Du hast den Wunsch, dein Leben nachhaltiger zu gestalten, weißt aber nicht, wie du ins Handeln kommen kannst? Du könntest zum Beispiel damit beginnen, dir klar zu machen, welche dieser Überzeugungen dich ausbremsen.
Text: Dr. Nadine Richter / Titelbild: Delmaine Donson / Getty Images Signature via Canva
Wenn du den ersten Teil dieses Artikel gelesen hast, weißt du, dass du dein persönliches Wohlbefinden nicht vernachlässigen darfst. Denn nur wenn du dein Leben magst, so wie es ist, wenn du es dankbar genießt, kannst du auch langfristig an einer nachhaltigeren Lebenspraxis dranbleiben. Dabei kann dir deine Yogapraxis helfen: In ihr kultivierst du Achtsamkeit, Wohlbefinden und eine tiefe Verbindung zu allem, was lebt.
Trotzdem bleibt die Frage: Wie schaffen wir es, nicht im wohltuenden Gefühl der achtsamen Verbundenheit stecken zu bleiben, sondern tatsächlich ins Handeln zu kommen? Dazu möchte ich dir zehn “Fallen” vorstellen, die uns trotz einer bereits vorhandenen hohen Motivation oft daran hindern, uns im Alltag nachhaltig zu verhalten.
Die Liste kann ein Anlass sein, einmal systematisch nachzudenken und sich selbst auf die Schliche zu kommen. Dabei gilt es, ehrlich, aber nicht selbst-verurteilend hinzuschauen – und herauszufinden, wo es Veränderungspotenziale gibt. Wenn es dann um die Umsetzung geht, ist vor allem eine Einsicht hilfreich: Fest eingeübte Gewohnheiten zu verändern, ist immer schwierig. Stecke dir möglichst realistische Ziele, plane deine Handlungen möglichst konkret – und belohne dich auch für kleine Erfolge.
1. Impact – Unwissen
“Ich trenne jetzt erst mal meinen Müll.”
Um effektiv nachhaltiger zu handeln, müssen wir erst einmal die tatsächlich ökologisch wirkungsvollen Verhaltensweisen kennen. Das ist gar nicht so einfach, denn da sind viele widersprüchliche Informationen und Halbwissen im Spiel – und natürlich ist die Thematik sehr komplex. Trotzdem lohnt es sich, sich zu informieren. Manchmal ist aus Emissionsperspektive zum Beispiel eine wenig aufwändige Veränderung (etwa der Wechsel des Stromanbieters) deutlich effektiver als zum Beispiel das penible Trennen von Müll. Um die ökologisch wirklich relevanten Bereiche im eigenen Alltag zu identifizieren, lohnt es sich, die eigene Öko-Bilanz wissenschaftlich fundiert zu berechnen, zum Beispiel mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes.
Ganz allgemein kann man sagen, dass die größten Potenziale für die meisten Menschen im Bereich Mobilität (Verzicht auf Flugreisen, weniger Autofahrten), Ernährung (weniger oder keine tierischen Produkte) und Heizen (weniger) liegen. Außerdem sollte man unterscheiden zwischen regelmäßig wiederkehrendem Verhalten und solchem, das man nur ein einziges Mal schaffen muss. Letzteres ist vergleichsweise einfach: der Wechsel zu einem ökologischen Energieanbieter, zu einer nachhaltigeren Bank und eventuell auch Krankenkasse, Mobilfunkanbieter oder Internet-Browser. Den Müll trennen kann man ja weiterhin …
2. Selbst-Unterschätzung:
“Ich alleine kann eh nichts erreichen.”
Es ist oft schwer zu glauben, dass das eigene Verhalten überhaupt etwas gegen die Klimakrise und ähnlich gravierende und global bedingte Umweltprobleme ausrichten kann. Die Überzeugung von Selbstwirksamkeit, also der Glaube daran, dass das eigene Handeln eine Wirkung hat, ist aber essenziell, um sich langfristig zu motivieren. Betrachte es doch mal so: Die Klimakrise kann nur bewältigt werden, wenn viele einzelne Menschen tätig werden. Und oft beginnen große gesellschaftliche Veränderungen im Kleinen mit sozial-innovativem Handeln, bevor sie irgendwann zum Mainstream werden.
Ein gutes Beispiel dafür ist die hohe Akzeptanz, die eine vegetarische oder vegane Ernährung mittlerweile hat, obwohl Vegetarier*innen lange belächelt wurden. Von daher hat jede und jeder Einzelne nicht nur die Chance, ganz direkt etwas zu bewirken und etwa CO2-Emissionen einzusparen, er oder sie kann auch Multiplikator*in im eigenen Umfeld zu sein – ganz einfach durch die eigene gelebte Praxis.
3. Selbst-Überlastung:
“Ich muss die Welt retten.”
