Ein paar Übungen im Rückbildungskurs und ein bisschen Mula Bandha im Yoga? Der Beckenboden ist viel zu wichtig, um ihm so wenig Aufmerksamkeit zu schenken! Hier liest du, wie du zu einer feineren Wahrnehmung, mehr Halt und Balance an der Basis deines Körpers finden kannst.
Text & Übungen: Stefanie Weyrauch / Titelbild: Nomad Soul Photos via Canva
Neulich hat mir eine Yogaschülerin von ihrer 22-jährigen Tochter erzählt: Beim Niesen, Husten und Lachen verlor sie Urin, denn ihre Beckenbodenmuskulatur hielt nicht dicht. Mit einer kleinen Übungsreihe aus Yoga und Beckenbodentraining konnte ich ihr helfen. Vielleicht denkst du jetzt, dass das ein Ausnahmefall ist? Stimmt leider nicht: Beckenbodenschwäche betrifft bei weitem nicht nur frischgebackene Mütter oder Frauen im Seniorinnenalter. Jede Fünfte leidet Schätzungen zufolge unter Inkontinenz, auch Unterleibsschmerzen und Organsenkungen können die Folge sein. Männer sind dank ihres schmaler gebauten Beckens zwar sehr viel seltener betroffen, aber auch sie bekommen bei einer schwachen Muskulatur Probleme: Neben Inkontinenz kann es zu Erektionsstörungen, Impotenz oder vorzeitigem Samenerguss kommen.
Beckenbodenprobleme enttabuisieren
Für viele Betroffene ist das Thema Beckenboden schambehaftet oder gar ein Tabuthema. Gerade weil so wenig darüber gesprochen wird, sind sich viele ihres Beckenbodens kaum bewusst. Sie können ihn nicht so deutlich wahrnehmen wie andere Muskeln und Körperregionen, geschweige denn gezielt ansteuern. In meinen Yogakursen für Schwangere und für Mamas in der Rückbildungsphase ist das natürlich anders: Das Anspannen und Loslassen der Beckenbodenmuskulatur wird in jede Stunde integriert.
Durch Tönen, die Arbeit mit reflektorischen Muskelverbindungen oder das isolierte Aktivieren einer der drei Beckenbodenschichten versuche ich, meinen Teilnehmerinnen zu mehr Kraft und Balance zu verhelfen. In regulären Yogaklassen fehlen solche Elemente meist, dabei würden eigentlich alle Yogi*nis von einer Enttabuisierung und mehr Präsenz im Beckenboden profitieren: Sie ist wortwörtlich die Basis für eine entspannte aufrechte Haltung und schenkt dir auch mehr Stabilität in vielen Asanas. Doch dazu gehört einfach mehr als ab und zu mal der Einsatz von Mula Bandha.

Meine persönliche Erfahrung
Auch für mich kam das Thema irgendwann ziemlich überraschend. Als ich vor 14 Jahren mein erstes Kind bekam, hatte ich schon zehn Jahre lang Yoga praktiziert, doch dabei hatte der Beckenboden nie eine allzu große Rolle gespielt. Dann der Schock: Nach einem Dammschnitt war mein Beckenboden nicht mehr spürbar. Ich fühlte mich unten herum “offen”, als könnte ich die Energie nicht mehr im Körper halten. Sogar die Organe hatten sich leicht gesenkt, da durch die fehlende Beckenbodenkraft der nötige Halt fehlte. Das Gefühl, beim Husten, Lachen oder Niesen Urin zu verlieren, war extrem unangenehm.
In dieser Zeit begann ich, mich intensiv mit dem Beckenboden, seiner Anatomie und Funktion zu beschäftigen. Nach regelmäßigem, geduldigem Üben ist es mir nach einem Jahr gelungen, meinen Beckenboden besser wahrzunehmen und die drei Schichten auch isoliert anzusteuern. Mir wurde klar: Unsere Becken-Basis besteht aus Muskeln, die regelmäßig trainiert werden sollten, um kraftvoll und stark zu bleiben. Daher reicht es nicht, einen 8- oder 10-wöchigen Kurs zu besuchen: Das A und O ist, dass du dabei bleibst und am besten jeden Tag ein paar Minuten lang übst – ganz egal in welcher Lebensphase.
Der Aufbau des Beckenbodens

