Petros Haffenrichter: Mein persönlicher Yoga-Weg

Petros Haffenrichter, internationaler Jivamukti-Yoga-Lehrer, berichtet YOGA JOURNAL GERMANY von seinem persönlichen Bezug zu Yoga durch seinen Großvater. Wie hat sich die Praxis verändert, seit Petros sein persönlicher Yoga-Weg begonnen hat? Und welche aktuellen Tendenzen stehen vielleicht sogar im Gegensatz zur Yogaphilosophie?

Als Vater von den “Yogis” sprach, wandelte sich seine Stimme. Der Tonfall machte mich neugierig. Da klang Achtung und Würde mit. Ich fragte, was der morgendliche Kopfstand macht. Dabei verstand ich als Kind nicht, wie die Haltung des Körpers etwas mit den inneren Welten zu tun haben könnte. Da war ja der Körper “da draußen” und das Denken “da drinnen”. Aber den Kopfstand habe ich mir gemerkt. Und damit die Selbstverständlichkeit, dass das Dasein je nach Haltung auch immer Kopf über oder Land unter verstanden werden könnte.

Die Bücher meiner Familie: Philosophie und Spiritualität

Als ich als Teenager die Bibliothek meines Großvaters, die vor allem riesige, schwere Werke zum Umzug ins Nationalarchiv vorbereitete, fiel mir das kleinste Buch von über 10.000 in die Hände. Krishna’s Flöte mit handschriftlichen Kommentaren. Das Buch über die indische Gottesliebe nahm ich als einziges mit. Ich vergaß das Buch bis ich in den Tagebüchern meines Opas viele Zitate aus den Upanishaden oder anderen Schriften fand, deren Quelle jeweils das besagte Büchlein war. Ich weiß nicht mehr viel von meinem Großvater, außer dass er nach Pfeifentabak roch und wir Kinder immer leise sein mussten, wenn wir die Großeltern besuchten, weil “Opa meditiert”. Sein persönlicher Yoga-Weg war die Grundlage für meinen.

Wir sollten in der Lage sein, unser Leben kontinuierlich mit Interesse, der nötigen Distanz, Integrität und ein bisschen Humor zu betrachten. Dadurch wird klarer, welche Wege wir gehen, welchen Mustern wir folgen – und dass es mit Sicherheit keine Zufälle gibt. Manchmal brauchen wir eben etwas Zeit oder Übung um die Zusammenhänge verstehen zu können und Vertrauen zu entwickeln. Weil die individuelle Unordnung zwar nie wirklich die große Ordnung stören kann, doch verzerrt sie den Blick auf das Wirkliche so, dass wir Sein und Schein verwechseln.

Yoga ist keine Glaubenssache

Ein persönlicher Yoga-Weg ist keine Glaubenssache, ganz im Gegenteil. Im Üben erfahren wir die klare Sprache von Ursache und Wirkung von Verantwortung und Konsequenz. Seelisch, universell, eben karmisch. Und Karma hat nichts mit Glauben zu tun: das wird spätestens klar, wenn wir am Ast sägen auf dem wir sitzen. Die Konsequenzen schieben wir lieber allen “anderen” hin, denn wir in unserer Blase werden sicher irgendwie noch gut wegkommen. Die berechtigte Frage: Welche gesellschaftlichen Veränderungen bringen die kommenden Herausforderungen mit sich? Und was hat das mit unserem Verständnis für Yoga zu tun?

In der Bhagavad Gita erklärt Krishna, dass er sich (tatsächlich und als Bewusstsein) immer dann für uns Menschen erkennbar manifestiert, wenn wir praktisch am Abgrund stehen. Da ist der Moment der Wahrhaftigkeit beim Helden Arjuna. Die momentane Erkenntnis seiner Illusion und sein Drang das sofort zu ändern. Doch das geht nicht ohne Vision, Pfad und Vorbereitung, sonst trägt der Wunsch nach Wandel keine Früchte. Sri Krishna gibt Strategien für alle Lebenslagen und Talente, wie wir aus bloßer Erkenntnis zu Verständnis gelangen, also den Weg aus der Hölle.

Wertvolle Lehren aus der Bhagavad Gita

Im Mahabharat Epos, dem Rahmenwerk der Gita, ist auch das Srimad Bhagavatam enthalten. Ein philosophischer Dialog zu den Kernthemen des Lebens. Darin wird beschrieben, dass in den finstersten Zeiten der Menschheit der Narr zum König gemacht wird, der Mensch dem Materiellen verfallen ist und darin das Ewige wähnt. Und sogar der Yoga als das Heiligste, zur Erlösung oder Befreiung von Leid und Illusion, ist von den niedersten Eigenschaften (Hass, Gier, Neid, Stolz etc.) befeuert, zum Produkt degradiert. Ist alles nicht so wild? Früher war alles besser? Jetzt geht’s erst los?

Problematisch wird es z.B. von SchülerInnen aufgenommen, wenn ich im Unterricht, über leidfreie Ernährung spreche. In allen Fällen bin ich natürlich bereit, den Beteiligten ihre eigene Entscheidung zuzugestehen und bin mir im Klaren, dass es kein Recht und Unrecht per se gibt. Da ich seit 20 Jahren Yogastudios führe, kann ich ja nicht anders, als auf die Tradition zu verweisen. Dabei geht es nicht um Geschmack, auch nicht um Freiheit der persönlichen Entscheidung. Es geht tatsächlich ums Ganze. Das erfahrbare Prinzip der universellen Einheit. Solange wir das Leid anderer nicht als unser Leid verstehen, wirkt kein persönlicher Yoga-Weg. Denn Yoga ist das Aufheben dieser grundlegende Trennung von “die anderen” und “ich”.

