Wer bin ich? – die fünf Hüllen (Koshas) – von Sally Kempton

Mit den Koshas arbeiten

Man kann auf verschiedene Arten mit den Koshas arbeiten. Die klassische Übung des Jnana-Yoga (dem Yoga der Erkenntnis, der auch als der “direkte Pfad” bezeichnet wird) besteht darin, die Vorstellungen davon, wer man ist, aufzulösen, indem man die Identifikation mit jeder einzelnen Kosha aufbricht. Irgendwann gelangt man auf diese Weise über die Schichten hinaus und findet zu einem Zustand reinen Gewahrseins und absoluter Seligkeit. Diese Praxis ist zwar sehr kraftvoll, die meisten modernen Yogi*nis haben aber gar nicht die Absicht, ihr Leben dieser Transzendierung von Körper und Geist zu widmen. Viel eher wollen sie frei, kraftvoll und in Liebe in diesem Körper und mit diesem Geist leben. In diesem Fall können die Koshas als eine Art Landkarte dienen, die zum Bewusstsein aller Schichten des Selbst führt. Sobald man sich dieser Schichten nämlich bewusst ist, erkennt man, wie sie sich gegenseitig beeinträchtigen, und kann ihre Kräfte und Gaben besser für sich erschließen.

Präsent in deiner Körperhülle

Ganz konkret heißt das: Wenn du weißt, wie es sich anfühlt völlig präsent in der Körperhülle zu sein, anstatt losgelöst von ihr durchs Leben zu treiben, dann bist du zentrierter und gesünder, weniger anfällig für Unfälle und besser darauf eingestimmt, intuitiv zu wissen, welche Nahrungsmittel und Aktivitäten deinem Körper gut tun. Wenn du dir die subtilen Kräfte der Entfaltung und Heilung in der Hülle der Lebensenergie bewusst machst, dann kannst du Energieblockaden lösen, deine Vitalität freisetzen und dich mit Energien in der Natur und in anderen Lebewesen verbinden. Sobald du deine mentale Hülle erkennst, nimmst du auch die Auswirkungen bestimmter Gedanken wahr und beendest den tranceartigen Zustand, in dem man Gedanken und Gefühle einfach blind annimmt. Nachdem du Zugang zu deiner Weisheitshülle gefunden hast, findest du auch zu mehr Klarheit und Intuition und bleibst besser in der Spur deines Lebens. Und jedes Mal, wenn du in Berührung mit der Wonnehülle der Glückseligkeit kommst, ist es, als würdest du mitten hinein in dieses Grundgefühl “Alles ist gut” tauchen.

Annamaya-Kosha (physische oder Nahrungshülle)

Die körperliche Hülle, der physische Körper, ist zwar der fassbarste Aspekt unseres Selbst, dennoch haben nur wenige Menschen einen Ahnung davon, wo ihre Organe liegen oder was im Inneren ihres Körpers vorgeht. Als ich mit Yoga begann, konnte ich noch nicht einmal meine Füße oder meine Beinmuskeln spüren, wenn sie nicht gerade schmerzten. Anstatt den Körper von innen heraus zu spüren, “dachte” ich ihn mir – ganz einfach weil ein so großer Teil meiner Energie und Aufmerksamkeit in der mentalen Hülle feststeckte. Verletzungen und Unfälle, sogar zwanghaftes Essen und andere Süchte rühren oft daher, dass man den Körper bewegt und benutzt, ohne zu spüren, wie er reagiert. Wenn du Schwierigkeiten hast, dich ganz auf deinen physischen Körper einzulassen, dann fühlst du dich vielleicht schlecht geerdet, benebelt oder ängstlich. Hast du aber erst einmal gelernt, deinen Körper von innen heraus zu wahrzunehmen, dann hört das auf, du kannst Yoga-Haltungen viel besser einrichten und beginnst zu spüren, welche Art von Nahrung und wie viel davon du brauchst. Deine ganze Aufmerksamkeit bekommt eine feste Basis. Den eigenen Körper bewusst zu bewohnen, bringt mehr Präsenz und Leichtigkeit ins Leben.