Der weibliche Beckenboden besteht aus drei Muskelschichten: Die äußere Schließmuskulatur (1) umschließt bei Frauen in Form einer liegenden Acht die beiden Öffnungen um Vagina und Anus. Durch Kontraktion und Entspannung dieser Muskelschicht steuern wir die Ausscheidung von Harn oder Stuhl. Weitere Funktionen sind das Verengen und Weiten der Vagina, die Stimulation der Klitoris und Kontraktion beim Orgasmus. Da die Ringmuskulatur am Damm mit der mittleren und der inneren Beckenbodenschicht verbunden ist, werden diese stets mit aktiviert, wenn wir eine der anderen Schichten ansteuern. Außerdem dient die Oberschenkelinnenseite als Hilfsmuskulatur des äußeren Beckenbodens.

Die mittlere Schicht kannst du dir wie ein quer im Becken aufgespanntes Trampolintuch vorstellen, das an den beiden Sitzbeinhöckern rechts und links sowie vorne am Schambein befestigt ist. Sie spielt für die Stabilität des Beckens eine schützende Rolle und sichert die Gesundheit der Hüftgelenke, indem sie das Becken in seiner V-Form hält. Eine weitere Funktion ist das Öffnen und Schließen der Harnröhre. Hilfsmuskulatur sind die Gesäßmuskeln, die beim Zusammenziehen der Sitzbeinhöcker mit aktiviert werden.

Die dritte, innerste Schicht des Beckenbodens hat eine wichtige Haltefunktion, denn auf ihr ruhen die inneren Organe, ganz besonders die Blase. Sie ist auch für die Aufrichtung des Beckens und die Position der Wirbelsäule verantwortlich. Der Haltemuskel erstreckt sich fächerartig vom Kreuzbein/Steißbein zu den seitlichen Beckenknochenrändern, zu den Sitzbeinhöckern, zur Gelenkspfanne der Hüften und nach vorne zum Schambein.
Die innerste Beckenbodenschicht ist auch eng mit der innersten Bauchmuskulatur verbunden. Daher geht der untere Bauch ebenfalls nach innen, wenn wir Schambein und Steißbein zueinander ziehen, um die dritte Schicht zu aktivieren. Da diese Schicht symmetrisch angelegt ist, kann man sie von links und rechts auch unabhängig voneinander aktivieren.
Beckenboden-Balance
Die ersten Anzeichen für eine Beckenbodenschwäche sind ein paar Tropfen Urin beim kräftigen Niesen, Husten oder Lachen. Ein weiteres Merkmal ist, wenn du das Gefühl hast, den Harndrang nicht (lange) einhalten zu können. Ein deutlich geschwächter Beckenboden macht sich dann durch wiederholte Unterleibsschmerzen oder Blasenentzündungen, durch Blasenschwäche, Senkung von Blase, Enddarm oder Gebärmutter, durch Inkontinenz und sexuelle Störungen bemerkbar.
Der absolute Stresstest für den Beckenboden ist Trampolin-Hüpfen. Das mache ich mindestens einmal im Jahr, um zu überprüfen, ob meine Muskulatur noch stark genug ist und wie gut ihre Haltekraft ist. Wenn du weißt, dass dein Beckenboden zu schwach ist, solltest du lieber darauf verzichten. Auch vom Joggen oder Sprüngen im Yoga würde ich abraten, das sind zu große Belastungen. Selbst zu weite Hüftöffnungen oder Grätschen könnten unangenehm sein. Dagegen kannst du alle Scher-Positionen wie etwa die Krieger-Haltungen, den tiefen Ausfallschritt oder die Taube gut üben.

