Macht Meditation uns zu besseren Menschen?

Seien wir mal ehrlich: Leute, die Yoga üben oder meditieren (Anwesende natürlich ausgenommen), tun manchmal schon so, als wären sie bessere Menschen. Aber stimmt das? Und falls ja, was ist die Ursache, was die Wirkung?

Jede wachstumsorientierte Großfirma bietet heutzutage Meditationskurse an: Google. Die Deutsche Bank. SAP und die US Army. Warum sie das tun, liegt auf der Hand: Meditation fördert Konzentration und Kreativität, erhöht also die Produktivität. Steve Jobs hat meditiert und dann das iPhone erfunden, also los, Leute!

Meditation (nur) Mittel zur Energiegewinnung?

Wenn du ein bisschen allergisch darauf reagierst, dass man Meditation (nur) als ein Mittel zur Energiegewinnung und Profitsteigerung ansieht, hast du natürlich recht: Meditation ist vor allem eine Methode, systematisch die eigene Persönlichkeit, die eigenen Werte und die eigene Umwelt zu erforschen und zu betrachten – liebevoll und freundlich. Falls du also in deinem Alltag oder Arbeitsalltag Dinge tust, die moralisch fragwürdig sind, (was ganz sicher nicht nur auf Manager und Soldaten zutrifft,) so wirst du dich im Zuge deiner Meditationspraxis hoffentlich auch damit auseinandersetzen, wie du dazu eigentlich stehst.

Die eigene Sache besser machen

Meditation ist, überspitzt formuliert, ein Teil des Bemühens, ein besserer Mensch zu werden. Dafür
braucht man meiner Ansicht nach keinen religiösen Überbau. Aber wer ernsthaft meditiert, kommt auf die Dauer auch nicht um die Betrachtung entsprechender Lebensbereiche herum. Ich bin sogar überzeugt, dass es gut ist und die Welt besser macht, wenn jede und jeder von uns immer wieder versucht, ihre oder seine Sache so gut und anständig wie möglich zu machen.

Meditation besserer Mensch
Meditation ist, überspitzt formuliert, ein Teil des Bemühens, ein besserer Mensch zu werden.

Yoga wirkt auf die Psyche

Natürlich könnten wir Yoga auch wie Fußball oder Leichtathletik betreiben: rein als Sport. Vielleicht mit dem Ziel, schlanker, straff er oder gelenkiger zu werden – was sich natürlich auch durch andere sportliche Betätigung erreichen ließe. Wer erst einmal wirklich auf den Yogaweg einbiegt, erkennt aber schnell: Viel entscheidender sind die positiven Wirkungen auf die Psyche. Sogar von Traumapatienten weiß man aus Untersuchungen, dass bestimmte Yogapraktiken eine ausgezeichnete Ergänzung zur Therapie darstellen, weil sie dem Körper ermöglichen, die Ruhe und den Frieden zu erleben, die Traumapatienten so schwerfallen.

Aber es geht noch weiter, denn Yoga ist von seiner Tradition her ja eine spirituelle Praxis. Wenn man im Sinne des Achtgliedrigen Pfades übt, den Patanjali im Yogasutra beschrieben hat, dann sind Asanas und Meditation nur Schritte auf einem Weg, dessen letztes Ziel die völlige geistige Ruhe und Versenkung ist: Samadhi. Wer das im Blick hat, weiß: Yoga als Kalorienverbrennstunde wird völlig unter Wert genutzt. Genauso bleibt auch die Meditation hinter ihren Möglichkeiten zurück, wenn du nur sitzt, um dich in deinem ansonsten unveränderten Leben härter rannehmen zu können.

Durch Meditation lernst du dich besser kennen

Aber an dieser Stelle wird es tricky: Manche Menschen finden es sehr spannend und verlockend, sich und ihr Leben genauer zu betrachten. Anderen erscheint es schwierig oder schmerzhaft. Wie gesagt: Du musst das nicht tun, um die Vorteile der Meditation für dich zu nutzen. Ich schlage dir aber vor, offen für Erlebnisse und Wahrnehmungen in dieser Richtung zu bleiben. Meditation wird, wenn du dich auf sie einlässt, mit der Zeit dazu führen, dass du die in deinem Leben zum Ausdruck gebrachten Werte bemerkst und hinterfrägst. Du lernst dich selbst besser kennen und kannst so mehr die oder der werden, die oder der du sein möchtest.

