Nicht nur für Yoga-Neulinge ist der Handstand eine große Herausforderung. Unsere Gastautorin Andrea Ferretti hat sich für YOGA JOURNAL der Asana ausführlich gewidmet. Der Trick dabei: Viel üben und konsequent auf die stützende Wand verzichten! Die Praxis-Reihe “In 7 Schritten zum Handstand” finden Sie ab 15. September auf unserer Website.
Vor Jahren bei einem Fotoshooting für das amerikanische YOGA JOURNAL beobachtete ich die Yogalehrerin Alexandria Crow beim Aufwärmen. Nach einigen klassischen Sonnengrüßen und Hüftöffnern ging sie plötzlich in den Handstand – und eine gefühlte Ewigkeit lang hielt sie mühelos und sicher die perfekte Balance. Dieser Handstand war das komplette Gegenteil meiner kläglichen Versuche, bei denen ich nur darauf wartete, à la Charlie Chaplin auf den Allerwertesten zu plumpsen. Auf meine Frage, wie sie die Asana so spielend meistere, erklärte Alexandria Crow, sie habe früh angefangen zu üben. Als ehemalige Turnerin hat sie den Handstand von Kindesbeinen an praktiziert. Doch worin unterscheidet sich das Handstand-Training auf der Turnmatte von dem auf der Yogamatte? Ganz einfach: Man übt ihn von Anfang an ohne Wand.
Natürlich bietet die Wand ein naheliegendes Hilfsmittel, um den Handstand gefahrlos zu lernen. Wenn man sich aber mit den Fersen immer wieder an der Wand abstützt, speichert die Körperwahrnehmung diese Ausrichtung als senkrecht ab, obwohl man – wer hätte es gedacht – eben nicht wirklich vertikal steht. „Eine Wand eignet sich wunderbar, um zu lernen, wie man sich kraft der Beine und Schultern in den vollen Handstand schwingt“, erläutert Alexandria Crow. „Aber leider braucht man etwas mehr Schwung, um in diese leichte Schräglage zu kommen.“ Die Wand kann diesen übermäßigen Elan zwar abfangen, doch im freien Raum fällt man mit diesem Plus an Schwung unkontrolliert vornüber. Die Folge: Es ist sehr schwer, den an der Wand gelernten Handstand in den freien Raum zu übertragen: Erstens hält man schräg für senkrecht, zweitens holt man zu viel Schwung und drittens erzeugt die fehlende Stütze Angst.
So geht der Handstand ohne Wand
Deswegen gehen Turner anders vor: Um vom ersten Versuch an ein Gefühl für die senkrechte Achse zu bekommen, lernen sie den Handstand mithilfe eines Partners im freien Raum. Dazu heben sie die Beine langsam und ohne Schwung über den Kopf, während sie kontrolliert Spannung in der Körpermitte, den Schultern und Oberschenkeln halten. Eben die Körperspannung, die man bei der Yogapraxis anstrebt.
Aber auch wenn Sie den Handstand jahrelang anders geübt und längst eine falsches Gefühl für die Senkrechte eingespeichert haben, gibt es eine Lösung: Alexandria Crow hat anhand ihrer Turn- und Yogaerfahrung exklusiv für das YOGA JOURNAL eine Übungssequenz entwickelt, die Körper und Geist die korrekte vertikale Ausrichtung vermittelt. Gleichzeitig stärkt sie gezielt jene Körperbereiche, die für den freien Handstand unerlässlich sind. Ganz wichtig dabei: viel üben. „Es ist wie Laufen lernen“, meint Alexandria Crow. „Kleinkinder sind anfangs wacklig, doch sie üben das Balancieren auf den Füßen unermüdlich, jeden Tag. Den Handstand lernt man auch nicht über Nacht, doch sobald man die korrekte senkrechte Ausrichtung verinnerlicht hat, ist es wie Radfahren: Es ist für immer im Muskelgedächtnis gespeichert.“ Auf dem Weg dorthin werden Sie Kraft und Selbstbewusstsein gewinnen. Mit anderen Worten: Weniger Charlie Chaplin, mehr Alexandria Crow.
Andrea Ferretti, ehemalige Redakteurin für das amerikanische YOGA JOURNAL, lebt und schreibt in San Francisco. Alexandria Crow (Asana-Fotos und Sequenz) unterrichtet Ashtanga und Vinyasa in Santa Monica und bei Workshops weltweit.