Yoga gegen Asthma

Dass einem mal vor Schreck der Atem stockt oder die Atemwege während einer Erkältung „zu“ sind, das kennen wir wohl alle. Aber was, wenn das Gefühl, keine Luft zu bekommen, ein ständiger Begleiter ist? Hier liest du, was Asthma mit der Atmung macht und wie Yoga und Atemtechniken helfen.

Text: Nici Tannert / Titelbild: Science Photo Library via Canva

Die Nacht vom 19. auf den 20. Juni 2022 war wohl die schlimmste meines Lebens. Ich wurde von akuter Atemnot aus dem Schlaf gerissen, habe mich ins Bad geschleppt und mein Notfallspray in mich gepumpt. Wieder und wieder. Dabei weiß ich eigentlich, dass es mir nur bei leichteren Beschwerden hilft. Normalerweise sitze ich die schweren Anfälle einfach aus und nach einer halben Stunde wird es allmählich besser. Dieses Mal nicht. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Nach vier Stunden war mir klar, dass ich die Nacht nicht überleben würde, wenn ich es nicht schaffte, Hilfe zu holen. Also mit dem Notarzt in die Klinik. Drei Wochen später die nächste Attacke. Wieder nachts. Wieder ins Bad geschleppt. Aber dieses Mal bin ich nach nur zwei Minuten bewusstlos zusammengeklappt. CO2-Narkose durch einen stark erhöhten Kohlendioxid-Gehalt im Blut. Wäre mein Freund nicht zufällig da gewesen, könnte ich jetzt nicht davon erzählen.

Danach bin ich in ein Erdgeschoss gezogen und habe meine Tür nicht mehr abgeschlossen, damit man mich gegebenenfalls schneller finden und retten kann. Noch heute traue ich mich kaum, ohne einen vorbeugenden Stoß Kortisonspray einzuschlafen. Zu tief sitzt die Erfahrung dieser beiden Nächte. Die Angst vor dem Tod, Abhinivesha, ist laut Patanjalis Yoga Sutra eines der fünf Leiden (Klesha), die das Gleichgewicht unseres Bewusstseins stören. Sie ist instinktiv und die subtilste Form von Leid. Ich will aber nicht ängstlich sein. Angst lähmt. Ein weiteres Klesha ist die Unwissenheit, Avidya. Sie ist der Nährboden aller anderen Leiden. Für mich hieß das: Wenn ich die Furcht überwinden will, muss ich mehr über die Ursachen von Asthma erfahren, über die Abläufe im Körper. Und ich muss lernen, wie ich mir selbst helfen kann.

Was wir über Asthma wissen

Der Begriff kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Atemnot oder Beklemmung. Medizinisch steht er für Asthma bronchiale, eine chronische Entzündung der Atemwege mit dauerhafter Überempfindlichkeit, die anfallartig zu Atemwegsverengung, vermehrter Schleimsekretion und einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur führt. Hierzulande leiden laut dem Gesundheitsatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) etwa 3,5 Millionen Menschen an Asthma. Bei uns liegt es in der Familie, zudem bin ich im DDR-Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld aufgewachsen. Die Frage „Warum ich?“ habe ich mir daher nie gestellt. Inzwischen weiß ich, dass aber nicht nur die Gene und die Luft, sondern auch die Art und Weise, wie wir atmen, einen wichtigen Einfluss auf die Beschwerden haben kann. Dazu später mehr.

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Foto: nordic Nordic von Pexels via Canva

Das Risiko von Notfall-Medikamenten

Was ich auch lernen musste: Die Notfall-Medikamente, die ich bis dahin bedarfsmäßig inhalierte, haben die richtig schlimmen Asthmaanfälle wahrscheinlich erst ausgelöst. Wie viele Asthmatiker*innen hatte ich immer ein Reliever-Spray (SABA) dabei, das die Atemwege kurzzeitig erweitert. Und wie so viele habe ich es zeitweise überbenutzt. Mir war einfach nicht bewusst, dass das gefährlich sein könnte. Dabei steht es ganz klar in den Versorgungsleitlinien der Bundesärztekammer: „Da der häufige Gebrauch von SABA die Symptome des Asthmas kaschiert, ohne die Entzündung zu behandeln, erhöht sich das Risiko für Exazerbationen“, also plötzlichen Verschlechterungen. Darauf haben mich leider weder mein Haus- noch mein Lungenarzt aufmerksam gemacht. Ich musste es erst selbst erleben.

