Interview: Yoga braucht das Land

Tom Beyer von Home Yoga Berlin unterrichtet im Deutschen Bundestag und erzählt im Interview von seinen Erfahrungen.

YOGA JOURNAL: Tom, du unterrichtest an höchster ­Regierungsstelle. Wie bist du dazu gekommen?
TOM BEYER: Yoga im Unternehmen gehört zu unserem Konzept bei Home Yoga. Der Bundestag liegt ganz in der Nähe unseres Studios. Beim Vorbeigehen hatte ich mir immer gedacht, dass die Abgeordneten bestimmt Yoga ganz gut gebrauchen könnten. Zwei Schüler, die regelmäßig ins Studio kommen, arbeiten dort. Mit ihnen haben wir gesprochen und über sie schließlich auch die richtigen Ansprechpartner im Bundestag gefunden. Es gibt dort schon länger verschiedene Betriebssportgruppen. Als wir bezüglich Yoga-Stunden angefragt haben, sind wir sofort auf Interesse und Aufgeschlossenheit gestoßen.

In welcher Form und nach welchem Konzept bietest du dort Yoga an?
Seit Ende 2009 unterrichte ich wöchentlich zwischen zehn und 20 Teilnehmer direkt nach dem Büroalltag in der Sporthalle auf dem Gelände. Unser Konzept bei Home Yoga geht dahin, vor Ort und im Anschluss an die Arbeit Yoga anzubieten. Bei meinen Schülern handelt es sich bisher nicht um Politiker, sondern um die Mitarbeiter der Abgeordneten. Sie brauchen den Ausgleich durch Yoga, denn sie sind letztlich diejenigen, die Tag für Tag die Stellung halten und die Politiker für ihre öffentlichen Auftritte vorbereiten. Die meisten waren anfangs komplette Anfänger und mussten erst einmal an Yoga herangeführt werden. Das Interesse an den Kursen wird aber immer größer. -Letztens haben mich sogar die Wachleute an der Pforte angesprochen: Sie möchten auch mitmachen. Im Grunde sucht jeder nach Balance. Und da setzen wir an.

Baust du neben einer Business-orientierten Ausrichtung auch ­spirituelle Elemente ein?
Sobald sich jemand bewusst mit seinem Atem zu verbinden beginnt, ist das eine spirituelle Praxis. Es ist am Anfang gar nicht notwendig, besonders philosophisch zu werden. Für mich ist mein Unterricht aber auch nicht unbedingt Business-Yoga. Eher ganz normales Yoga – nur eben vor Ort am Arbeitsplatz. Das hat einen praktischen Hintergrund: Die meisten würden es wohl nicht schaffen, einmal die Woche Yoga zu praktizieren, wenn sie dafür erst in ein Studio kommen müssten. Deshalb kommen wir Yoga-Lehrer zu ihnen.

Zeitgemäßes und „kundenfreundliches“ Yoga also.
Meiner Meinung nach geht es beim Yoga immer um den intelligenten Umgang mit der Wirklichkeit. Und der ist frei von Stress! Die Didaktik ist Tausende von Jahren alt, die Methodik, mit der wir unterrichten, ist diesem Jahrtausend angepasst – ob man das jetzt Business-Yoga nennt oder nicht.

Welche Schwerpunkte setzt du in deinem Unterricht?
Die Ausrichtung auf die körperliche Ebene ist die eine, gerade im Büroalltag sehr wichtige Seite. Die andere beschäftigt sich mit der mentalen Ebene und damit, wie man es schafft, weniger kopflastig zu sein. Das funktioniert nur über die Praxis und über die eigene Erfahrung.

Wie sind deine Erfahrungen mit Yoga im Bundestag im Vergleich zu anderen Schülern?
Es sind natürlich ganz „normale“ Schüler, aber man merkt, dass viele seit Jahren im Sitzen arbeiten. -Klassischerweise treten bei vielen Rückenprobleme auf. Und man merkt, dass von den Teilnehmern täglich große -Leistung verlangt wird. Umso wichtiger ist Erholung – und die muss manchmal erst wieder erlernt werden. Ich finde es sehr wichtig, dass gerade die Menschen, die unser Land führen, entspannt und klar in ihrem Handeln sind. Yoga sensibilisiert für die Wirklichkeit. Das ist zum Wohl aller, denn durch Yoga im Unternehmen verändert sich die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden.

Was, glaubst du, hat sich für deine Schüler durch regelmäßiges Yoga verändert?
Die Teilnehmer lernen, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten. Wir praktizieren unter anderem die Ujjayi-Atmung, bei der man lernt, die Konzentration auf den Atem und damit auf den Geist zu lenken. Das wirkt auch im Alltag: An einem bestimmten Punkt realisiert man, dass man auch da die Wahl hat, die Aufmerksamkeit auf eine Sache zu lenken oder eben nicht. Yoga schenkt Gelassenheit und Stärke, um mit Problemen im Alltag fertig zu werden.

Die wahrhafte Veränderung kann man dann tagtäglich im ­Verhalten und in den Entscheidungen erkennen.
Ja, denn sie findet in der Tiefe statt. Die Beobachtung des Körpers, die im Yoga stattfindet, schließt die Beobachtung aller Empfindungen ein. Wenn man in den Raum in sich selbst eintaucht, erkennt man, dass dort drinnen noch nichts festgelegt ist. Die Teilnehmer erfahren sich als unbegrenzte Wesen und erkennen das tiefe, reine Potenzial, das in ihnen existiert. Das kann zu einer tiefen Einsicht führen. Aus meiner Sicht ist die Kunst des Unterrichtens nicht, jemanden über Informationen auf der Ebene des Wissens zu erreichen, sondern die eigene Erfahrungsebene wirken zu lassen. Durch die eigene Erfahrung wird das unendliche Potenzial deutlich und im Alltag lässt sich daraus agieren.

Wie siehst du die Zukunft für Yoga in Unternehmen?
Natürlich wird es auch weiterhin Studios geben, denn diese haben ihre eigene Atmosphäre. Aber Yoga im Unternehmen hat aus meiner Sicht eine große Zukunft. Die Arbeitgeber erkennen, dass glückliche Mitarbeiter auch besser bei der Umsetzung der unternehmerischen Ziele helfen können. Auch die Krankenkassen haben das erkannt und ziehen am selben Strang. Rückenprobleme und Stress sind nun einmal in Deutschland die größten Risiken für Ausfälle. Hatha Yoga wird gefördert, da es langfristig den Zustand der Balance wieder herstellt und die Stärken der Mitarbeiter aufdeckt und unterstützt.


Tom Beyer ist Diplomsportwissenschaftler, Yoga-Lehrer und Inhaber von Home Yoga in Berlin. Er hat sich auf Präventionskurse, Rücken & Gelenke-Yoga und Yoga für Unternehmen spezialisiert.

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