Zu viel des Guten
Es gibt aber auch die umgekehrte Problematik: Wenn die Beckenmuskulatur zu fest ist, spricht man von einem hypertonen Beckenboden. Ursachen können zum Beispiel zu viel Sport, Stress, negative sexuelle Erfahrungen oder ein falsch verstandenes Trainingskonzept sein, bei dem die Beckenbodenmuskulatur ständig angespannt wird, dabei aber das bewusste Loslassen vergessen wird. Yogaübungen wie der Drehsitz oder der Schmetterling können helfen, einen allzu festen Beckenboden zu entspannen und in die Balance zu finden.
Bewusstsein schaffen
Im Yoga kannst du deinen Beckenboden prinzipiell in allen aktiven Haltungen einsetzen: Wir nennen das “Mula Bandha“. Nach yogischer Vorstellung sorgt dieser Wurzelverschluss dafür, dass die Energie im Körper bleibt und nach oben gelenkt wird. Allerdings gibt es sehr viel mehr als nur diese eine Möglichkeit, den Beckenboden während der Yogapraxis und auch im Alltag zu aktivieren – und auch sehr viel subtilere. Dazu ist es nötig, dass du zunächst ein Bewusstsein für deinen Beckenboden und seine drei Schichten schaffst. Drei geniale Techniken können dir dabei den Einstieg entscheidend erleichtern: Visualisierungen, Tönen und Reflexpunkte.
1. Visualisierung
Bei der Visualisierung startest du in einem bequemen, aufrechten Sitz, ganz egal ob im Schneidersitz, Fersensitz oder auf einem Stuhl. Lenke nun deine Aufmerksamkeit zum Beckenboden und dort nacheinander zu den drei Muskelschichten:
Die erste Muskelschicht legt sich wie gesagt als eine liegende Acht um die Öffnungen von Harnröhre und After. Stell dir vor, du müsstest ganz dringend auf Toilette und es ist gerade kein WC in der Nähe. Atme aus und spüre, wie sich Harnröhre und After nach innen ziehen. Einatmend lässt du bewusst wieder los. Wiederhole diese Bewegung 5–10 Mal in deinem Atemrhythmus.
Die zweite Muskelschicht verläuft, wie du weiter oben gelesen hast, quer zwischen deinen Sitzbeinhöckern. Du kannst sie aktivieren, indem du dir vorstellst, dass du die Sitzbeinhöcker zueinander und nach vorne zum Schambein ziehst. Visualisiere in mehreren Wiederholungen an diesen Stellen aufgespanntes Trampolin-Tuch, das mit dem Ausatmen nach oben steigt und mit dem Einatmen wieder nach unten sinkt.

Die dritte Schicht zwischen Schambein und Steißbein kannst du ansteuern, wenn du dir vorstellst, dass du den Reißverschluss einer engen Hose schließen möchtest. Dabei ziehst du ausatmend die Muskulatur oberhalb des Schambeins nach innen, oben. Gleichzeitig rollst du dein Steißbein leicht ein. Mit dem Einatmen entspannst du wieder. Wiederhole auch diese Übung mehrere Male.
2. Tönen
Dank der reflektorischen Verbindung von Mund und Muttermund kannst du den Beckenboden auch mit Tönen ansteuern. Klingt seltsam, funktioniert aber erstaunlich gut. Probier es einfach aus: Am besten startest du jeweils mit 5–10 Wiederholungen und beobachtest dabei, wie und wo genau dein Beckenboden reagiert: Bei der äußersten Schicht sorgt ein lang gezogenes “Kkkkkrrr” oder ein “Iiiiiii” für Anspannung und ein “Oooooh” für Lösung. Bei der mittleren Schicht verwenden wir zum Aktivieren “Icchhh” oder “Ffffttttt” und zum Lösen “Aaahhh”. Der Laut “Pick” spannt die innerste Schicht des Beckenbodens an, mit “Paah” entspannst du sie wieder.
3. Reflexpunkte
Besonders simpel und erstaunlich ist die Wirkung der dritten Technik mit drei verschiedenen Reflexpunkten des Beckenbodens. Mit diesen kannst du nicht nur die Wahrnehmung der drei einzelnen Schichten verbessern, sondern auch ganz easy deine Beckenbodenmuskulatur trainieren:
Hier findest du eine passende Yogasequenz mit Stefanie für einen gesunden Beckenboden:

Stefanie Weyrauch ist Autorin, Bloggerin, Yogalehrerin und Dozentin. In ihrem Studio in Wiesbaden und online gibt sie Kurse, Workshops und Aus- und Fortbildungen für Prä- und Postnatal-, Kinder- und Teenyoga. Mehr Infos auf yogastern.de oder auf Instagram @yogastern / @stefanie.weyrauch.yogastern
Stefanies 100h Prä- und Postnatal-Yoga-Weiterbildung kannst du über unsere YogaWorld Academy buchen. Einstieg jederzeit möglich! Mehr Info unter yogaworld.de/academy
Auch in Folge 123 und 131 unseres YogaWorld-Podcasts berichtet Stefanie über die Rolle des Beckenbodens in der besonderen Zeit der Schwangerschaft: