Autsch: Nervenschmerzen sind wirklich unangenehm. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere wichtigsten Körpernerven kennen und ihnen ab und zu eine Extraportion Liebe schenken. Im zweiten Teil unserer kleinen Reihe dazu geht es um die sogenannte “untere Extremität” – die Beine. Unsere Gast-Autorin Gül Ruijter zeigt dir hier, wie du insbesondere deinen Ischiasnerv mobilisieren kannst.
Text & Sequenz: Gül Ruijter, Fotos: Hanna Witte, Outfit: Kismet Yogastyle
Wenn du ihn nicht selbst kennst, dann bestimmt jemand aus deinem Umfeld: Beim sogenannten “Ischias” plagen einen stechende oder kribbelnde Schmerzen vom unteren Rücken bis in ein Bein. Sie strahlen ins umliegende Gewebe und bis in die Füße aus und können auch Taubheitsgefühle oder sogar Lähmungserscheinungen mit sich bringen.
Der korrekte medizinische Begriff dafür ist “Ischialgie”, denn der “Ischias” bezeichnet eigentlich den Nerv, der diese Beschwerden auslöst, weil er eingeklemmt, verletzt oder entzündet ist: Nervus ischiadicus. Er entspringt beidseits aus der unteren Wirbelsäule, verläuft von dort durch den Po in jeweils ein Bein und teilt sich am Knie in zwei Äste, die bis in die Füße führen. Damit ist der Ischiasnerv der dickste und längste Nerv im menschlichen Körper. Er versorgt die Beinmuskeln und meldet umgekehrt auch Empfindungen aus den unteren Extremitäten ans zentrale Nervensystem:
Das Nervensystem: zentral und peripher
Unser Nervensystem unterteilt sich in das zentrale und das periphere Nervensystem. Das zentrale Nervensystem befindet sich im Gehirn und ist über die peripheren Nerven mit dem Rest des Körpers verbunden. Alle peripheren Nerven entspringen im Gehirn und verlaufen durch die Wirbelsäule bis zu ihrer jeweiligen Abzweigung, von wo aus sie dann je nach ihrer Funktion in Arme, Rumpf und Beine führen. Dabei können die peripheren Nerven sowohl Informationen vom Gehirn in die Peripherie tragen (zum Beispiel das Signal an einen Muskel, dass er anspannen oder loslassen soll) als auch Informationen aus der Peripherie an das Gehirn übermitteln (zum Beispiel Berührungsreize). Im Yoga arbeiten wir mit beiden dieser Systeme. Zum Beispiel wollen wir die Gedankenströme des zentralen Nervensystems mithilfe von Meditation beeinflussen. Außerdem kommunizieren wir über die Asana-Praxis mit den peripheren Nerven und können so auf das gesamte Körpersystem Einfluss nehmen.
Mobilisation des Ischiasnervs
Damit wir uns geschmeidig durch Asanas – aber natürlich auch ganz generell durch unseren Alltag – bewegen können, ist es hilfreich, den Nervus ischiadicus regelmäßig zu mobilisieren. In der ersten Folge dieser kleinen Reihe zur Nervenmobilisation hast du vielleicht schon gelesen, wie Verspannungen häufig damit zusammenhängen, dass eine Nervenbahn sich nicht frei bewegen kann oder nicht gut durch das umliegende Gewebe gleitet. Das trifft ganz besonders auf die sogenannten unteren Extremitäten zu, also Hüften, Beine und Füße.
In der Yogapraxis begegnet uns der Ischiasnerv besonders in Vorwärtsbeugen, denn hier wird er gedehnt. Unten zeige ich dir zusätzlich zwei spezielle Übungen zur Mobilisation des Nervs. Die erste ist super für den Alltag geeignet, da sie im Sitzen ausgeführt wird. Du kannst sie also einfach zwischendurch mal am Schreib- oder Esstisch machen. Die zweite Übung in der Rückenlage würde ich zu Beginn deiner Yogaeinheit einplanen. Aber natürlich kannst du sie auch unabhängig vom Yoga üben.