Das Gefühl der eigenen Verantwortung in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz ist sehr wichtig, um eine ausreichende Motivation zum Handeln aufzubauen. Doch das Gefühl, für alles und jeden verantwortlich zu sein, vom Bienensterben über den Hunger in Afrika bis zur neuerlichen Überschwemmung, erzeugt auch enormen Stress und hemmt dadurch auf Dauer das eigene Handeln eher.
Zu dem Wunsch, nachhaltiger zu werden, gehört deshalb auch das Akzeptieren der Grenzen von individuellem Handeln: Gesellschaftliche Rahmenbedingungen ändern sich oft allzu langsam und wir haben nur einen begrenzten Einfluss darauf, wie andere sich verhalten. Zwei Ansätze sind dabei hilfreich: Die eigenen Möglichkeiten, so gut es geht, ausschöpfen und sich dadurch moralisch entlasten. Und sich mit anderen Menschen austauschen und gemeinsam aktiv werden.
4. System-Attribution:
“Bevor ich etwas tue, muss sich erst mal grundsätzlich etwas ändern.”
Das ist der Gegenspieler zum vorherigen Punkt: Es mag sinnlos erscheinen, gegen den Strom des Systems zu schwimmen und das “richtige” Verhalten in “falschen” Strukturen zu praktizieren – ein viel zu anstrengender, aussichtslos erscheinender Kampf. Da ist es verlockend, die alleinige Verantwortung im System festzumachen und das individuelle Handeln zurückzustellen. Wenn das auf dich zutrifft, dann liegt es auf der Hand, dass du gemeinsam mit anderen aktiv werden solltest, um diese Strukturen zu verändern, sei es nun auf politischer Ebene oder aber in Initiativen, in Vereinen oder im Job.
Es gibt an vielen Stellen Entscheidungsspielräume, im Kleinen oder Großen strukturelle Veränderungen anzustoßen und umzusetzen, ganz besonders, wenn du im Beruf eine Führungsposition innehast. Denn neben dem “ökologischen Fußabdruck”, der sich auf das individuelle Handeln bezieht und möglichst klein sein soll, gibt es auch den “ökologischen Handabdruck”: Er beschreibt das eigene Engagement für Nachhaltigkeit und sollte natürlich möglichst groß sein.
5. Alles-oder-Nichts Einstellung:
“Ich kann nicht komplett verzichten.”
Manchmal scheitern Veränderungen daran, dass man sich zu hohe Ziele steckt – und alle Motivation sausen lässt, wenn man an diesen Zielen scheitert. Selbst wenn du nicht komplett auf Fleisch, Flugreisen oder Plastik verzichten kannst, hast du die Möglichkeit in kleinen Schritten mit Veränderungen zu beginnen: Du kannst zum Beispiel an einem Tag der Woche das Auto stehen lassen oder den nächsten Urlaub im Schwarzwald planen anstatt auf Bali oder am Ganges.
Je konkreter, desto besser. Außerdem wichtig: Feiere deine Erfolge, belohne dich für das, was du erreicht hast, anstatt dich auf das zu fokussieren, was noch alles getan oder verändert werden müsste. Und noch wichtiger: Nicht gleich aufgeben, falls es mal nicht direkt klappt, eine neue Gewohnheit zu etablieren! Es ist ganz normal, im Alltagsstress wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Dann gilt es, nicht aufzugeben, sondern die Rückfälle wohlwollend zu betrachten und dranzubleiben.
6. Freifahrtschein:
“Ich ernähre mich vegetarisch, Fliegen ist daher kein Problem.”
Die Tendenz, auf eine “gute Tat” eine “schlechte” folgen zu lassen, wird in der Psychologie “Moralischer Lizensierungseffekt” genannt. In Bezug auf ökologisches Verhalten bedeutet das, nicht-nachhaltiges Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen, indem man sich sagt, dass man in einem anderen Bereich nachhaltig genug ist. Sozusagen ein Verrechnen von unterschiedlichen Bereichen: Flugreise gegen die vegetarische Ernährung.
Dieser Tausch geht aus Impact-Perspektive (siehe Punkt 1) häufig nicht auf. Außerdem nutzen wir dann Einsparpotenziale nicht, weil wir bestimmte Lebensbereiche von vorneherein ausklammern. Es lohnt sich also an dieser Stelle, noch mal genauer hinzusehen, um sich selbst eventuell beim Tauschhandel auf die Schliche zu kommen.
7. Bumerang-Effekt:
“Ich nutze Ökostrom, daher kann ich auch viel Elektronik nutzen.”
So ähnlich wie beim “Freifahrtschein” geht es bei diesem Effekt (in der Forschung “Rebound-Effekt” genannt) um versteckte Einsparpotenziale. Ein Beispiel: LED-Lampen sind sehr günstig und energieeffizient. Das heißt, sie haben eine starke Leuchtkraft und verbrauchen zugleich sehr wenig Energie – ideal also, um Energie zu sparen. Es gibt dabei aber ein Problem: Dadurch, dass sie so günstig und hocheffizient sind, werden heute deutlich mehr LED-Lampen betrieben als früher Glühbirnen. Das führt nicht nur zum übertriebenen Beleuchten (Stichwort Lichtverschmutzung), sondern auch dazu, dass das Einsparpotenzial der Technologie zu einem großen Teil verpufft.
