Schließende Studios und Yogalehrende, die sich andere Jobs suchen – auf der anderen Seite aber steigende Zahlen bei Online-Buchungsportalen: Was ist los in der Yogaszene? Ist der oft beschworene “Yoga-Hype” wirklich vorbei, oder verändern sich nur Angebote und Nachfrage?
Text: Nici Tannert / Titelbild: Ryan Lane von Getty Images via Canva
Was bedeutet eigentlich “Yoga-Hype”?
Ein Hype ist ein Trend, ein Riesenrummel um etwas oder jemanden. Oberflächliche Begeisterung, die morgen schon von der nächsten Hysterie abgelöst werden kann. Viele haben deshalb zugestimmt, als Studioinhaber Patrick Broome im September 2022 im Online-Magazin Fuck Lucky Go Happy erklärte: “Der Yoga-Hype ist over!” Sie spürten: Es ist Zeit, aus dem modischen Rummel und Getöse wieder auszusteigen und zum Kern von Yoga zurückzukehren.
Aber was bedeutet das eigentlich? Und kann man im Zusammenhang mit Yoga überhaupt von einem Hype sprechen? Wirtschaftlich betrachtet auf jeden Fall: Um die Jahrtausendwende begann ein regelrechter Yogaboom. Studios schossen überall aus dem Boden, zu den traditionellen Yogarichtungen gesellten sich immer neue Stile, Teacher Trainings waren selbst bei kleineren Studios ausgebucht, auch der Markt für Yogabekleidung und -hilfsmittel wuchs und wuchs. Und hinter all dem stand natürlich auch eine wachsende Zahl an Übenden, die Kurse und Schulen mit Leben füllten. Zwei Jahrzehnte lang dauerte dieser ungebremste Aufschwung, aber wie steht es heute?
Corona als Einschnitt für die Yogaszene
Keine Frage: Die letzten fünf Jahre waren für Yogalehrende sehr herausfordernd. Insgesamt fast zehn Monate lang blieben die Studios während der verschiedenen Corona-Lockdowns geschlossen. Viele Yogalehrer*innen haben in dieser Zeit auf Digitalisierung gesetzt, sie sind mit ihren Stunden online und später hybrid gegangen. Andere haben ihre Räume und Yogaklassen aufgegeben und sich neue Verdienstmöglichkeiten gesucht.
Inzwischen herrscht in den verbliebenen Studios zwar längst wieder normaler Betrieb, aber die Boom-Stimmung ist gebrochen: Viele Lehrende klagen, dass ihre Schüler*innen nicht so zurückgekommen sind, wie sie es vor der Pandemie gewöhnt waren: Statt feste Kurse und Abos zu buchen, wünscht sich ein wachsender Teil der Übenden heute mehr Flexibilität, was nicht nur die Planung erschwert, sondern oft ganz einfach bedeutet, dass die Klassen weniger regelmäßig und weniger zahlreich besucht werden. Auch gestiegene Energiepreise, die hohe Inflation und Mieterhöhungen machen Studiobetreiber*innen zu schaffen – und genauso auch ihren Gästen, denn sie müssen sich häufig fragen: Gibt mein Geldbeutel überhaupt noch jede Woche Yogastunden her?
Wirtschaftlicher Druck auf Studios und Lehrende
Das große Geld hat mit Yoga wohl nie jemand verdient – und ganz sicher war das auch nie das Ziel. Aber irgendwo gibt es natürlich auch eine Schmerzgrenze. “Ich übe fleißig, ich unterrichte fleißig, ich akquiriere fleißig – und das alles für die paar Kröten. Das ist schon echt frustrierend”, sagte mir neulich eine befreundete Yogalehrerin. Eine andere hat laut überlegt, sich wieder eine Teilzeitstelle zu suchen, weil sie sich schlicht erschöpft fühlt. Ihre resignierte Überlegung: “Vielleicht sind zehn Jahre Vollzeit-Yoga auch genug.” Nicht wenige tolle, moderne Yogastudios stehen jetzt voller Pilates-Reformer – und die Yogalehrenden, die hier mal volle Klassen unterrichtet haben, verstehen die Welt nicht mehr.
Mehr zum Thema “Yoga und Geld” und klare Statements verschiedener Yogalehrenden liest du hier.

Persönliche Geschichten aus der Yogaszene
Ist der Yoga-Hype also vorbei? Das habe ich bei meiner Recherche Mitte Januar (Anm. d. Red.: 2025; dieser Artikel stammt aus dem YOGAWORLD JOURNAL 02/2025) auch meinen Ausbilder Michael Forbes gefragt. Gemeinsam mit seiner Frau Margareta Eckl betreibt er ein großes Iyengar-Yogastudio in München. Meine Frage erreichte ihn mitten in einem großen Umbruch: “Wir downsizen gerade und ziehen in ein kleineres Studio.” Wie bitte? Michaels Räumlichkeiten sind mir sehr vertraut: drei Übungsräume, einer davon 175 Quadratmeter groß, ein riesiger Aufenthaltsbereich, Yogaliteratur und -hilfsmittel ohne Ende. Wenn es dieses über lange Jahre erfolgreiche Studio bald nicht mehr gibt, beantwortet das dann meine plakative Frage vielleicht bereits? Wie kam es dazu, will ich wissen?
Michael erzählt, dass sich die ohnehin schon beträchtliche Miete nach Corona kontinuierlich erhöht hat. Gleichzeitig sind 30 bis 40 Prozent seiner Schüler*innen seither weggeblieben. Zwar kamen dafür Buchungen für Onlinestunden aus ganz Europa dazu, aber die konnten den Verlust nur teilweise ausgleichen. “Margareta und ich haben 24/7 gearbeitet, um das Studio am Leben zu halten. Das alles hat viel geistige Kraft gekostet.”
“Aufhören? Niemals!”
Ans Aufhören hat er dennoch nie gedacht: “Ich wollte immer zeigen, dass es möglich ist, ein Leben als Yogaübender zu führen und als Yogalehrer eine Familie zu ernähren. Und ich wollte einen Ort schaffen, wo sich eine Gemeinschaft bildet, wo man zusammen authentisch Yoga praktizieren kann. Das hat geklappt. Das klappt auch weiterhin”, sagt der 69-Jährige zuversichtlich. Ja, es wird wehtun auszuziehen, aber die neuen, kleineren Räumlichkeiten sind nur 300 Meter entfernt und weil sie deutlich günstiger sind, schaffen sie Platz für neue Ideen und Möglichkeiten. Michaels Resümee fällt also positiv aus: “Die Gesellschaft hat sich verändert. Wenn wir uns verkleinern, ist das eine Entscheidung für Nachhaltigkeit und Lebendigkeit. Es ist Zeit für eine Veränderung. Und das im Positiven.”

“11 000 000 Menschen, die in Deutschland zumindest ab und zu Yoga üben, das ist eine große Zahl – aber die Mehrzahl übt noch nicht! Insofern kann man nicht sagen, dass der Markt übersättigt ist. Es käme darauf an zu vermitteln, was Yoga wirklich bedeutet: Eine echte Yogapraxis verändert das Leben! In der Asana-Praxis bringen wir Materie (also den Körper), Energie (Prana) und Willenskraft zusammen. Und in dem Moment passiert etwas: Das macht glücklich. Das müsste manch einer nur mal erleben. Und diese Möglichkeit sollte möglichst überall bestehen.”
Der Iyengar-Lehrer Michael Forbes hat 1991 sein erstes Yogastudio in München eröffnet und seither in fast 35 Jahren die Entwicklung des Yoga in Deutschland durchlebt. Mehr Info auf iyoga.de
Yoga wächst trotz allem weiter
Doch während viele Studios schließen oder sich verkleinern, gibt es anderenorts durchaus Zuwachs. Seit 2022 veröffentlicht die österreichische Software-Firma Eversports jährlich eine Erhebung unter den Studios und Übenden, die bei der Buchungsplattform von Eversports ein Konto haben. (Falls du das nicht kennst: Damit kann man europaweit Sportangebote in der Nähe finden und sich direkt für eine einzelne Klasse einbuchen.) Der Geschäftsführer Hanno Lippitsch beobachtet, dass Yoga hier nach wie vor stark wächst: “Unsere Datenbank zeigt bei den Buchungszahlen für Yoga von 2023 auf 2024 einen Zuwachs von knapp 20 Prozent.”
Nun sagen die Zahlen einer Online-Buchungsplattform natürlich nicht unbedingt etwas darüber aus, wie viele Menschen tatsächlich Yoga üben, beziehungsweise Yogastunden besuchen. Deren genaue Zahl kennt niemand, genauso wenig weiß man, wie viele Yogaschulen, Studios oder Lehrer*innen es gibt, wie viele neu dazukommen oder wieder verschwinden. Aber zumindest für die Praktizierenden gibt es aufgrund von Marktforschungsumfragen Hochrechnungen. Und entgegen allen Unkenrufen aus der Yogabranche geht auch die Marktforschung davon aus, dass Yoga sich derzeit nicht etwa “gesund schrumpft”, sondern im Gegenteil weiter wächst: So übten laut Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse 2022 rund 3,37 Millionen Menschen in Deutschland “häufig” Yoga und weitere 8 Millionen immerhin ab und zu – insgesamt also über 11 Millionen. Bei der ersten Erfassung 2018 waren es unter den häufig Übenden noch 2,64 Millionen, es gab also innerhalb von vier Jahren einen Zuwachs von fast 28 Prozent.