Übung für Annamaya-Kosha

Spüre deine Füße in den Schuhen. Spanne die Wadenmuskeln an und lasse sie wieder los. Berühre dein Gesicht und spüre den Kontakt zwischen Fingern und Haut. Lege die rechte Hand auf die Brust und spüre deinen Herzschlag oder den Kontakt zwischen Hand und Haut. Dann suche dir ein inneres Organ aus – Leber, Herz oder Nieren – und versuche es allein mit deiner Aufmerksamkeit im Körper zu finden. Versenke dich mit deiner ganzen Achtsamkeit in dieses Organ. Nimm dabei genau wie in einer Meditation wahr, ob deine Gedanken abschweifen. Sobald das geschieht, mach eine innere Notiz “Gedanke” und kehren zum Spüren des Organs zurück. Beobachte den beruhigenden und erdenden Effekt dieser Übung.

Pranamaya-Kosha (Hülle der Lebensenergie)

Die folgenden drei Koshas sind feinstofflicher, weniger griffig und fassbar. Dennoch kann man sie spüren – und das ist sehr wesentlich, um mehr Kontrolle über die eigene innere Welt zu erlangen.

Die Pranamaya-Kosha durchdringt den physischen Körper, ist aber viel größer. Wenn du bei einer Meditation spürst, wie sich Energie in dein Herz hinein ausbreitet, oder wenn während der Asana-Praxis Hitzewellen durch deine Körper laufen, dann bist du in Kontakt mit der Hülle der Lebensenergie. Auch Gefühle wie voller Energie zu stecken oder schläfrig zu sein, ruhelos oder still, sind Merkmale des Energiekörpers. Genau wie dein individuelles körperliches Aussehen hast du auch eine ganz persönliche energetische Signatur. Sobald du empfänglich geworden bist für die Energien in dir und in deiner Umgebung, wirst du diese Schwingungssignatur erkennen lernen, die du selbst und andere in einem Raum oder sogar an einem Kleidungsstück hinterlassen. (Erinnern dich nur daran, wie behaglich du dich gefühlt hast, als du zum ersten Mal im T-Shirt deines oder deiner Liebsten geschlafen hast.)

Dann stellst du auch fest, welch großer Teil deiner Kommunikation sich auf energetischer Ebene abspielt. Denke zum Beispiel daran, wie du dich fühlst, wenn du mit einer wütenden Person in einem Raum bist, erinnere dich an den Frieden, den du unter einem Schatten spendenden Baum spürst, oder an die feine Energieübertragung in der Nähe eines guten Lehrers. Meditation und Pranayama dienen dazu, den Energiekörper zu kräftigen – genau so wie Asanas den physischen Körper stärken. Dieser kräftigende Aspekt von Yoga und Meditation steht in der modernen Sicht häufig im Vordergrund, beide zielen aber auch darauf ab, stagnierende Energie, oder Prana, im Körper in Bewegung zu bringen.

Übung für Pranamaya-Kosha

Eine gute Art, sich auf die Kraft des Energiekörpers einzustimmen, ist die Übung des “Geatmet-Werdens”. Dabei veränderst du dein natürliches Atemmuster nicht, sondern machst dir nur durch Beobachtung bewusst, wie der Atem in einem ganz spontanen Fluss in den Körper ein- und ausströmt. Du spürst nicht “Ich atme”, sondern “Ich werde geatmet.” Entspanne dich in dieses Gefühl hinein. Auch wenn du bemerkst, dass dein Atem enger wird, nimm es einfach nur wahr mit dem Gedanken “Ich werde geatmet”. Irgendwann beginnst du dann vielleicht den Atem als eine Energie zu empfinden und du wirst das Gefühl haben, dein Körper sei größer als das, was innerhalb der Grenzen seiner Haut liegt. Das ist ein Anzeichen dafür, dass du die Hülle deiner Lebensenergie wahrnimmst. Gleichzeitig wirst du feststellen, dass sich deine Körperhaltung automatisch korrigiert und dass sich dein Rücken und deine Hüften entspannen und öffnen. Das geschieht, weil das bewusste Ansprechen des Energiekörpers, die in ihm gespeicherten heilenden Kräfte freisetzt.

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