlkopf den Vagusnerv zu einer Beruhigung des vegetativen Nervensystems.
So geht’s: Atme langsam durch die Nase ein. Zur ebenso langsamen Ausatmung öffnest du den Mund etwas, verengst sanft die Kehle und erzeugst ein stimmloses Rauschen. Sobald dir diese Vorübung ganz mühelos gelingt, kannst du zur klassischen Form mit geschlossenen Lippen übergehen. Dabei behältst du die leichte Verengung der Stimmritze bei. Zuerst nur ausatmend und schließlich auch bei der Einatmung. Mit etwas Übung kann man Ujjayi mit der vollen Yogaatmung kombinieren und auch während der Asana-Praxis einsetzen.
4 Nadi Sodhana Pranayama, die Wechselatmung
Der Wechsel zwischen rechtem und linkem Nasenloch soll die Nadis reinigen. Das sind nach yogischer Vorstellung Energiebahnen, durch die Prana, also Lebenskraft, strömt. Eine Studie zeigte, dass die Wechselatmung schon nach siebentägiger Praxis ein überaktives Nervensystem zum Ausgleich bringen kann. Eine weitere Studie belegte eine blutdrucksenkende und konzentrationsfördernde Wirkung.
So geht’s: Nimm eine bequeme Sitzhaltung mit aufrechtem Rumpf ein und stimme dich zunächst eine Weile auf deinen natürlichen Atem ein. Schließe die rechte Hand zu einer lockeren Faust, dann strecke Daumen und Ringfinger wieder. So legst du den Daumen sanft ans rechte Nasenloch und atmest durch das linke langsam ein. Dann schließt du das linke Nasenloch mit dem Ringfinger, öffnest das rechte und atmen hier aus und wieder ein. Schließe anschließend das rechte Nasenloch wieder und wechsel zum Ausatmen nach links. Diese Abfolge wiederholst du 1 bis 3 Minuten lang, danach findest du zurück in den natürlichen Atem.
5 Kapalabhati, der “scheinende Schädel”
Diese auch zur Reinigung der Atemwege angewandte Übung hat eine extrem energetisierende Wirkung, denn sie stimuliert den Sympathikus, also jenen Teil des Nervensystems, der für Aktivität steht. Deswegen ist Kapalabhati nichts für nervöse oder gestresste Menschen und sollte auch nicht am Abend geübt werden. Richtig gut wirkt sie dagegen, wenn man sich matt und lethargisch fühlt oder den Geist ankurbeln möchte. Auch zur Reinigung oder beim Detox wird die angewandt. Atemübungen für jeden? Diese sollte nur mit Vorsicht praktiziert werden! Höre sofort damit auf, wenn dir schwindelig wird und steigere die Dauer nur langsam.
Mache kurze und kraftvolle Atemzüge
So geht’s: Komme in eine für dich bequeme, aber aufrechte Sitzhaltung und beobachte erst einmal deine Atmung. Dann atmest du dann einmal tief ein und langsam wieder aus. Die nächste Einatmung praktizierst du nicht mit ganzer Fülle. Stattdessen ziehst du die Bauchdecke in raschen, rhythmischen Bewegungen nach innen. Das drückt die Luft aus den Lungen und erzeugt kurze, kraftvolle Ausatmungen, denen jeweils eine ebenso kurze passive Einatmung folgt. Nach 20 bis 30 Kapalabhati-Bewegungen atmest du einmal vollständig aus und wieder ein und kehrst dann zum natürlichen Atem zurück.
Scheinbar einfach, aber eigentlich ein Wunderwerk: Der Atemkreislauf. Lies dort, was bei jeder Ein- und Ausatmung passiert.
Danke für diese einfache und strukturierte Übersicht. Es ist wirklich eine Einstiegspforte für jedermann in die grosse, weite Welt des Pranayama.
Danke auch für die Kontraindikationen bei Kapalabhati!