Hauptsache gesund? Ein Kommentar von Patrick Broome.
Patrick Broome brachte vor über einem Jahrzehnt die Jivamukti Yoga-Methode nach Deutschland und gründete mehrere Studios. Heute gehört der promovierte Psychologe zu den bekanntesten Yogalehrern hierzulande. Am 6. August 2009, an dem Tag, an dem sein Sohn zur Welt kam, erhielt er eine Diagnose, die sein Leben auf den Kopf stellte: Krebs. „Am Anfang fand ich das total unfair“, erinnert er sich. Aber im Laufe der Zeit erkannte er in seiner Krankheit, einer chronisch lymphatischen Leukämie, nicht nur einen Feind, den es zu bekämpfen gilt, sondern auch einen wichtigen Lehrer…
„Eigentlich war ich fast immer chronisch krank. In meiner persönlichen Geschichte gibt es kaum Momente, in denen ich komplett gesund war, mal keinen Heuschnupfen, kein Asthma, keine Gliederschmerzen oder Ähnliches hatte. Darum hatte ich mich schon früh mit dem Thema Krankheit auseinandergesetzt. Ich führte ein Leben, von dem manche behaupteten, es wäre gesund und langweilig. Und trotzdem wurde ich nicht verschont. Was mich sehr belastete, war das ungünstige Timing. Ich war im Kreißsaal bei meiner Frau, da klingelte das Telefon. Zwischen zwei Wehen ging ich kurz raus, um zurückzurufen. Es war mein Arzt, der mir just in dem Augenblick die endgültige Diagnose mitteilte. Krebs. Wenig später wurde mein Sohn geboren… Seit ich mit 18 Jahren einen schweren Motorradunfall überlebt habe, bin ich mir über meine Endlichkeit im Klaren. Aber in dem Moment, als mein Sohn auf die Welt kam, war ich an meinem Leben so sehr verhaftet wie nie zuvor. Ich wollte einfach die nächsten 20, 30 Jahre für diesen kleinen Zwerg sorgen können. Die Leukämie-Diagnose zwang mich jedoch, mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass schon früher Schluss sein könnte. Immer wieder dachte ich: Warum muss mir so etwas passieren? Ich ernährte mich von klein auf vegetarisch, machte seit Jahren Yoga, meditierte regelmäßig. Mein Vertrauen war erschüttert.
Ich begann eine Chemotherapie. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, völlig zerstört zu werden. Nach und nach kam ich wieder zu Kräften – bis zur nächsten Behandlung. Die Chemotherapie tötet die Krebszellen ab. Die Krankheit ist inzwischen verschwunden, aber die Ursache nicht behoben. Die versuche ich jetzt in intensiver Zusammenarbeit mit einem Homöopathen und einem Psychotherapeuten zu heilen. Ich glaube nicht, dass Yoga alleine eine tiefgehende Krankheit heilen kann. Aber Yoga kann dir helfen, damit umzugehen und den Körper stärken. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass es eine Wunder-Asana gibt, die meinen Krebs verschwinden lässt. Es ist meiner Meinung nach extrem unseriös, so etwas zu behaupten. Ich habe Yoga schon immer als Instrument verstanden, um den Geist zu beruhigen, nicht so sehr um den Körper zu heilen.
Patanjali nennt eine Reihe von Hindernissen auf dem Weg zur Erleuchtung, die Antarayas. Krankheiten gehören dazu, weil sie die Aufmerksamkeit von deinem eigentlichen Konzentrationsobjekt wegzieht hin zum Körper. Aber eine Krankheit muss kein Hindernis sein. Es ist immer die Frage, wie sehr man sich mit dem Körper identifiziert. Durch die Yogapraxis lernt man, Körper und Selbst getrennt wahrzunehmen. Gewöhnlich sagen wir: Ich bin krank. Damit sind wir völlig von der Krankheit vereinnahmt. Wenn wir aber lernen zu sagen: ‚Ich habe eine Krankheit und einem Teil von mir geht es darum gerade nicht so gut’, dann hat die Krankheit keine so starke Macht mehr auf uns. Mir ist das ab und zu gelungen, aber nicht immer. Dennoch habe ich von der Krankheit auch viel lernen können. Zum einen habe ich mich verändert. Ich bin wesentlich geduldiger und ruhiger geworden. Früher war es mir sehr wichtig, genug Zeit für mich allein zu haben. Da wollte ich niemanden um mich herum haben. Ich glaube, dass der Kampf gegen den Krebs eine der letzten Mauern eingerissen hat, die ich um mich herum aufgebaut hatte. Ich kann auf andere jetzt viel offener zu gehen.
Die Hauptlektion war jedoch eine andere. Selbst wenn man am Ende ist, kommt wieder etwas Neues nach. Das Vertrauen in den Zyklus aus Werden, Wachsen und Vergehen war mir die wichtigste Lehre. Guru Brahma, Guru Vishnu, Guru Devo Maheshvara!