Dr. Timothy McCall geht in seinem Buch „Yoga as Medicine“ sogar so weit zu vermuten, dass die zunehmende Häufigkeit von tödlichen Asthma-Attacken neben Faktoren wie Luftverschmutzung, Stress oder einem schwachen Immunsystem auch mit der Medikation zusammenhängen könnte. Statt auf SABA setzt man heute eher auf Kortisonsprays, weil sie entzündungshemmend wirken. Wenn einem buchstäblich die Luft ausgeht, sind solche Sprays zwingend notwendig, als Dauermedikation sind auch sie aber nicht ideal. Was also können wir tun, um vorzubeugen? Bewusst atmen.

Das Wunder der Atmung

Eigentlich ist es ja ganz einfach: Atmung erfolgt automatisch. Je nach ph-Wert, Sauerstoff- und vor allem Kohlendioxid- Gehalt im Blut gibt das Atemzentrum im Hirnstamm den Impuls zur Ein- oder Ausatmung und steuert die Tiefe des Atemzuges. Die Einatmung erfolgt, wenn sich die Muskulatur der unteren Rippen weitet und sich die Doppelkuppel des Zwerchfells Richtung Bauchraum zurückzieht. Das vergrößert das Volumen im Brustraum und dehnt die Lungenflügel, die selbst keine Muskulatur haben. Es entsteht ein Unterdruck, wodurch frische Luft eingesaugt wird. Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell wieder nach oben, die Brusthöhle verkleinert sich also und damit der Raum für die Lunge. Die verbrauchte Atemluft wird herausgedrückt. Das wiederholt sich bei einem gesunden Menschen im Ruhezustand etwa 6 bis 14 Mal pro Minute.

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Foto: Eva Bronzini von Pexels via Canva

Atmung bei Asthmatikern

„Die Atemfrequenz bei Asthmatikern ist zwei- bis dreimal höher“, erzählt mir der Atem-Trainer Patrick McKeown, der als einer der führenden Experten auf dem Gebiet gilt: „Weil ihre Atemwege verengt sind, haben sie das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen und atmen daher schneller und heftiger. Oft durch den Mund, wodurch die kalte, trockene und ungefilterte Luft die Atemwege noch mehr verengt.“ Bei einer chronischen Hyperventilation wird ständig zu viel Kohlendioxid (CO2) ausgeatmet. Ein ausgewogener CO2-Spiegel ist aber wichtig, damit das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen den Sauerstoff zu unseren Körperzellen transportieren kann. Ist der Spiegel zu hoch, dann bindet das Hämoglobin den Sauerstoff nicht. Ist der Spiegel zu niedrig, dann klebt der Sauerstoff am Hämoglobin wie ein Kaubonbon und kann von den Körperzellen nicht aufgenommen werden. Der Körper ergreift dann drastische Maßnahmen, um das CO2 zu halten: Er verengt die Atemwege. Die Muskeln verkrampfen sich rund um die Atmungsorgane und es werden Schleim und Histamine produziert, die die Atemwege anschwellen lassen.

Das macht die Ausatmung praktisch unmöglich und erklärt, warum mir wie vielen Asthmatiker*innen bei einem Anfall besonders die Ausatmung so schwerfällt. So kann aus einer Überatmung mit zu viel CO2-Ausstoß letztendlich sogar ein CO2-Überschuss in der Lunge und im Blut entstehen, der – wie bei mir – bis zur Bewusstlosigkeit führt.

Asthmaanfällen vorbeugen

„Kohlendioxid ist eben nicht nur ein Abfallprodukt,“ betont Patrick McKeown. „Es ist sogar notwendig für die Sauerstoffversorgung und es öffnet die Atemwege.“ Er ist selbst seit seiner Jugend von Asthma betroffen. Ein Zeitungsartikel über den russischen Arzt Konstantin Buteyko veränderte Ende der 1990er-Jahre sein Leben. Buteyko hatte herausgefunden, dass man Asthmaanfällen vorbeugen kann, indem man die Atmung verlangsamt. McKeown probierte es aus und die schnelle, positive Wirkung der Methode nicht nur auf seine verstopften und verengten Atemwege sondern auch auf seinen Schlaf, seine Konzentration, seine Ausgeglichenheit und Leistungsfähigkeit haben ihn so verblüfft, dass er alles darüber erfahren wollte. Er ließ sich von Buteyko ausbilden und hat inzwischen selbst vielen Menschen dabei geholfen, ihre Atemgewohnheiten hin zu mehr Gesundheit und Lebensqualität zu verändern.