Das gilt ähnlich für jedes Coaching, jede Psychotherapie, auch schon für ein substanzielles Gespräch unter Freunden: Wer große Angst davor hat, die eigenen Werte und das eigene Tun zu hinterfragen, und sich lieber hinter Härte und Entschlossenheit versteckt, hat vermutlich unbewusste oder unterbewusste Gründe dafür. Mit anderen Worten: Ob du es als eine Bereicherung oder als eine Irritation ansiehst, sich mit diesen Ebenen des Ichs auseinanderzusetzen, ist eine sehr persönliche Frage, die ganz unabhängig ist von der Meditation. Wenn du unbedingt genau so bleiben willst, wie du bist, solltest du nicht nur die Meditation, sondern ganz generell jede Form der Reflexion meiden.

Du musst für Meditation bereit sein

Wobei klar ist: Häufig handelt es sich bei einem solchen Beharren um eine Abwehr von Ängsten, die am Ende in
sich zusammenbricht und zum Burnout oder einer Depression beiträgt. Man sollte aber auch nichts erzwingen: Wenn du dich im Rahmen der Meditation mit deinen Werten und deiner Persönlichkeit auseinandersetzt, obwohl es dir (jetzt) einfach richtig unangenehm ist, dich tief auf dich und das Leben einzulassen, dann kann Meditation
zu Schwierigkeiten führen. Oder sie wird nicht gelingen, weil die ablehnende Stimme in deinem Inneren sich wehrt. Wenn du also wirklich große Angst davor hast, verwundbar, weich oder soft zu werden, dann würde ich dir empfehlen, eher die “einfachen” Techniken (wie Atemmeditation oder Gehmeditation) zu nutzen, oder ein Verfahren wie MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) oder autogenes Training zu erlernen. Das mindert deine körperliche Belastung durch Stress und du bist nicht gezwungen, deine Persönlichkeit auf den Prüfstand zu stellen.

Über die eigenen Werte stolpern

Aber nehmen wir mal an, du kannst und willst dich auf die tiefere Selbsterforschung in der Meditation einlassen: Was verändert sich dadurch? Ich behaupte mal: Wer eine Arbeit verrichtet oder an Verhaltensweisen festhält, die mit den eigenen Werten nicht wirklich vereinbar sind, wird früher oder später über diese Erkenntnis stolpern. Und ich glaube sogar, dass genau diese Befürchtung es ist, die manche Menschen davon abhält, zu meditieren. Denn wenn man erst einmal weiß, was man bisher erfolgreich verdrängt, muss man ja auch irgendwie damit klarkommen.

Eine bessere Version deiner Selbst

Doch keine Sorge: Wenn du einen Job hast, den manche vielleicht für völlig überflüssig halten, du findest ihn aber relevant – dann wird auch kein Problem beim Meditieren auftreten, keine Diskrepanz. Im positiven Fall trägt Meditation sogar zu mehr Rückgrat und Entschlossenheit bei. Denn wenn du bewusst erkennst, dass du mit dir, deinem Tun und deinen Werten im Einklang bist, dann kannst du auch deutlich überzeugender vertreten, was dir wichtig ist, und lässt dich nicht so leicht von alltäglichen Zwischenfällen verunsichern. Das Ergebnis wären die Partner, Freunde, Eltern, Kollegen oder Chefs – und letztlich auch die Generäle und Banker –, die wir uns alle wünschen: offen genug, um gut zuzuhören, und entschlossen genug, um Position zu beziehen. Macht Meditation uns also zu besseren Menschen? Ich wüsste nicht, wie das gehen soll. Aber zu einer besseren Version des Menschen, der ich sowieso bin. Und vielleicht sollten wir davor nicht nur keine Angst haben, sondern uns sogar darauf freuen.


Autor Ulrich Hoffmann ist Yoga- und Meditationslehrer. Als Autor von Titeln wie “Was Meditation wirklich kann”,
“Meditation: Mein Übungsbuch” und “Mini-Meditationen” erreicht er ein großes Publikum. Hoffmann ist verheiratet und hat drei Kinder. ulrichhoffmann.de

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