Sahara Rose Ketabi gilt als moderne Ayurveda-Queen: Wie wenige andere schafft es die US-Amerikanerin mit persischen und indischen Wurzeln, die altindische Gesundheitslehre zeitgemäß zu interpretieren und damit gerade junge Frauen auf ihrem spirituellen Weg zu inspirieren.
Sahara Rose Ketabi findet, ich solle unbedingt damit aufhören, gruselige Filme anzuschauen. Ich bin zu Besuch bei ihr zu Hause in Pacific Palisades. Während wir im Aufzug aus dem 6. Stock des Apartmentgebäudes herunterfahren, erklärt sie mir, dass Kunst eine Saat im Geist pflanzt, die jederzeit aufgehen kann: “Alles, was du erlebst oder dir auch nur ansiehst, verändert dein Unterbewusstes. Sind schreckliche Filmbilder und Szenarien, die du dir selbst niemals ausmalen würdest, erst einmal in deinem System, dann manifestierst du auch mehr Situationen in deinem Leben, die zu diesen Bildern passen.”
Manifestieren als Superkraft
Das “Manifestieren” ist eine der Superkräfte, von denen Ketabi viel spricht – und die lässt sie sich ganz gewiss nicht von einem blöden Horrorfilm vermasseln. Begeistert erzählt sie, wie sie dank dieser Kraft wichtige Erfolge in ihr Leben gezogen hat: Das Vorwort, das ihr Idol Deepak Chopra für ihr allererstes Buch schrieb, obwohl sie damals gerade frisch von der Uni kam und noch bei ihren Großeltern lebte; ihr Ehemann, den sie als ihren “Gottesmann” bezeichnet und mit dem sie in der Meditation schon kommunizierte, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hatte; und schließlich ihr neuestes Projekt, Rose Gold Goddesses, ein weltweites Kollektiv spiritueller Frauen, die sich Erleuchtung und Schwesternschaft auf die Fahnen geschrieben haben.
Begegnung mit Deepak Chopra
Als ich 2018 gerade die Yogalehrerin Rosie Acosta in deren Wohnung interviewte, bin ich Sahara Rose zum ersten mal begegnet. Sie kam spontan vorbei, um Rosie ein Exemplar ihres damals gerade erschienenes Ayurveda-Kochbuchs “Eat Feel Fresh” vorbeizubringen. Ich hatte keine Ahnung, wer das ist – dabei war sie schon damals längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Ihr Podcast “Highest Self” war in den USA die Nummer 1 in der Kategorie Spiritualität und auch ihr Buch “Idiot’s Guide to Ayurveda” verkaufte wie kaum ein anderes Ayurveda-Buch – nicht zuletzt wegen des Vorwortes von Deepak Chopra.
Wie sie das als junger Nobody hinbekommen hat? Ketabi erzählt die Geschichte nur allzu gerne: Sie hatte sich spontan zu einer Konferenz über Yoga und Naturwissenschaften angemeldet, als sie 2017 gerade in New York war. Gelangweilt in der hintersten Reihe eines vollgestopften Vortragsraums sitzend überlegte sie, ob sie nicht lieber abhauen sollte. “Ich dachte gerade: Das Einzige, was mich jetzt noch halten könnte, wäre ein Auftritt von Deepak Chopra. Da kündigte der Moderator an: Wir machen jetzt eine Mittagspause, aber zuvor wird unser Sponsor noch ein paar Worte sagen – und im selben Moment kam Deepak Chopra auf die Bühne, winkte lässig und sagte: “Hello everyone!”
Der Traum wurde Wirklichkeit
Während sich mehrere Hundert Konferenzteilnehmer zum Ausgang drängelten, kämpfte sich Ketabi zur Bühne vor und wartete geduldig, bis er sich ihr zuwandte. Sie habe gerade ein Ayurveda-Buch geschrieben, ob sie ihm mal ein PDF schicken könne? Der Mega-Star der alternativen Medizin gab ihr ohne zu zögern seine E-Mail-Adresse. “Ich war so aufgeregt: Was passiert jetzt?”, erinnert sich Sahara Rose. An diesem Tag meditierte sie fast 8 Stunden und stellte sich vor, Chopra würde ihr Buch lesen, es gut finden und eine Widmung oder gar ein Vorwort dafür schreiben. Was soll man sagen – genau so kam es.