Das lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen, vor allem wenn es um Energienutzung geht – zum Beispiel wenn man mit dem E-Auto mehr fährt als mit dem Verbrenner oder wenn man den stromsparenden Trockner öfter laufen lässt. Wir sollten uns also generell fragen, an welchen Stellen wir vielleicht unnötig viel Technik oder Konsumartikel nutzen, weil sie effizient, günstig oder umweltfreundlich sind, und dabei ihre Einsparpotenziale nicht wirklich ausschöpfen.
8. Viel hilft viel
“Weil nachhaltig draufsteht, kaufe ich das.”
Immer mehr schöne, aber häufig nicht so wirklich notwendige Produkte werden als nachhaltig angepriesen und es gibt auch immer mehr Unternehmen, die sich Mühe geben, nachhaltiger zu produzieren. Das ist ein Fortschritt, nur sollten wir nicht auf die Idee reinfallen, mit mehr Konsum etwas zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen zu können. “Grüner” Konsum existiert eigentlich nicht, auch wenn wir das gerne hätten. Kurz gesagt: Weniger materieller Konsum ist in Bezug auf Nachhaltigkeit immer mehr!
Solange unser Wirtschaftssystem auf Wachstum ausgerichtet ist, werden Unternehmen versuchen, ihren Absatz über unseren Konsum zu steigern. Umso wichtiger ist es, sich zu fragen: Was brauche ich tatsächlich und was möchte ich jetzt vielleicht nur haben, weil es ein angenehmes Konsumerlebnis verspricht? Dieses hedonistische Moment muss man, nicht per se verurteilen. Es wäre aber gut, das auch ganz bewusst zu zelebrieren – dann hat man mehr davon.
9. Spaßbremse:
“Nachhaltiger zu leben bedeutet Verzicht.”
In der öffentlichen Wahrnehmung ist das gesamte Öko-Thema eng mit der Idee von Einschränkung und Verzicht verknüpft. Um diese Verknüpfung zu lösen, ist ein Perspektivenwechsel hilfreich: Es geht bei Nachhaltigkeit ja viel ums “Weniger”. Dieses Weniger muss aber nicht unbedingt Verzicht oder weniger Lebensqualität bedeuten.
Weniger Konsum kann beispielsweise auch dazu führen, dass wir weniger Geld brauchen, weniger arbeiten müssen und dadurch mehr Zeit haben – auch eine Form von Wohlstand und ein Gewinn an Lebensqualität und Freiheit. Es bleibt mehr Zeit für Familie, Freunde, Interessen, kurz gesagt für nicht-materielle Grundbedürfnisse, die das eigene Wohlbefinden steigern. Außerdem kann das Handeln nach den eigenen (Öko-) Prinzipien uns ein gutes und erfüllendes Gefühl schenken.
10. Flucht:
“Ich bin dann mal weg.”
Reisen sind vielleicht das unangenehmste Thema, weil es hier bei vielen Menschen um wichtige Bedürfnisse geht: Abwechslung, Erholung, Erlebnisse, die den eigenen Horizont erweitern. Ganz besonders bei Fernreisen blenden auch ansonsten sehr ökologisch ausgerichtete Menschen die Emissionen, die damit verbunden sind, gerne mal aus. Es kann nicht darum gehen, generell auf Reisen zu verzichten, nicht einmal Fernreisen müssen komplett gecancelt werden.
Klar ist aber auch, dass weite Reisen vor allem mit dem Flugzeug unternommen werden und die eigene Öko-Bilanz deutlich belasten – und das auch dann, wenn sonst alles super-öko ist. Um für sich einen Weg zu finden, kann man sich erstens fragen, was überhaupt die Hauptmotivation ist: Geht es um Erholung und “rauskommen”? Um besondere Naturerfahrungen? Geht es darum, andere Kulturen kennenzulernen? Oder gemeinsam mit anderen zu reisen? Im nächsten Schritt kann man schauen, welche dieser Bedürfnisse sich auch an näher gelegenen Orten verwirklichen lassen – denn häufig ist es eine Illusion, dass es die weit entfernten Orte sind, die uns wirklich weiterbringen.
Yoga und nachhaltiges Leben zusammendenken – das ist das Anliegen von Dr. Nadine Richter. Sie ist Yogalehrerin in Bochum und Dortmund und arbeitet zu Zusammenhängen zwischen Achtsamkeit, Wohlbefinden und nachhaltigem Verhalten als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG Umweltpsychologie der FH Dortmund.
Dr. Nadine Richter war auch schon Gast in unserem Podcast. Hier kommst du direkt zur Folge: