Schreibtisch-Jobs und zu wenig Bewegung: Immer mehr Menschen leiden unter Rückenschmerzen. Sportmediziner und Ashtanga-Yogi Dr. Ronald Steiner zeigt, wie therapeutisches Yoga gegen die häufigsten Beschwerden hilft. Lendenwirbelsäule-Praxis für den “Dauerbrenner”: den “unteren Rücken”.
1//Faszien zum Wohlfühlen: Lendenwirbelsäule-Praxis
Version A: Lege beide Hände auf den unteren Rücken, die kleinen Finger möglichst nah zusammen, die Finger nach unten weisend. Reibe schnell mit den Händen auf und ab, bis sich wohlige Wärme ausbreitet.
Version B: Kneife anschließend mit Daumen und Fingern in die oberste Hautschicht über Lendenwirbelsäule und langen Rückenmuskeln. Ziehe diese Schicht sanft vom Muskel darunter weg und lass diese Hautfalte mit krabbelnden Fingern von oben nach unten und wieder zurück rollen.
Effekt: Dicht unter der Haut liegt die Fascia Thoracolumbalis, die Rumpf-Lenden-Faszie. Sie leitet Kräfte aus dem gesamten Körper um. Die Erwärmung macht diese Bindegewebsschicht flexibel und elastisch. Das anschließende Anheben der oberen Hautschichten erzeugt einen kleinen Unterdruck an der Faszie. So wird sie mit nährender Gewebeflüssigkeit umspült. Rückenschmerz entsteht häufig aus den Schmerzrezeptoren dieser Faszie. Eine geschmeidige Faszie ist daher die beste Basis für einen gesunden und entspannten Rücken.
2//Iliosakrale Schwingungen: Lendenwirbelsäule-Praxis
Lege dich mit dem Rücken auf einen angenehm warmen Boden. Stell deine Füße hüftbreit und dicht am Becken auf. Du blickst entspannt zur Decke, die Arme sind rechts und links zur Seite ausgebreitet. Dabei zeigen die Handflächen nach oben und beide Schulterblätter haben Kontakt zum Boden. Hebe nun das Gesäß leicht an und lass es völlig entspannt auf den Untergrund fallen. Dieses kleine Anheben und Plumpsen wiederholst du in lockerer Folge. Dabei bewegst du das Becken ein wenig von Seite zu Seite.
Effekt: Diese Übung entspannt verkrampfte Muskeln und gibt den Gelenken des Rückens und des Iliosakralgelenks eine lockere Mobilisation. So kann sich Gelenkflüssigkeit in ihnen verteilen. Während die Schwerkraft die Wirbel im Alltag meist gegeneinander drückt, verlängert sich hier die Wirbelsäule sanft. So erhalten die Bandscheiben Raum zum Atmen.
3//Drehen und entspannen: Lendenwirbelsäule-Praxis
Beginne in der gleichen Ausgangsposition wie in Übung 2. Versetze dein Becken etwas nach links und lass die Knie entspannt zur rechten Seite sinken. Die Knie müssen nicht bis zum Boden kommen. Genauso darf sich deine linke Schulter leicht abheben. Um die Drehung zu intensivieren, lege deine rechte Hand aufs linke Knie. Strecke das rechte Bein und räkel dich mit dem linken Arm diagonal nach oben (Foto). Lass den Atem ruhig und gleichmäßig fließen. Beobachte so einige Minuten lang, wie dein Körper mit dem Atem in die Drehung hinein schmilzt. Dann wiederholst du die Übung auf der anderen Seite.
Effekt: Die einzelnen Wirbel werden von kleinen Muskeln (Mm. Multifidii) gegeneinander stabilisiert. Die meiste Zeit des Tages halten sie die Wirbelsäule statisch. Durch diese konstante Anspannung verkrampfen sie und schnüren dabei ihre eigene Blutversorgung ab. Die Folge ist ein tiefer, brennender Schmerz. Die fest aneinander gepressten kleinen Wirbelgelenke (Facettengelenke) verstärken den Schmerz zusätzlich. Mit dieser Übung kommt Bewegung in die sonst statischen Muskeln. Verspannungen schmelzen buchstäblich aus dem Rücken heraus.
