Klimawandel und Verantwortung

Der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch vergleicht den Einfluss des Menschen auf die Umwelt mit den Folgen eines Meteoriteneinschlags: Die Natur wird irreversibel zerstört, viele Arten sterben aus und das Klima wandelt sich drastisch. Gleicht menschliches Handeln den schlimmsten Naturkatastrophen?

Als Harald Lesch neulich an der Uni gefragt wurde, ob der Klimawandel nicht als natürliches Schwanken zwischen Warm- und Kaltperioden auf der Erde einzuordnen sei, erlebten seine Studenten einen mühsam beherrschten Wutanfall; gefolgt von einem halbstündigen Vortrag, den Lesch mit harten Fakten untermauerte. Die Daten der letzten 200 Jahre sind eindeutig: Die Konzentration klimawirksamer Gase in der Atmosphäre nimmt immer weiter zu; alle Graphiken dazu zeigen exponenziell ansteigende Kurven. Das eigentliche Problem aber ist, dass wir uns zur Zeit sogenannten „tipping points“ nähern – Momenten, an denen bestimmte Entwicklungen umschlagen und nicht mehr rückgängig zu machen sind. Sind die Gletscher einmal abgeschmolzen, werden sie nicht mehr zurückkommen. Dasselbe gilt natürlich für ausgestorbene Tierarten, auch gerodete Urwälder können nicht einfach wieder aufgeforstet werden. An all diesen Phänomenen soll der Mensch unbeteiligt sein? Lesch schlussfolgert, dass es diesbezüglich kein Wissensproblem, wohl aber ein riesiges Handlungsproblem gäbe.

Radikalaufklärung für die Zukunft
Nach wie vor leugnen wir unsere Verantwortung oder weichen ihr aus. Wir verdrängen die Probleme und versuchen, sie wegzudiskutieren. Im Grunde brauchen wir eine zweite große Aufklärung. Wie vor 200 Jahren müsste eine ähnlich grundsätzliche Denkbewegung die Menschheit aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) führen. Erneut sind alle unsere Traditionen in Frage zu stellen. Die Traditionskritik richtet sich gegen den angewöhnten, bedenkenlosen Konsum, den Ausverkauf überlebenswichtiger Ressourcen und die Zerstörung und Ausbeutung der gesamten Tierwelt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der ersten Aufklärung war die Selbstkritik, die das eigene Denken in Frage stellt. Deswegen heißen die Anfänge dieser philosophischen Anstrengung heute zu Recht Radikalaufklärung.

Kalaa = Das eigene Verhalten konsequent hinterfragen
Yoga kennt wichtige Werkzeuge, um mit gedankenlosen Routinen und schädlichen Gewohnheiten zu brechen. Die deutschen Anusara-Lehrer Lalla und Vilas Turske etwa arbeiten dafür mit dem aus dem kaschmirischen Shivaismus stammenden Begriff „Kalaa”: Gemeint ist die Fähigkeit, unser Verhalten bewusst zu verändern und radikal zu hinterfragen, bis tief in unsere Sozialisation, unsere kulturelle Prägung und die Formung unserer Wahrnehmung hinein. Gleiches meint das Yogasutra, wenn es von „Klärung, Selbsterforschung und dem Erkennen der eigenen Grenzen“ spricht (Sutra 2.1). Als jemand, der Yoga übt, lernt man innezuhalten – um sich zu unterbrechen und um zur Ruhe zu kommen. Will man Raum für ein Handeln schaffen, das nicht mehr nur egoistisch und kurzsichtig ist, ist ein wenig Gelassenheit und Nachdenken nötig. Lalla und Vilas beschreiben dieses Handeln als „slowly, steady and systematically“.

Es scheitert an der Umsetzung
Dennoch haben Yogis in der westlichen Welt ganz offensichtlich ein Handlungsproblem. Denn auch wir machen munter mit, unsere Umwelt zu zerstören, Tiere auszubeuten, zu töten und die Luft zu verpesten, die wir atmen. Yoga beruht zwar auf denkbar einfachen ethischen Prinzipien, die auf die Gesamtheit aller Wesen ausgerichtet und leicht verständlich sind; wir müssten sie aber auch umsetzen …

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen …
Wer hat den Mut und die Kraft, sich gegen den politischen und gesellschaftlichen Mainstream zu stellen? Das bedeutet bisweilen, auch seinen Freunden zu widersprechen, bei vielen Dingen nicht mitzumachen und sich im Zweifel zu isolieren. Die Protagonisten der Aufklärung vor 200 Jahren haben lange im Untergrund gewirkt, ihre Schriften wurden zunächst nur im Geheimen verbreitet – es war ein steiniger Weg. Am Ende war die Aufklärung eine großartige Befreiung des Denkens. Immanuel Kant antwortet auf die Frage, warum wir solange zögern mitzumachen, mit drei Begriffen, aus denen wir auch heute noch frei wählen können: Faulheit, Feigheit oder Dummheit.


Bildnachweis: unsplash.com

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