Dem eigenen Dharma folgen
Inzwischen ist Ketabi Mitarbeiterin von Deepak Chopras Wellness-App “Jiyo”, die beiden haben gemeinsam eine 31-Tage-Ayurveda-Challenge moderiert und arbeiten zusammen an einem Zertifizierungsprogramm für “Chopra Global”. “Es hat mir viel Freude gemacht zu sehen, wie Sahara in den letzten Jahren gewachsen ist”, sagt Chopra. “Sie ist ein echtes Beispiel für jemanden, der sein Dharma verkörpert.” Das Thema Dharma – also die yogische Idee, dass jeder Mensch eine Bestimmung hat, die er erkennen und befolgen sollte – ist für Sahara zentral.
Fasziniert von Ghandi und Mutter Theresa
Schon früh war sie fasziniert von Frauen wie Mutter Theresa und Ida B. Wells. Als die Kinder ihrer Grundschulklasse sich als ihre Lieblingspersönlichkeit verkleiden sollten, wickelte sie sich in ein weißes Leintuch und ging zur Belustigung ihrer Familie als Gandhi. Mit 12 begann sie Yoga zu üben, mit 15 nahm sie an einem Freiwilligenprogramm für globale Gerechtigkeit teil, betreute Waisenkinder in Costa Rica und half mit, in Nicaragua einen Kindergarten aufzubauen. Ihr Bruder Amir berichtet: “Sahara folgt nur ihren eigenen Gesetzen. Schon mit 13, 14 war sie sich ihrer Privilegien sehr bewusst. Ich glaube, als Einwandererkinder der ersten Generation waren wir vielen Wahrheiten über diese Welt früher ausgesetzt als andere – und meine Schwester war felsenfest davon überzeugt, dass sie rausgehen musste und versuchen, etwas zu verändern.”
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Getrieben vom Drang Gutes zu bewirken
Heute ist sie sich sicher, dass dieser Drang, etwas Gutes zu bewirken, Ausdruck ihres Dharmas ist – und dass diese Bestimmung ihr gesamtes Leben antreibt und erfüllt. Damals waren es Bücher von und über politische und spirituelle Pioniere, die ihr dabei halfen, überhaupt eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie ihr eigener Weg aussehen könnte. Lachend berichtet sie: “Wenn ich damals mit meinen Eltern Streit hatte, sagte ich: Ihr werdet sehen, eines Tages werde ich wie Deepak Chopra!” Trotzdem entschied sie sich nach der Schule zunächst für einen politischen Werdegang: Sie studierte in Washington Internationale Beziehungen und wollte Menschenrechtsanwältin werden. Mehrere Praktika bei den in der US-Hauptstadt angesiedelten internationalen Hilfsorganisationen vermittelten ihr einen guten Einblick, wie Gelder beschafft und Strippen gezogen werden – entfernten sie dabei aber zugleich, wie sie heute sagt, immer weiter von ihrem eigentlichen Dharma.
Der neue Weg: Positives Denken und Ayurveda
Schon nach wenigen Monaten fühlte sie sich erschöpft, deprimiert und litt unter unerklärlichen Verdauungsproblemen. Ihre Menstruation blieb aus, sie nahm immer mehr ab und wog mit 21 nur noch knappe 40 Kilo. Erst als sie begann, sich mit positivem Denken und gesunder Ernährung zu beschäftigen, begann das Blatt sich wieder allmählich zu wenden. Sie startete einen Blog, begann eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin – und entdeckte auf diesem Weg die indische Gesundheitslehre Ayurveda. “All meine gesundheitlichen Probleme, aber auch meine Persönlichkeitsstruktur wurden mir durch Ayurveda im Zusammenhang verständlich”, erinnert sie sich.
Die Kombination aus Ernährung, pflanzlichen Heilmitteln und yogischer Atemarbeit setzte schließlich die Heilung in Gang: “Das erste, was mir auffiel, war, dass ich viel besser schlafen konnte. Das dauernde Geplapper in meinem Kopf wurde weniger und ich konnte klarer denken. Ich fühlte mich stabiler und friedvoller als je zuvor. Und endlich konnte ich Nahrung wieder verdauen, ohne mich mit Krämpfen auf dem Sofa winden zu müssen.”
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Weibliche Spiritualität
Unzufrieden mit den Möglichkeiten, in den USA authentisches Ayurveda zu studieren, schrieb sich Sahara einige Zeit später an einer Schule nahe Delhi ein. Da die Hälfte ihrer Vorfahren aus Indien stammen, fühlte sie sofort eine tiefe Verbindung mit dem Land und seiner Kultur. Zwei Jahre lang tauchte sie in die traditionellen Lehren des Ayurveda ein – doch zugleich dachte sie darüber nach, wie man sie für die heutige Zeit erneuern könnte. Einfaches Beispiel: Dass man im traditionellen Indien angesichts von hohen Temperaturen und geringen Möglichkeiten zur Kühlung niemandem raten kann, rohe Lebensmittel zu essen, liegt auf der Hand.