Auch wenn viele Menschen deutlich mehr auf ihren Kontostand achten müssen als noch vor einigen Jahren: Beim Yoga sparen sie also nicht unbedingt.

“Die meisten sparen eher an Reisen oder Restaurantbesuchen, aber nicht beim Yoga, das sehen wir durch das Wachstum bei den Buchungen bestätigt.”
Der Eversports-CEO Hanno Lippitsch geht selbst gern ins Yogastudio. eversports.de
Wandel in der Yogalandschaft
Aber spannend ist das schon: Wenn gegenüber den 28 Prozent Wachstum, den die Marktforscher*innen für vier Jahre errechnet haben, der Zuwachs bei der Buchungsplattform Eversports in nur einem Jahr schon bei fast 20 Prozent liegt, dann scheint das auch zu belegen, dass es immer mehr Menschen zu unverbindlichen Drop-in-Klassen zieht – und damit weg von langfristigen Mitgliedschaften in einem einzelnen Studio oder festen Kursen bei einer bestimmten Lehrerin. Entsprechend hoch ist der Druck für die Studios, sich für Buchungen über externe Anbieter zu öffnen. Dafür setzen sie seit einigen Jahren nicht nur zunehmend auf Onlinebuchungen, sondern auch auf die Zusammenarbeit mit sogenannten Aggregatoren wie Urban Sports Club oder Wellpass.
Aggregatoren und Pilates im Vormarsch
Der Eversports-CEO Hanno Lippitsch hat einen differenzierteren Blick auf die auch bei seinen Partner-Studios wachsende Zahl an Buchungen über Aggregatoren: “Ganz klar: Dadurch erhöht sich die Auslastung. Wir raten unseren Studios aber auch darauf zu achten, dass die Aggregatoren und das eigene Business in einer gesunden Balance stehen. Wenn man so Neukunden gewinnen kann, dann ist das gut. Aber wenn man eigene Mitglieder verliert, weil sie nur noch über die Urban-Membership ins Studio kommen, ist es auch gefährlich.” Um sich nicht abhängig zu machen, rät er dazu, mit mehreren Anbietern zusammenzuarbeiten und die eigenen Mitgliedschaften mit Sonderkonditionen attraktiver zu gestalten. – Oder man verzichtet eben ganz auf Aggregatoren.
Neben online gebuchten Drop-in-Klassen und Aggregatoren-Abos zeigt der Eversports-Bericht aber noch andere interessante Trends: “Es gibt mehr und mehr Yogastudios, die Pilates in irgendeiner Form anbieten. Zusätzlich boomt im Moment Reformer-Pilates, wofür gerade viele neue Studios entstehen“, berichtet Lippitsch. Dagegen sind reine Online- und Hybridklassen offenbar wieder etwas auf dem Rückzug: Die Anzahl der Onlineyoga-Teilnahmen ist im Vergleich zum Vorjahr zwar gestiegen, sinkt aber prozentual gesehen innerhalb der gesamten Buchungen. Immer mehr Lehrer*innen setzen daher wieder mehr auf reinen Präsenzunterricht.

“Dass weniger Yoga geübt würde, kann ich überhaupt nicht bestätigen: Unsere Studios sind genauso voll wie vor Corona. Was tatsächlich weniger nachgefragt wird, sind Yogalehrer-Ausbildungen. Ich denke, da ist der Markt einfach gesättigt. Aber dafür werden jetzt mehr Fortbildungen für Lehrende gebucht.”
Patrick Broome betreibt drei Yogaschulen in München – und hat kürzlich auch ein Pilates-Reformer-Studio eröffnet. Mehr Info auf patrickbroome.de
Was entscheidet über den Erfolg eines Yogastudios?
Aber wovon hängt es nun ab, ob eine Klasse voll ist oder nicht, ob ein Studio floriert oder nicht? Hanno Lippitsch und seine Marketing-Koordinatorin Paula Dobiasova von Eversports üben beide selbst viel Yoga. Sie sind überzeugt: Es liegt einzig und allein an der Persönlichkeit der betreffenden Lehrer und Lehrerinnen. Auch wenn der Wunsch nach Flexibilität offenbar ein starkes Motiv ist und unverbindliche Last-Minute-Buchungen zunehmen, letztlich ist die Bindung an bestimmte Lehrende also doch entscheidend. Das bestätigt auch die Datenbank von Eversports: Wer einmal eine Klasse gefunden hat, die wirklich passt, der kommt in der Regel immer wieder.