4//Eine starke Mitte: Lendenwirbelsäule-Praxis
Version A: Hebe die gebeugten Beine in einem 90-Grad-Winkel und schiebe die Fußballen von sich weg. Lege die Handflächen übereinander zwischen die Schulterblätter, sodass dein Kopf zwischen den Ellenbogen auf den Unterarmen ruht. Mit der nächsten Ausatmung aktivierst du die geraden Bauchmuskeln und hebst du das Brustbein Richtung Decke. Der Nacken bleibt entspannt, der untere Rücken liegt vollständig auf der Matte. Halte die Position einige gleichmäßige Atemzüge lang.
Version B: Aus dieser Haltung schiebst du einatmend die rechten Hand diagonal an die Außenseite des linken Oberschenkels. Der Blick folgt dem Arm. Mit der nächsten Ausatmung kehrst du zurück in die mittige Position mit beiden Händen zwischen den Schulterblättern. Die nächste Einatmung führst du in die Diagonale. Diesen Wechsel wiederholst du in einem ruhigen Atemrhythmus, bis du ein wohliges Brennen in den seitlichen Bauchmuskeln wahrnimmst. Achte darauf, dass der untere Rücken den Kontakt zur Matte behält und beide Schulterblätter auch während des Seitenwechsels vom Boden abheben.
Effekt: Beim diagonalen Schieben werden die seitlichen Bauchmuskeln aktiviert. Auf der höheren Seite kommt vor allem das äußere Blatt (M. Obliquus Abdominis Externus), auf der zugewandten Seite vor allem das mittlere Blatt (M. Obliquus Abdominis Internus) zum Einsatz. Beide Muskeln liegen in demselben Faszienzug, der spiralig den gesamten Rumpf umhüllt. Die Faszie des äußeren Blattes findet an den Dornfortsätzen der Wirbelsäule ihren Ursprung. Sie verläuft diagonal bis zur Mittellinie, kreuzt dort im Zickzack zur Gegenseite und wird zur mittleren Schicht. Diese setzt sich bis zu den Querfortsätzen der Wirbelsäule an der Gegenseite weiter. Vom Querfortsatz zum Dornfortsatz wird die Kraft über die Wirbelkörper übertragen. So umhüllen die Faszien der seitlichen schrägen Bauchmuskeln bzw. deren Faszien unseren Rumpf. Gemeinsam mit den Muskeln geben sie uns Halt und stabilisieren die Bauchorgane. Die Kräftigung der seitlichen Bauchmuskeln gibt der Lendenwirbelsäule mehr Stabilität.
5//Push and Pull: Lendenwirbelsäule-Praxis
Lass Schultern und Kopf wieder am Boden ruhen, halte deine Beine aber weiter im 90-Grad-Winkel. Lege die Hände an die Knie und drücke Hände und Oberschenkel aktiv gegeneinander. Der untere Rücken bleibt auf der Matte, die Lendenwirbelsäule gestreckt ist und die Bauchdecke sich nicht hebt. Diese Position hältst du einige Atemzüge lang.
Effekt: Der Druck der Hände gegen die Knie aktiviert nicht nur die Bauchmuskeln. Er zieht auch die Lendenwirbelsäule in die Länge. Genau dieser Umlenkmechanismus findet durch das Zwerchfell statt. Sind die Bauchorgane durch die umhüllenden Bauchmuskeln stabilisiert? So findet die zentrale Sehnenplatte des atmenden Zwerchfells ein stabiles Widerlager. Dann ziehen die Ränder des Zwerchfells mit jedem Atemzug die Lendenwirbelsäule in die Länge. Indem die Übung die Bauchmuskeln kräftigt, hilft sie also, den Druck auf die Lendenwirbelsäule zu mindern.
