Können Frauen mit einer gezielten Yogapraxis die notwendige Stärke für Führungspositionen aufbauen? YOGA JOURNAL-Autorin Ulrike Reiche geht der Frage nach und erklärt, warum die Integration weiblicher Potenziale in der Wirtschaft selbstverständlich sein sollte.
„Die Frauen, die ich kenne, wollen alles, aber eins auf keinen Fall: werden wie ein Mann!“ Diese Aussage von einer Vertriebsmanagerin macht deutlich, in welchem Spannungsfeld sich viele ambitionierte Frauen bewegen: Auf der einen Seite streben sie beruflichen Erfolg an und sind bereit, verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen. Und auf der anderen Seite ringen sie damit, bei allem Engagement noch Frau zu bleiben und ihre weibliche Ausstrahlung zu behalten. Sie haben den Wunsch, ihr berufliches Potenzial voll auszuschöpfen – ohne ihre Vorstellungen von Weiblichkeit, Partnerschaft und Familie für den Job komplett aufzugeben.
Nur wenigen von ihnen gelingt das in einer Weise, die sie selbst, ihre Familien und ihre Arbeitgeber zufrieden stellen. Auch wenn derzeit in Wirtschaft und Politik die Frage der Frauenförderung und -quote breit diskutiert wird, und selbst wenn ausreichende Kinderbetreuung in ganz Deutschland sichergestellt wäre – an einem Punkt kommen Frauen nicht vorbei: Sie müssen sich entscheiden, wie sie ihr Berufs- und Privatleben gestalten wollen und ob sie tatsächlich bereit sind, in Führungspositionen hinein zu wachsen.
Zahlreiche Studien der letzten Jahre belegen, dass Unternehmen besonders erfolgreich sind, wenn das Management aus Männern und Frauen besteht. Eine verbesserte Geschäftsentwicklung zeichnet sich in der Regel dann ab, wenn der Frauenanteil unter den Führungskräften mindestens bei 30 bis 40 Prozent liegt. So titelte eine angesehene Wirtschaftszeitung angesichts der Bankenkrise: „Die Trümmerfrauen der Finanzbranche“ – und attestierte den weiblichen Finanzexperten mehr Risikobewusstsein und Besonnenheit als den männlichen Kollegen.
Dabei ist es nicht nur aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen wichtig, dass Frauen mehr Verantwortung übernehmen. „Wenn mehr Frauen in Führungsetagen sitzen würden, dann wären alle gesünder: die Mitarbeiter, die Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes,“ findet eine Gesprächspartnerin in Führungsposition. Ihre Aussage weist darauf hin, dass die gleichberechtigte Partizipation von Frauen zu einem ganzheitlichen und nachhaltigen Wirtschafts- und Führungsstil beiträgt. An dieser Stelle ergibt sich die Schnittstelle zum Welt- und Menschenbild der Yogalehre: Nur dort, wo das weibliche und das männliche Prinzip miteinander auf natürliche Weise im Einklang agieren, kann Gesundheit, Frieden und Prosperität entstehen.
Berufstätigen Frauen ist oftmals deutlich bewusst, dass sie für Erfolg im Beruf nicht nur eine systematische Karriereplanung brauchen, sondern auch ein gesundes Selbstmanagement. Gerade Frauen, die Familie und Karriere in Einklang bringen wollen, benötigen eine kontinuierliche, gezielte Methode zum Stressabbau. Yoga kann helfen, die Dualität zwischen der körperlichen und geistigen Ebene zu überwinden und eine ausgewogene Balance zwischen den unterschiedlichen Energien herzustellen. Die Praxis hat nach yogischem Verständnis immer eine – beabsichtigte – mentale Wirkung. Auch wer Yoga eher als körperliche Methode betrachtet, wird diese Wirkungszusammenhänge nicht außer Acht lassen können. Regelmäßiges Üben fördert die Selbstwahrnehmung und Reflexionsfähigkeit.
So wie weibliche als auch männliche Interessen und Fähigkeiten für eine blühende Gesellschaft notwendig sind, so kann die einzelne Frau aus der Entwicklung ihrer weiblichen und männlichen Aspekte die Stärke gewinnen, die sie für ein erfülltes Privat- und Berufsleben braucht. Unabhängig vom Geschlecht existieren beide Prinzipien in jedem Menschen. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, wann die weiblichen oder männlichen Aspekte in ihnen wirksam sind. Noch weniger realisieren sie, dass sie mit Hilfe einer gezielten Yogapraxis direkten Einfluss darauf nehmen können, die entgegensetzten Pole auszubalancieren und die jeweiligen Potenziale zu entfalten.