Yoga als Verhaltensänderung auch abseits der Matte

Die Entscheidung darüber, wer wir sind und welche Verantwortung wir für unser Bewusstsein und dessen Wirkungen in der Welt haben. Eine Welt, die Mensch und Tier bzw. Natur immer noch als zweierlei ansieht und Yoga dem Markt unterworfen ist, schreibt den Unterricht dann z.B. für Krankenkassen um. Der Kopfstand wird deswegen weggelassen. Traditioneller Weise dient diese Übung jedoch dazu, dass der Yogi gezielt das eigene Feuer ausrichtet (Agni), das Verhalten von den Vayus manipuliert um eine psychoenergetische Wahrnehmung zu ermöglichen in der alle Chakren ausgeglichen rotieren. Das gibt es bei der Krankenversicherung nicht.

Auch kein Karma, und kein Dharma. All das ist aber der Kern der Übungen des Yoga. Ein persönlicher Yoga-Weg hat nichts zu tun mit einer körperliche Zielebene. Das körperliche Wohlbefinden ist sozusagen ein Nebeneffekt, wenn wir uns durch Yoga mit den Kräften des Lebens harmonisieren. Wir tun uns schwer, als Menschen unser Wissen in Wirken umzusetzen. Der Yoga ist ein klarer, Schrittweiser weg, dies zu erlernen. Demut, Mitgefühl, Enthusiasmus, Bereitschaft, Reflexion und eben auch Entscheidungen gehören unausweichlich dazu.

Die Worte meines Vaters klingen mir noch im Ohr. Aber der Versuch Yoga auf den kleinsten Nenner zu bringen birgt immer den Nebeneffekt, dass thematische Tiefe verloren geht. Daher war Yoga, in allen Schriften und Traditionen so erwähnt, eine Geheimlehre. Die Idee ist ja, dass der Yoga vor allem den konditionierten Geist aushebelt. Das findet das Ego nicht sofort attraktiv, im Gegenteil. Denn wir lernen im Üben zunächst den Umfang unserer Illusion (Avidya). Für diese Begegnung müssen wir gesund, flexibel, mutig und konsequent sein. Und die war schon immer eine innere. Wir müssen aufhören, moderne, ob indische oder westliche, Trainingssysteme mit den Yogatraditionen zu verwechseln oder sie als solche anzupreisen.

Selbstreflexion sollte persönlicher Yoga-Weg sein

Die beinhalten zwar Asanas, doch als Teil eines holistischen Weges, der vor allem moralische und ethische Fragestellungen sowie einen klaren Bezug zum spirituellen Inhalt. Nicht religiös oder gesellschaftlich, sondern radikal den persönlichen Bezug in den Vordergrund stellt. Als selbstwirksames Korrektiv. Das bedeutet, dass durch die Übung der gegebenen Inhalte die Illusion materiellen Identität aufgebrochen und erkennbar wird, und Erkenntnisfähigkeit entsteht. Denn ohne die Zutaten von intensiver, andauender Bemühung, Reflexion über das Thema, emotionsloser Betrachtung des kleinen und des großen Ichs kann es nur die Betrachtung geben die unsere schon bestehenden Identitäten zulassen.

Meister Patanjali erklärt gleich vorneweg im Yoga-Sutra, dass Yoga das gegebene, also in der Natur inhärente Prinzip ist, aber die Denkmuster der konditionierten Person erlauben diese Wahrnehmung nicht. Daher muss die Grundlage für andere Muster geschaffen werden – dies geschieht u.a. durch die Praxis der Yamas: Ahimsa, Gewaltlosigkeit, Asteya – Erkenntnis über die Unmöglichkeit von Besitz oder Anspruch darauf, Satya – Wahrhaftigkeit, Brahmacharya (der Schöpfungsauftrag des Menschen und das Heilige in der Intimität), Aparigraha (ein Gemüt jenseits von Anspruch und Gier).

Was der Status Quo jedoch zeigt: Die Yoga-Tradition ist umstritten. Dadurch ist meiner Meinung nach damit die Wirkungsmöglichkeit gefährdet. Wir müssen gemeinsames Interesse haben an offenen, mutigen Gesellschaften, in denen wir unsere Illusionen aufdecken lernen. Ein persönlicher Yoga-Weg braucht intensive Übung und Kontinuität und Intensität. Dies muss ein persönlicher, ehrlicher Weg sein. Wohl dann mit der Einsicht, dass Wahrheit und Wahrhaftigkeit Lebensaufgaben sind, die alle Lebenskraft brauchen.

Hier liest du Teil 2 von Petros’ Essay: aktueller Zeitgeist im Yoga.

Petros Haffenrichter ist international anerkannter Yogalehrer und Kritan-Künstler. Seine Leidenschaft, das Bhakti- und Jivamukti-Yoga gibt er weltweit auf Festivals und Gastlehrer bei verschiedensten Schulen weiter. In München kannst du ihn in seinem Studio Yoga am Engel live erleben.

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