Und was sagt uns das alles nun über den angeblichen Hype und sein Ende? Vielleicht vor allem das: Yoga entwickelt sich womöglich nicht mehr so exponentiell wie eine Zeit lang, das Angebot ist vielfältiger und flexibler geworden, es verteilt sich auf viel mehr Lehrende und etliche Studios können sich nicht halten. Dennoch wächst es weiter – in die Breite genauso wie in die Tiefe.
Hype vs. Normalität: Yoga in der Zukunft
Die Leipziger Studioinhaberin Lisa Hakim behauptet sogar: “Yoga ist in Deutschland noch gar nicht richtig angekommen!” Die 38-Jährige hat zwölf Jahre lang in den Vereinigten Staaten gelebt und ein Studio im New Yorker Stadtbezirk Brooklyn geleitet. Sie ist überzeugt: “Im Gegensatz zu den Deutschen wissen US-Amerikaner*innen, dass Yoga nicht nur der physischen, sondern auch der mentalen, also der ganzheitlichen Gesundheit dient. Und es ist ihnen bewusst, dass es dafür einer regelmäßigen Praxis bedarf.”
Lisa ist deshalb der Meinung, dass es gar nicht genug Yogastudios geben kann. “Ich glaube nicht, dass wir uns da gegenseitig im Weg stehen, denn wir haben ja alle das gleiche Ziel: Mehr Yoga braucht die Welt! Mehr Achtsamkeit braucht die Welt!” In ihrem Leipziger Studio setzt sie deshalb auf Yogaunterricht zu allen Tageszeiten, in mehreren Sprachen und verschiedenen Stilen sowie auf einige Klassen auf Spenden-Basis, bei denen man auch für einen geringeren Preis üben kann. Sie hofft, dass sich das Bild, das man in Deutschland von Yoga hat, in den nächsten Jahren weiterentwickelt: weg von den Hippie-Esoterik-Stereotypen, aber auch weg vom schicken Fitness-Lifestyle mit Green Smoothies und teuren Yogaklamotten. “Ich wünsche mir, dass die Menschen Yoga einfach als etwas ganz Alltägliches in ihr Leben einbauen.”

“In Deutschland gibt man sich gern damit zufrieden, einmal in der Woche zu üben, wenn es die Krankenkasse bezahlt. Nach zehn Wochen ist es dann oft erst mal wieder gut, weil nur zwei Kurse im Jahr bezuschusst werden. In den USA ist das anders: Da ist man eher bereit, in seine Gesundheit zu investieren.”
Die Leipziger Studio-Inhaberin Lisa Hakim glaubt, dass Yoga in Deutschland noch gar nicht richtig angekommen ist. Mehr Info au lhakimhealing.com
Vom Trend zur ernsthaften Praxis
Diese wachsende Normalität jenseits des modischen Hypes hat auch viel mit einer gesunden Ernsthaftigkeit zu tun: Yoga nicht als Mode, sondern als Methodik, die nicht beliebig ist, sondern einer gewissen Hinwendung, Regelmäßigkeit und Tiefe bedarf. Michael Forbes ist das bewusst, vielleicht auch weil Iyengar-Yoga mehr noch als andere Stile sehr viel Commitment erfordert: “Yoga ist nicht mehr der letzte Schrei, wenn man ihn als oberflächliches In-Thema betrachtet. Aber da ist eine Substanz, die den Hype nicht braucht. Dass uns die Gesellschaft anerkennt und uns die Krankenkassen unterstützen, ist viel wichtiger.”
Die Praxis ist daher aus gutem Grund vielfältiger geworden, sie darf verschiedene Formen annehmen und flexibler sein, aber eines steht fest: Es ist gut, wenn der oberflächliche Hype vorbei ist und diese Ernsthaftigkeit im Yoga wieder zu einer Normalität wird, die weiter wachsen darf. Michael formuliert es so: “Eine echte Yogapraxis verändert das Leben. Und umgekehrt: Um sich eine echte Yogapraxis zu leisten, muss man Yoga wirklich in das Leben integrieren.”

Unsere Autorin, die Iyengar-Yogalehrerin Nici Tannert, freut sich über ihre teilweise weit entfernt lebenden Onlineschüler*innen, die nicht mehr nur alleine am Bildschirm üben, sondern sich in Gruppen zu Hause treffen und sie dann zuschalten. Mehr Info auf yogakraftwerk.de
“Komme ich heute nicht, komme ich morgen.” Flexibler Drop-in vs. 10er-Karte. In diesem Artikel haben wir uns mit dem Thema Verbindlichkeit beschäftigt und gefragt, inwiefern sie mit echter Verbundenheit zusammenhängt:


