Wenn fragwürdige Menschen meinen, Gott an ihrer Seite zu haben, müssen wir uns dann ganz von dem Glauben an etwas Göttliches verabschieden? Eigentlich traue ich mich gar nicht, solche Texte zu schreiben. Über Gott. Deshalb schreibe ich meistens über Götter und Dämonen, und werde dabei nicht müde zu betonen, dass das lediglich Bilder der Seele sind. Dass es Anteile von uns selbst sind und dass die Geschichten uns dabei helfen sollen, zu entscheiden, welche Teile unserer Persönlichkeit wir im Konflikt mit uns selbst gewinnen lassen wollen.
Dass ich Angst habe, wirklich von Gott zu reden, liegt an meiner Erziehung in den 1980er-Jahren. Damals wurden mir als Teenager im Sachkunde-Unterricht Aufklärungsfilme gezeigt, in denen betont wurde, dass Bhagwan ein gefährlicher Verführer und die Hare-Krishna-Bewegung eine fragwürdige Sekte sei. Das hat mich bis heute geprägt. Egal, wo ich auf der Welt bin: Wenn in einem Tempel das Hare-Krishna-Mantra gesungen wird, ob in Delhi, New York oder Köln, dann denkt dieser Junge in mir kurz: „Schnell weg hier“. Nur wenn ich Glück habe, gewinnt schließlich doch mein Herz und ich beginne mitzusingen.
Mein kritischer Verstand erlaubt vielleicht, mir Gott als eine universelle Kraft vorzustellen, die jenseits aller Beschreibung liegt. Es fällt mir persönlich aber immer noch schwer, an einen Gott mit irgendwelchen Eigenschaften zu glauben, selbst wenn sie noch so gut sind. Schwierig wurde es kürzlich, als meine fünfjährige Tochter fragte: „Papa, wie sieht Gott aus?“
Eine der größten Geschichten, die in Indien erzählt werden, ist die Ramayana: Die Reisen oder der Weg Ramas. Sie erzählt von der Inkarnation des Gottes als junger, rechtschaffener Prinz. Sein treuer Diener in der Geschichte ist Hanuman, der Sohn des Windgottes und einer Äffin. Ein Gott in Affengestalt sozusagen, der es aber wirklich „in sich“ hat. Nämlich die Liebe zu Gott – als Prinz Rama. Hanumans Hingabe zu Gott ist so groß, dass er stellvertretend für die Kraft steht, das Unmögliche möglich zu machen. Rama hätte die alles entscheidende Schlacht gegen den bösen Ravana gar nicht führen können, wäre Hanuman nicht gewesen. Denn wie hätte er mit seinem Heer das Meer überqueren sollen, um zur Insel des Dämonen zu gelangen? Hanuman hatte eine simple Idee: „Wir können doch Steine ins Wasser werfen und darüber laufen.“ Da mussten selbst Ramas Soldaten lachen: „Blöder Affe. Wie soll das denn gehen?“ Hanuman ließ sich nicht beirren, warf einige Steine in die Wellen und hüpfte darüber. „Wie hat er das bloß gemacht?“, fragten sich die Soldaten. Denn sobald sie Steine ins Wasser warfen, gingen die natürlich unter. Hanuman lachte und erklärte: „Ich habe einfach den Namen Ramas darauf geschrieben.“ Die Steine, die er mit dem Namen seines Gottes beschrieben hatte, blieben oben. So groß war die Kraft seiner Liebe zu Rama.
In unserem Alltag benutzen wir die Redewendung „in Gottes Namen“ meist nur zynisch: „Lassen Sie mich in Gottes Namen in Ruhe.“ Und ich will hier nicht über die Leute sprechen, die „in Gottes Namen“ anderen Leid zufügen. Je suis Charlie! Aber vielleicht können wir diesen Worten doch etwas abgewinnen, wenn wir unseren Geist in die Stille führen wollen. Patanjali spricht von
Ishvara Pranidhana (was oft mit „Hingabe an Gott“ übersetzt wird) als einem der fünf Niyamas, einer der Grundvoraussetzungen, bevor man überhaupt mit den Asanas beginnt.
Probieren Sie es aus. Wenn Sie das nächste Mal auf die Yogamatte gehen, dann tun sie das doch mal im Namen Gottes oder der Göttin. Und lassen sie sich im Sonnen- oder Mondgruß in seine oder ihre Arme fallen. Das kann sich sehr schön anfühlen. Wir können manchmal viel tiefer entspannen, wenn wir uns an ihn oder sie abgeben. Und vielleicht erscheint Ihnen Ihre Praxis an diesem Morgen oder Abend dann etwas leichter oder anmutiger als sonst. Dann können auch Sie mit George Harrison singen: „My Sweet Lord“. Die Beatles fand ich als Teenager schon toll. Und hätte ich gewusst, dass Harrison so schön über Krishna gesungen hat – vielleicht wäre es mir dann schon früher viel leichter gefallen mitzusingen. //
Ralf Sturm widmet sich unter dem Motto „Divine Life“ auch auf seiner Website verstärkt dem Weg zu einem Leben, in dem man Gott einen Platz einräumt. Zusammen mit Katharina Middendorf hat er bei GU das Buch „Götter-Yoga“ veröffentlicht. (www.ralfsturm.de)