Eine tiefe, bewusste Atmung beruhigt nicht nur die Nerven, sie kräftigt auch die Muskulatur. Sie entlastet die gerade Rückenmuskulatur, reduziert den Druck auf die Wirbelsäule und führt bei Rückenschmerzen rasch zu Linderung. Hier zeigen wir dir 9 Übungen für eine heilende Atmung.
Der Atem ist das vielleicht kraftvollste Heilmittel, das wir besitzen: Er durchdringt Körper und Psyche, die beteiligten Muskeln halten den Rumpf stabil und entlasten die Wirbelsäule. Wenn du deinem Atem mit der richtigen Technik Raum verleihst, entstehen Kraft, Flexibilität und Gesundheit zugleich. Die folgenden Übungen helfen dabei.
Übrigens: Unser Model, die Münchnerin Kaija Marx, ist nicht nur Yogalehrerin, sondern auch Physiotherapeutin. Beides kombiniert sie in ihrem Konzept “Vibrant Body”.
1. Atemraum Oberbauch: Bauchmuskeln
Du kannst diese Übung im Stehen oder Sitzen machen, wichtig ist nur, dass sich deine Wirbelsäule locker in ihrer natürlichen S-Form aufrichten kann. Lege eine Faust auf den Unterbauch und die andere Hand direkt unter den Rippenbögen flach auf den Oberbauch. Atme langsam ein. Dabei hältst du den unteren Bauch aktiv innen, während sich der obere Bauch vorwölbt. Mit der Ausatmung ziehst du den Oberbauch kraftvoll nach unten, innen Richtung Bauchnabel. Beobachte, wie sich die Spannung in den Faszienschichten des Unterbauches umverteilt, dieser Teil des Bauchs jedoch innen bleibt. Setze diese Übung einige ruhige und kraftvolle Atemzüge lang fort.
EFFEKT: Diese Übung kräftigt das Zwerchfell (Diaphragma), unseren wichtigsten Atemmuskel. Bei der Einatmung kommt außerdem der innere schräge Bauchmuskel (M. Obliquus Abdominis Internus) und bei der Ausatmung der äußere schräge Bauchmuskel (M. Obliquus Abdominis Externus) zum Einsatz. Wenn du genau hinspürst, kannst du die Atemdynamik auch in den tiefsten Rückenmuskeln (Mm. Multifidii) im Lendenwirbelsäulenbereich wahrnehmen.
2. Atemraum Flanken: Zwerchfell
Lege deine Hände seitlich auf die unteren Rippenbögen und atme so vollständig aus, dass sich die Fingerspitzen berühren. Bei der Einatmung nutze wie in Übung 1 die Stabilität aus dem Unterbauch, atme aber weiter, nachdem sich der Oberbauch hebt. Dadurch fächern sich die Rippen langsam zu den Seiten auf und die Fingerspitzen entfernen sich voneinander. Um dabei allerdings nicht in die thorakale paradoxe Atmung zu fallen, achte darauf, dass sich zuerst der Oberbauch hebt. Das zeigt die Aktivität des Zwerchfells an. Dann bleibt der Oberbauch außen und das Zwerchfell zieht die Flanken nach oben. Bei der Ausatmung ziehst du wie in Übung 1 die Rippenbögen schräg nach unten Richtung Bauchnabel. Diese Abfolge wiederholst du einige tiefe und langsame Atemzüge lang.
EFFEKT: Wenn die Bauchmuskulatur bei der Atmung beteiligt ist, werden die Flanken durch die Aktivität des Zwerchfells bewegt. Das kräftigt diesen wichtigsten Atemmuskel und entlastet damit auch die Wirbelsäule.
3. Atemraum Rücken: Mobilisieren
Erneut gehen wir aus von der vertieften Atmung der beiden vorigen Übungen. Lege eine Hand locker zwischen die Schulterblätter. Dann leite die Welle des Einatmens über Oberbauch und Flanken bis in den Rücken. Der Bereich zwischen den Schulterblättern wölbt sich dadurch in eine leichte Rundung. Die Ausatemwelle lasse wie zuvor in der Körpermitte, dem Oberbauch, beginnen. Dann ziehe die Rippenbögen kraftvoll nach innen, der Rücken streckt sich wieder. Wiederhole auch diese Übung mehrere Male.
EFFEKT: Der tiefe Atem unterstützt und mobilisiert die Wirbelsäule von innen. Du kannst spüren, wie sie mit jedem Atemzug lang gezogen wird. Bei Blockaden der Wirbel oder Rippen kann das Wunder wirken.
4. Atemraum Brustbein: Zwischenrippenmuskeln
Vertiefe nun ausgehend von den vorherigen drei Übungen den Atem noch weiter. Dazu legst du zwei Finger auf dein Brustbein. Nun fließt die Welle des Einatmens von Oberbauch, Flanken und Rücken bis hin zum Brustbein. Dieses hebt sich nach vorne oben. Auch die Ausatmung beginnst du analog zu den bekannten Übungen von der Körpermitte. Oberbauch, Flanken, Rücken und schließlich das Brustbein ziehen nach innen.
EFFEKT: Diese Übung bringt die Zwischenrippenmuskeln noch stärker zum Einsatz. Damit erfährt die Brustwirbelsäule weitere Unterstützung.
5. Impulsatmung in die vier Atemräume
Wenn dir diese vier Übungen vertraut sind, kannst du dich an einem weiteren Impuls versuchen: Dabei unterteilst du die Einatmung in vier voneinander getrennten Stöße in die vier Atemräume. Die Ausatmung lasse wie zuvor langsam und kontinuierlich fließen. EFFEKT: Diese Übung mobilisiert alle Atemräume. Sie hilft, Blockaden zu lösen und fördert die Flexibilität von Rumpf und Wirbelsäule.
6. Katzenbuckel mit Atmung
Komme in einen Vierfüßlerstand, bei dem die Hände etwa senkrecht unter den Schultern und deine Knie senkrecht unter den Hüften stehen. Runde den Rücken so weit wie möglich nach oben und atme tief in den Atemraum von Flanken und Rücken ein. Bei der Ausatmung ziehe den Atemraum Oberbauch und Brustbein aktiv nach innen.
EFFEKT: Bei dieser Atmung erfährt die Wirbelsäule mehr Länge in der Rundung.
7. Katzenrückbeuge mit Atmung
Bewege dich nun, ausgehend von der vorigen Übung in eine deutliche Rückbeuge. Achte dabei darauf, deine Halswirbelsäule harmonisch in die Bewegung mit einzubeziehen und nicht zu überstrecken. Lenke die Einatmung bewusst in den Atemraum Oberbauch und Brustbein. Bei der Ausatmung ziehst du kraftvoll den Atemraum Rücken und Flanken nach innen.
EFFEKT: Hier kommt die Wirbelsäule mit jedem Atemzug tiefer in eine harmonische und zugleich lange Rückbeuge. Dies schafft Flexibilität und wirkt entlastend.
8. Dynamische Katze
Nun verbindest du die beiden vorigen Übungen mit dem Atemrhythmus: Ausatmend bewegst du dich in den Katzenbuckel, einatmend in die Rückbeuge. Lenke dabei den Atem bewusst in die vorderen Atemräume (Oberbauch und Brustbein). Nach einer Weile drehst du die Atmung um – das mag sich zunächst sehr ungewohnt anfühlen: Atme aus, während du in die Rückbeuge gehst, und ziehe dabei kraftvoll die hinteren Atemräume (Flanken und Rücken) nach innen. Atme ein, während du in den Buckel gehst, und fülle dabei ebenfalls ganz bewusst die hinteren Atemräume. Wiederhole auch diese Atembewegung. EFFEKT: Diese Übung erweitert die Atemräume. Damit steigt die Vitalkapazität der Lungen. Zugleich erfährt die Wirbelsäule eine vom Atem gestützte Mobilisierung.
9. Herabschauender Hund – Einstieg in eine weitere Praxis
Schiebe dich aus dem Vierfüßlerstand mit dem Becken voran nach hinten oben in den herabschauenden Hund. Lasse deine Arme von den Schulterblättern aus lang in den Boden wachsen und beuge deine Knie leicht, um deiner Wirbelsäule ihre natürliche S-Form zu geben. Atme hier, vom Oberbauch beginnend, tief über Flanken, Rücken und Brust durch die vier Atemräume ein und in der gleichen Reihenfolge wieder aus. Nutze diese Atemaktion, um in der Haltung mehr Länge in der Wirbelsäule zu erfahren.
EFFEKT: Ausgehend von dieser Übung kannst du die tiefe Atmung und die daraus entstehende freie Bewegung und Länge in der Wirbelsäule mit in deine weitere Yogapraxis nehmen. Bewege dich dazu besonders langsam und achte auf den beschriebenen Atem.
Unser Autor Dr. RONALD STEINER ist Sportmediziner, Wissenschaftler und einer der bekanntesten Ashtanga Yogis. Die von ihm begründete AYI-Methode steht für traditionelles Ashtanga-Yoga und innovative Yogatherapie. Sein Ziel: Körper und Geist zueinander in eine harmonische Balance führen. AshtangaYoga.info
Titelbild: Vlada Karpovich via Pexels