Traditionelle Lehren mit modernem Touch
Die moderne Ernährungswissenschaft hat dagegen eher den Reichtum an Nährstoffen im Blick und fordert ausdrücklich, viel frisches Obst und Gemüse zu essen – also darf man ayurvedische Rezepte heute ruhig ein wenig anpassen. Auch in den spirituellen Überlieferungen fand Ketabi vieles, das sie zu neuen Formen inspirierte. Vor allem die vedischen und hinduistischen Göttinnen hatten es ihr angetan. Mit gerade mal 23 Jahren begann sie, Göttinnen-Retreats für Frauen zu organisieren. Jeden Tag widmete sich die Gruppe einer anderen archetypischen Gottheit – mit Yoga, Meditationen, Tanz und ayurvedischen Ritualen: “Am Saraswati-Tag machten wir uns auf die Suche der uns angeborenen Kreativität”, erzählt Sahara, “am Radha-Tag übten wir herzöffnendes Yoga, am Kali-Tag gab es eine wilde Yoga-und-Tanz-Praxis und wir zelebrierten schamanische Schüttelrituale im Kreis.” Dabei wurde ihr immer deutlicher, dass eine Frau all diese Qualitäten in sich vereinigt und aus dieser Fülle schöpfen darf.
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“Darf ich über indische Göttinnen sprechen?”
Das kürzlich ins Leben gerufene Netzwerk Rose Gold Goddesses führt diese Idee weiter. Hier sollen sich spirituelle Frauen auf der ganzen Welt miteinander verbinden, austauschen und die archetypischen weiblichen Gottheiten der verschiedenen Kulturen erforschen. Dazu können Mitglieder des Netzwerks auf Yogaübungen, Rituale, Meditationen, Musik, Mantras und Mudras zu den einzelnen Göttinnen zugreifen. Als ich Ketabi frage, ob sie es nicht problematisch findet, sich das kulturelle Erbe anderer Völker auf diese Weise anzueignen, reagiert sie selbstbewusst: “Darf ich über die indischen Göttinnen sprechen, obwohl ich nicht in dieser polytheistischen Kultur aufgewachsen bin?”, fragt sie rhetorisch. “Na klar! Göttinnen gibt es in allen Kulturen und Religionen, es sind universelle Archetypen, die uns allen gehören. Ich finde, da wird zu sehr auf die Unterschiede geschaut, anstatt auf das Verbindende – wie sind doch alle Menschen.”
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Frauen sind Rosen
Als ich Sahara Rose Ketabi zum letzten Mal an einem wolkenlosen Freitag in ihrer Wohnung besuche, hat sie ein paar Freundinnen eingeladen. Gemeinsam wollen die Frauen eine Göttinnen-Zeremonie zu Ehren von Saraswati feiern – oder allgemeiner gesprochen: zu Ehren der göttlichen weiblichen Kreativität. Wir setzen uns im Wohnzimmer in einen weiten Kreis. Sonnenlicht strömt von allen Seiten durch den Raum. Ketabi eröffnet die Zeremonie damit, jede der Frauen mit einer einzelnen Rose zu beschenken. “Diese Blume symbolisiert Schönheit, Eleganz, Kraft und Weisheit”, erklärt sie. “Aber eine Rose kann man sich auch nicht achtlos zu eigen machen und mit ihr anstellen, was man will: Sie hat Dornen und setzt sich zur Wehr.”
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Wie wichtig das in Zeiten von #Metoo ist, muss sie uns eigentlich nicht erläutern, aber das Thema brennt ihr auf der Seele: “Als Frauen möchten wir unsere Schönheit und das volle Spektrum dessen, was wir sind, mit der Welt teilen, aber da liegt ein dunkler Fleck über unserer Gesellschaft: Wir fühlen uns nicht sicher.” Genau deswegen ist die Gemeinschaft unter Frauen so wichtig, die gegenseitige Unterstützung einerseits und das individuelle, persönliche und berufliche Wachstum andererseits. Eigentlich, meint Sahara, ist es ganz einfach: “Wir sind die Rose!”
Mehr über Sahara Rose auf iamsahararose.com und instagram.com.
Text: Lindsay Tucker / Fotos: Stefanie Vinsel Johnson