HINWEIS: Allgemein gilt für Nervenmobilisationen, dass du sehr achtsam üben solltest. Wenn wir Nerven gezielt bewegen, kann es durchaus leicht kribbeln oder ziepen. In einem schmerzfreien Ausmaß ist das unproblematisch. Wenn du jedoch merkst, dass die Übung sehr unangenehm wird oder ein Taubheitsgefühl auftritt, dann gehst du besser wieder raus aus der Bewegung. Die Übungen dienen zur Vorbeugung, können aber auch therapeutisch eingesetzt werden. Frage bei einer bestehenden Ischialgie aber besser deinen Arzt, deine Ärztin oder Physiotherapeut*in. Sie können einschätzen, ob die Übungen für dich hilfreich sind oder du den Nerv im Moment besser in Ruhe lässt.
1A. Mobilisation im Sitzen
Sitze aufrecht auf einem Hocker und lasse die Arme neben dir hängen. Strecke dann dein rechtes Bein nach vorne aus und ziehe die Zehen sanft nach oben. Lasse den Rücken dabei aufrecht und hebe den Kopf etwas.
Dann stellst du den Fuß wieder auf und lässt gleichzeitig deinen Kopf nach vorne sinken.
Richte den Kopf wieder auf, strecke erneut das Bein nach vorne und ziehe die Zehen ran. Wiederhole diese Bewegung mindestens 10 Mal im Wechsel. Mache dann das Gleiche mit dem linken Bein. Es kann sein, dass du ein leichtes Ziehen im Po oder Bein spürst. Denke daran, dich immer sanft und achtsam zu bewegen.
1B. Variante mit rundem Rücken
Dasselbe wiederholst du anschließend mit rundem Rücken. Diese Variante kann noch mal einen anderen Impuls geben, da unter anderem die Beinrückseiten nicht so auf Spannung sind und die Rundung der Wirbelsäule das Gleiten des Nervs verändert. Wieder lässt du die Arme hängen, streckst ein Bein nach vorne aus, hebst den Kopf und ziehst die Zehen sanft nach oben. Lasse den Rücken dabei gerundet. Stelle den Fuß dann wieder auf und lasse gleichzeitig deinen Kopf sanft nach unten sinken. Wieder wiederholst du diese Bewegung mindestens 10-mal im Wechsel, bevor du zur anderen Seite wechselst.
2. Mobilisation im Liegen
Lege dich auf den Rücken und strecke die Beine so gut es geht Richtung Decke.
Beuge dann beide Beine und hebe gleichzeitig den Kopf vom Boden an. Dabei kannst du mit den Händen die Beinrückseiten greifen oder sie, wie auf dem Foto gezeigt, hinter dem Kopf verschränken.
Lasse die Hände aber in ihrer Position, wenn du diese beiden Bewegungen 10-mal geschmeidig im Wechsel wiederholst: Beine strecken und Kopf absenken, Knie anziehen und Kopf heben. Dabei wird der Ischiasnerv von Kopf bis Fuß durchbewegt. Auch hier kann es sein, dass du ein leichtes Ziehen im Po oder Bein spürst. Bewege dich immer sanft und achtsam.
Stay tuned … wir setzen diese Reihe in Kürze fort mit einer Nerven-Flossing-Sequenz für Hals und Nacken. Hier geht’s zu Teil 1:
Gül Ruijter kennt sich aus mit Verspannungen und Schmerzen: Als Physiotherapeutin weiß sie genau, wie hier was zusammenhängt. Als Yogalehrerin kann sie dem klassischen Repertoire der “Krankengymnastik” allerdings noch viele ganzheitliche Bewegungen hinzuzufügen. Erfahre mehr über Gül und ihre Arbeit unter vondermatteinsleben.de, auf Insta @vondermatteinsleben oder in ihrem Podcast “Von der Matte ins Leben”.