Hilfreich ist ein speziell zusammengestelltes Übungsprogramm, das einerseits die Leistungskraft erhält, aber auch genügend Raum für Entspannung gibt. Damit ist es möglich, das weibliche Potenzial auszuschöpfen und die männlichen Anteile zu entfalten – je nachdem, was die jeweilige Lebens- oder Arbeitssituation erfordert.
Yogi Bhajan, der Meister einer speziellen Form des Kundalini Yoga, wandte sich in zahlreichen Vorträgen gezielt an Frauen. Immer wieder betonte er, dass die künftige Entwicklung der Welt maßgeblich von einem authentischen, unabhängigen und würdevollen Verhalten der Frauen abhängt. Aus diesem Grund entwickelte er Übungsfolgen und Meditationen, die sowohl die physische als auch die mentale Stärke von Frauen fördern. Seine wesentlichen Aussagen und Empfehlungen zielen darauf ab, Frauen zu ermöglichen – auch als Mutter – verantwortungsvolle Positionen in der Gesellschaft zu übernehmen: Eine Frau, die genauso produktiv und erfolgreich wie ein Mann agieren möchte, braucht ein intensives körperliches Training. Dann ist es möglich, ihre tendenziell nach innen gerichtete weibliche Energie aufzubauen und in der äußeren Welt zu entfalten. Aus diesem Grunde leitete Yogi Bhajan spezielle Übungsreihen für Frauen an, die systematisch alle Körperbereiche ansprechen und die weiblichen und männlichen Aspekte in Balance bringen.
Aktive und engagierte Frauen haben oftmals Probleme, sich zu entspannen. Dabei fällt es einer entspannten Frau leichter, intuitiv zu handeln und sich mit ihrer inneren Stimme zu verbinden. Von dieser Verbindung halten sie nur ihre Ängste ab. Wenn sie diese jedoch bewusst wahrnimmt und sie beherrschen lernt, ist es möglich, zu vertrauen und Vertrauen zu verkörpern.
Unter Anspannung wird der innere Erfahrungsraum dagegen kleiner. Yogi Bhajan empfahl Frauen, zweimal täglich mindestens für jeweils elf Minuten eine Tiefenentspannung in ihren Alltag zu integrieren.
Wenn eine Frau erfolgreich sein möchte, kann sie mit Hilfe einer intensiven Yogapraxis nachhaltig Lebenskraft aufbauen, um die Verbindung zu ihrem Selbst aufrecht zu erhalten. Ziel ist, weibliche Stärke und innere Unabhängigkeit aufzubauen. Außerdem stärkt sie damit ihre Fähigkeit, klare Entscheidungen zu treffen und fokussiert zu handeln. Eine bewusste Frau trägt alles Glück in sich. Hat sie ein starkes Selbstwertgefühl, manifestiert sich diese äußere Wahrnehmung von selbst. Wenn eine Frau sich jedoch nicht erlaubt, ihre weibliche Seite zu zeigen, wird sie nur schwer in Kontakt mit ihrer weiblichen Energie treten und sich nicht gänzlich entfalten können.
Im ganzheitlichen und spirituellen Sinne des Yoga geht es darum, dem derzeit dominierenden männlichen Prinzip das weibliche Gegengewicht zur Seite zu stellen und Balance zu erreichen. Für die einzelne Frau bedeutet das, sowohl ihre persönlichen – innerlichen – als auch beruflichen – nach außen gerichteten – Ziele gleichermaßen erfolgreich zu verwirklichen. Durch die Präsenz und Partizipation beider Geschlechter in Wirtschaft und Gesellschaft erhalten ausgewogene und nachhaltige Lebensprinzipien eine realistische Chance. Vor diesem Hintergrund ist die derzeit diskutierte Einführung einer Frauenquote in der Wirtschaft nicht nur zu begrüßen, sondern von entscheidender Bedeutung für eine hoffnungsvolle Zukunft.
Symbolik |
Das weibliche Prinzip |
Das männliche Prinzip |
Archetypen |
Shakti |
Shiva |
Mantren |
Ma |
ra |
Planetarische Energie |
Erde |
Sonne |
Element |
Wasser |
Feuer |
Ausrichtung |
nach innen gerichtet: Integration |
nach außen gerichtet: Expansion |
Bewegung |
empfangen und zulassen |
abgeben |
Aktion |
passiv, abwartend |
aktiv, handelnd |
Körper |
linke Körperhälfte |
rechte Körperhälfte |
Denkweise |
kreativ – vernetztes Denken |
rational – linear |
Ulrike Reiche ist Coach für Führungsfrauen, Kundalini-Yogalehrerin und -Ausbilderin. Die Autorin von „YIU Yoga im Unternehmen – Gesundheit ohne Stress“ (Fischer Verlag) bietet seit zehn Jahren spezielle Yogaprogramme für Berufstätige an.