6//Noch eine Schicht tiefer
Nachdem die vorherigen Übungen die oberflächlichen Schicht Bauchmuskeln aktiviert haben, wendest du dich nun der tiefsten Schicht zu. Dazu streckst du die Beine senkrecht nach oben. Der Kopf liegt entspannt auf der Matte. Die Arme sind lange ausgestreckt und mit zur Decke gewandten Handflächen hinter den Kopf gelegt. In dieser Haltung schiebst du jeweils mit der Ausatmung die Fußballen Richtung Decke und hebst das Becken leicht an. Achte darauf, dass die Beine senkrecht über dem Becken bleiben. Das Heben des Beckens ist nur dezent. Dennoch wirst du die Arbeit der tiefen Bauchmuskeln deutlich wahrnehmen können. Wiederhole die Becken-Lifts, bis sich ein wohliges Brennen einstellt.
Effekt: Die tiefste Schicht der Bauchmuskeln (M. Transversus Abdominis) ist mit die wichtigste Muskelgruppe gegen Rückenschmerzen. Bei fast jeder Bewegung wird dieser Muskel als erstes aktiviert, um die nötige Stabilität zu gewährleisten. Mit dieser Übung aktivieren wir genau diese tiefste Muskelschicht und fördern so ihre stabilisierende Funktion.
//Für Profis: Lendenwirbelsäule-Praxis
Du willst mehr? Dann stelle die Füße nochmals hüftbreit auf. Strecke die Arme diagonal nach hinten oben, lege die Hände übereinander und stütze den Kopf auf die Oberarme. Von hier aus rollst du dich mit den Händen beginnend bis über die Schulterblätter nach oben. Achte dabei darauf, dass die Lendenwirbelsäule festen Kontakt zum Boden bekommt. Strecke nun das eine Bein langsam dicht über dem Boden nach vorne aus. Aktiviere alle drei Schichten der seitlichen Bauchmuskeln, um den Kontakt zum Boden zu erhalten. Stabilisiere dich einige Atemzüge lang in dieser Position. Dann wechselst du die Seite.
Vorsicht: Sobald die Lendenwirbelsäule vom Boden abhebt, sind die Bauchmuskeln erschöpft. Dann ist die Übung für dich beendet.
Steigerung: Du willst noch mehr? Dann kannst du langsam das zweite Bein zum ersten dicht über dem Boden in die Luft nach vorne schieben.
Effekt: Sicher eine Übung für Profis. Wer so viel Stabilität in seinem Rumpf aufbaut, der hat die besten Voraussetzungen auch in anspruchsvollen Körperhaltungen der Yogapraxis die Länge der Lendenwirbelsäule zu erhalten. Auch für Armbalancen und Handstände ist diese Festigkeit der Körpermitte ein essenzieller Baustein.
Ausklang
Anschließend kannst du die ersten Übungen nochmals wiederholen und so die gekräftigte Körpermitte wieder lockern. Mit Konstanz zeigt dir ein wohlig stabilisierendes Ziehen rund um deine Körpermitte, dass diese sich anpasst. Du warst aktiv und dein Körper reagiert darauf. Um eine langfristige Änderung zu erzielen, solltest du mindestens dreimal pro Woche üben. Wie gut sich ein Rücken anfühlen kann und was alles möglich ist mit dieser geschmeidigen und starken Mitte! Viel Freude beim Üben!
Dr. Ronald Steiner ist Arzt für Sportmedizin und zählt zu den bekanntesten Praktikern des Ashtanga Yoga. Die von ihm begründete AYInnovation®-Methode baut eine Brücke zwischen der Tradition und progressiver Wissenschaft. Zwischen präziser Technik und praktischer Erfahrung.
Danke für diese tollen Übungen. Die morgendliche Verspannung hat sich so, recht gut gelöst.