Bauchatmung gegen Stress: So funktioniert es

Tief durchatmen und entspannen. Nichts hilft gegen Stress besser, als einige tiefe Atemzüge bei der Bauchatmung. In den Bauch? Wie funktioniert das eigentlich? Mit Hilfe des Zwerchfells, unserem wichtigsten Atemmuskel …

Die Lunge erhält ihre Form durch ihre Anhaftung über eine Flüssigkeitsschicht und ein Vakuum an den Brustraum. Dieser ist von den Rippen umschlossen und vom Bauch durch das Zwerchfell getrennt. Das Zwerchfell wiederum ist stabil durch die beiden Schenkeln an der Lendenwirbelsäule und die untersten Rippen. Von dieser Basis aus strecken sich außerdem kräftige Muskeln nach oben. Domkuppelartig vereinigen sie sich dann zu einer Sehnenplatte .

Das Zwerchfell ist außerdem unser kräftigster Atemmuskel. Daher sollte es bei heilender Atmung der Hauptmotor sein. Egal ob du entspannend oder energetisierend atmest.

Tiefe Bauchatmung führt zur Entspannung

Spannt sich das Zwerchfell an, so verkürzen sich die Seiten der Domkuppel. Die Kuppel wird dadurch flacher. Bleiben die Rippenbögen unbewegt, zieht das Zwerchfell seine Sehnenplatte nach unten. Dies erzeugt einen Unterdruck. Die Luftröhre (Trachea) saugt dann Luft an und füllt die Lunge. Die Sehnenplatte bewegt sich abwärts und schiebt die Bauchorgane und die Bauchdecke nach außen.

Die Ausatmung kann auch nur durch Entspannen des Zwerchfells erfolgen. Durch die elastische Lunge entweicht die Luft. Die zentrale Sehnenplatte wird dabei nach oben gesogen. Die Bauchorgane folgen anschließend und die Bauchdecke fällt ein. Die schrägen Bauchmuskeln (Musculus Obliquus Abdominis Externus und Internus) unterstützen dies. Indem sie die Bauchdecke nach innen und die Bauchorgane nach oben ziehen. Das entspannte Zwerchfell wird dadurch angehoben. Mehr Luft strömt aus .

So schwingt das Zwerchfell im Atemkreislauf zwischen Brust- und Bauchraum. Bei der Einatmung nach unten und bei der Ausatmung nach oben. Die Kraft des Zwerchfells treibt aktiv die Einatmung an. Die Ausatmung passiv durch die Eigenelastizität der Lunge. Aktiv kann die Ausatmung durch die Kraft der seitlichen Bauchmuskeln, passiv die Einatmung durch die Eigenelastizität des Brustkorbes erfolgen.

Das Zwerchfell (Diaphragma) mit seinen beiden Schenkeln (Crus Diaphragmatis) und den domkuppelartig sich nach oben in die zentrale Sehnenplatte (Centrum Tendineum) vereinigenden Muskeln.

Entspannte Bauchatmung – Einatmung: Das Zwerchfell kontrahiert (rote Pfeile) und schiebt mit seiner zentralen Sehnenplatte die Bauchorgane und damit die Bauchdecke nach vorne (weiße Pfeile). Luft strömt durch die Luftröhre ein (blaue Pfeile).

Entspannte Bauchatmung – Ausatmung: Die seitlichen Bauchmuskeln (M. Obliquus Abdominis Externus und Internus) kontrahieren (rote Pfeile) und schieben die Bauchorgane in Richtung Zwerchfell. Dieses entspannt und sinkt zurück in den Brustraum (weiße Pfeile). Luft wird aus der Lunge heraus geschoben (blaue Pfeile)

Paradoxe Bauchatmung: Das Zwerchfell kontrahiert (rote Pfeile), schiebt mit seiner zentralen Sehnenplatte die Bauchorgane nach unten und die Bauchdecke vor (weiße Pfeile). Der Brustkorb wird bei der Einatembewegung nach innen gesogen (kleine weiße Pfeile). Keine Luft strömt ein.

Paradoxe Bauchatmung

Damit diese Bauchatmung gelingt, muss der Brustraum stabil bleiben. Wäre der Brustraum nicht stabil, würde einatmend nicht nur Luft angesaugt. Sondern die Rippen selbst würden nach innen gezogen werden. Bei der Ausatmung würde keine Luft ausströmen, sondern sich nur die Rippenbögen heben. Diese “paradoxe Atmung” ist nicht effektiv. Zwar arbeiten Zwerchfell und Bauchmuskulatur, doch nur ein Teil der aufgewandten Energie saugt Luft an. Der andere Teil verformt nur den Brustkorb (Bild 4).

Die Zwischenrippenmuskeln erfüllen diese Funktion (Mm. Intercostales Externi – Einatmung, Mm. Intercostales Interni – Ausatmung). Eine paradoxe Atmung passiert bei querschnittsgelähmten Menschen. Nerven im Rückenmark steuern die Zwischenrippenmuskeln und sind beschädigt. Das Zwerchfell jedoch wird vom Nervus Phrenicus aus dem Gehirn angesteuert und funktioniert weiterhin.

Auch bei Stress oder Angst kann die paradoxe Atmung leicht auftreten. Oft wird sie durch eine falsch verstandene Bauchatmung im Yogaunterricht verstärkt. Während man mit der Einatmung den Bauch vor schiebt, fällt der Brustkorb ein. Anstatt zu entspannen erhöht das den Stress weiter.

Ausprobieren und erforschen

Probiere beide einfache Atemübungen aus und vergleiche die Wirkung. Dazu legst du dich entspannt auf den Boden. Platziere nun eine Hand mit dem Mittelfinger auf dem Bauchnabel. Lege dabei die andere Hand auf das Brustbein.

Tiefe Bauchatmung: Atme locker und entspannt ein. Beobachte dabei, wie sich dein Bauch mit der Einatmung langsam hebt und mit der Ausatmung senkt. Währenddessen bleibt das Brustbein weitgehend unbeweglich. Achte zudem darauf, wie das auf dich wirkt. Vielleicht stellen sich zunehmend Ruhe und Entspannung ein. Das ist die optimale Atemtechnik, um nach einem stressigen Tag zur Ruhe zu kommen.

Paradoxe Bauchatmung: Schiebe nun den Bauch noch weiter nach vorne. Diese Wölbung des Bauches kann sogar völlig ohne Einatmung erfolgen. Dann beobachtest du, wie durch die Sogwirkung des Zwerchfells der Brustkorb nach innen gesogen wird und in sich zusammenfällt. Vielleicht spürst du zudem ein Gefühl von Beklemmung, Stress oder Angst.

Achte daher beim Yoga auf den Unterschied und benutze deinen Brustraum aktiv, wenn du in den Bauch atmest. Die paradoxe Bauchatmung hat auch gute Seiten. Sie massiert die Bauchorgane intensiv und fördert damit die Verdauung. Im Hatha Yoga kennt man diese Technik unter dem Namen Agnisara Kriya. Dabei verschiebt sich die Bauchdecke ohne Atmung. Das entfacht Agni, das Verdauungsfeuer. Aufgrund der reinigenden Wirkung ist dies eine optimale Vorbereitung für Pranayama.


Dr. Ronald Steiner ist Arzt für Sportmedizin und zählt zu den bekanntesten Praktikern des Ashtanga Yoga. Die von ihm begründete AYInnovation®-Methode baut eine Brücke zwischen der Tradition und progressiver Wissenschaft. Zwischen präziser Technik und praktischer Erfahrung.
Titelbild: Tim Samuel via pexels

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