Yoga gegen Asthma – Atmung üben

Test und Übung zugleich:

Die Kontrollpause

So geht’s: Atme eine Weile ruhig durch die Nase ein und aus. Halte dann nach einer Ausatmung die Nase zu und time, wie lange du den Atem halten kannst, bis du den Impuls verspürst, wieder (ruhig!) einzuatmen. Im Yoga kennen wir diese „leere“ Atempause als Bahya Kumbhaka.
Darum geht’s: Eine Atempause von 40 Sekunden ist Zeichen für ein hervorragend funktionierendes Atmungssystem. Davon sind anfangs selbst völlig Gesunde noch weit entfernt. Menschen mit Atemwegserkrankungen kommen oft nur auf 10 bis 15 Sekunden. Erstes Ziel ist eine Kontrollpause von mehr als 20 oder 25 Sekunden. Durch regelmäßiges Üben – auch der verlangsamenden Pranyama-Techniken – kannst du die Dauer erstaunlich schnell steigern.

Pranayama und das Nervensystem

Weniger, langsamer, bewusster atmen – als Iyengar-Yogalehrerin kannte ich das natürlich aus dem Pranayama. Das Üben und übrigens auch das Unterrichten von yogischen Atemtechniken haben meine Atembeschwerden jahrelang ganz gut unter Kontrolle gehalten. Dass sie 2022 noch einmal so heftig zum Vorschein kamen, hing wohl mit den besonderen Umständen dieser Zeit zusammen: Besonders starker Pollenflug, eine große Hitzewelle und der recht plötzliche Tod meines Vaters machten mir damals zu schaffen. Denn nicht nur Stress, auch Trauer schwächt die Lungen. Bis zu dieser Krise hatte ich instinktiv die Pranayama-Techniken am liebsten und häufigsten geübt, die mein Atemsystem auch aus Sicht der Buteyko-Methode braucht: Ujjayi mit verlängerter Ausatmung, Anuloma Viloma mit unterbrochener und damit ebenfalls verlängerter Ausatmung und Bahya Kumbhaka, also die Atempause nach der Ausatmung. Außerdem hatte ich im Pranayama geübt, meinen Atem so fein werden lassen, dass er fast nicht mehr wahrnehmbar ist.

All diese Übungen haben bekanntermaßen eine sehr beruhigende Wirkung, denn die Ausatmung steht in Verbindung zum parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems. „Die Möglichkeit, über die Atmung zur Ruhe zu kommen, sollte sich aber nicht nur auf die Zeit beschränken, in der wir auf der Yogamatte sitzen“, meint Patrick McKeown. „Wir sollten das, so gut wir können, auf den Alltag übertragen, indem wir durch gezielte Atemübungen die CO2-Toleranz erhöhen.“ Das bedeutet, dass das Bedürfnis, unbedingt einatmen zu müssen, erst etwas später einsetzt und sich so unser Atemmuster allmählich verlangsamt, ruhiger und leichter wird.

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Foto: Seasonal via Canva

Die Vorteile der Nasenatmung

Bei regelmäßiger Übung stellen sich schnell Fortschritte ein – und die sind sogar messbar: Die sogenannte Kontrollpause (siehe Infokasten) gibt Aufschluss über den aktuellen Zustand der Lunge und trainiert gleichzeitig die Atemwege. „Wer die Kontrollpause regelmäßig praktiziert, wird seinen Score bald erhöhen und außerdem seine Atemfrequenz senken“, verspricht Breathwork-Experte McKeown. „Als Asthmatiker kannst du dein Leben wirklich verbessern, wenn du dir angewöhnst, durch die Nase zu atmen und weniger zu atmen. Wenn jemand mit Asthma zu uns kommt, können wir innerhalb von zwei Wochen seine Symptome bis zu 50 Pozent reduzieren. 50 Prozent! Dazu vesuchen wir als erstes, die Kontrollpause auf mehr als 20, 25 Sekunden zu bekommen.“ Um die Atemregeln nicht nur auf ein paar achtsame Momente zu beschränken, gibt es sogar Mouth Tapes, also Pflaster für den Mund, um auch im Schlaf durch die Nase zu atmen.

Durch die Nasenatmung wird die Luft nicht nur aufgewärmt, befeuchtet und gefiltert, sondern zudem mit Stickstoffmonoxid angereichert, das in den Nasennebenhöhlen gebildet wird. Es weitet die Gefäße, fördert die Durchblutung und damit auch die Sauerstoffaufnahme. Können solche Atemtechniken jeden Asthmatiker, jede Asthmatikerin kurieren? „Nein, wahrscheinlich nicht. Aber jeder, der seine Atemgewohnheiten verbessert, hat sein Leben lang etwas davon.“

Asanas und Atmung

Ich konzentriere mich vor allem beim Üben von Yogahaltungen gern auf die Atmung. Beim Iyengar-Yoga bleiben wir oft minutenlang in den Asanas. Viel Zeit zum Erspüren und Verlangsamen, während der Brustkorb in vielen Haltungen zusätzlich gehoben und geöffnet wird. Oder indem die Wirkung der Schwerkraft buchstäblich auf den Kopf gestellt wird: In Umkehrhaltungen bewegt sich das Zwerchfell bei der Einatmung gegen die Schwerkraft, während es sich bei der Ausatmung mit der Schwerkraft leichter zurück entspannt. Das ist ein gutes Training für die Atemmuskulatur und eine Erleichterung für alle, denen das Ausatmen oft schwerer fällt. Der große Werkzeugkasten der Asana- und Pranayama-Praxis kombiniert mit Buteykos Erkenntnissen haben mir in den letzten zwei Jahren enorm geholfen, wieder Vertrauen zu meinem Körper zu gewinnen. Und ruhiger zu schlafen.

Patrick McKeown

Atem-Tipps von Patrick McKeown


FÜR JEDEN TAG
· Atme immer durch die Nase ein und aus:
Im Ruhezustand, während des Schlafes und möglichst auch beim Yoga oder Sport!

· Die Kontrollpause (siehe Infokasten oben): Wenn du die Übung zum Beispiel in deine Morgenroutine einbaust, wird sich die Atempause bald verlängern.

· Übe, weniger zu atmen, also nicht nur langsamer (geringere Atemfrequenz), sondern auch mit weniger Volumen. Das öffnet die Atemwege, verbessert die Sauerstoffaufnahme und stimuliert den Vagusnerv. Zugleich erhöht es den Kohlendioxid-Gehalt im Blut und verbessert mit der Zeit deine Kohlendioxid-Toleranz. Dazu dient die 4-Minuten-Übung:

Lege eine Hand auf die Brust, die zweite oberhalb des Bauchnabels.
Atme 4 Minuten lang nur zu etwa 70 Prozent deines möglichen Volumens ein und sanft und entspannt wieder aus, bis du leichten Lufthunger verspürst. Wann immer es anstrengend wird, atme ein paar Atemzüge normal.
Wichtig: Während der Schwangerschaft keine verlängerten Atempausen üben!

BEI EINEM ASTHMA-ANFALL
Sobald du die ersten Anzeichen spürst, führst du deinen Atem auf folgende Weise: Atme durch die Nase ein und wieder aus und halte dann die Nase 3–5 Sekunden lang zu. Wiederhole das mehrmals. Wenn du früh genug damit anfängst, kannst du den Anfall häufig abwenden und die Symptome zum Abklingen bringen.
Wichtig: Setze nicht selbstständig deine Medikamente ab. Solltest du sie weniger brauchen, besprich mit deinem Arzt eine neue Einstellung der Medikation.


Unsere Autorin, die Iyengar-Yogalehrerin Nici Tannert, bietet online „Yoga gegen Asthma“-Klassen an, in denen sie ihre eigenen Erfahrungen und Wege aus der Atemnot vermittelt. yogakraftwerk.de

Du möchtest noch mehr Übungen zur Atmung ausprobieren? Dann schau doch mal hier:

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