Interview // Angela Farmer & Victor Van Kooten

Bereits die Interviewsituation ist ungewöhnlich: Das Gespräch mit Angela Farmer
(75) und Victor van Kooten (73) findet an und in einem Badeteich in Osterloh statt.
Vor der Kulisse der bayerischen Voralpen sprechen die erfahrenen Yogalehrer über starke Männer, kreative Frauen und Yoga als Form individuellen Ausdrucks.

YOGA JOURNAL: Im Yoga wollen wir Verbindung, wollen mit unserer Umwelt verschmelzen. Wie wahren wir dabei unsere Individualität?
VICTOR VAN KOOTEN: Das wichtigste Prinzip in unserem Unterricht lautet: Niemand teilt die gleiche Wahrheit oder geht den gleichen Weg. In diesem Sinn ist es die Aufgabe des Lehrers, Schülern einen Raum zu bereiten, in dem sie ihren persönlichen inneren Leitfaden entdecken und ihm ihr Vertrauen schenken können. Für uns ist Yoga kein geschlossenes System, auch keine Abfolge von Haltungen. Du bist Yoga.

Hängen wir zu sehr an Begriffen?
VK: Yoga, Tantra, und so weiter… Diese Wörter sind inzwischen bis zur Unkenntlichkeit strapaziert. In unserer leistungsbetonten Zeit würde ich fast nicht von Yoga sprechen, eher von „YouGo“.

Wie hat diese Haltung euren Unterrichtsstil beeinflusst?
VK: Wir haben uns 1971 als Schüler von B. K. S. Iyengar kennengelernt. Im Laufe der Jahre haben wir gemerkt, dass wir eine neue Richtung einschlagen wollen. Wir sehen den Körper nicht als äußere Form, sondern als Gefäß für den inneren Strom des Lebens.

Seit 30 Jahren unterrichtet ihr als Paar gemeinsam. Wie läuft dieser Dialog ab?
ANGELA FARMER: Wir stehen konstant im Austausch mit uns selbst. Diesen natürlichen Fluss spiegelt auch unser Unterrichtsstil: Wir praktizieren niemals zusammen. Erst in unseren Stunden finden wir heraus, wo der andere auf seiner inneren Entdeckungsreise steht und was er dort gefunden hat. Es ist ein konstantes Inspirieren, Zuhören und spontanes Aufgreifen, das zu ganz besonderen Momenten führt. Ein bisschen wie beim Liebesspiel …

Es gibt Schüler, die vor allem in eure Stunden kommen, um euch als Paar zu erleben und sich in diese Art der Kommunikation einzufühlen. Wie erlebt ihr eure eigene Beziehung in Bezug auf Yoga?
AF: Yoga unterscheidet sich nicht von allem anderen im Leben. Es geht immer um Transformation. Auch Beziehungen, unsere eingeschlossen, finden nicht in der Konfrontation statt, sondern wachsen und entwickeln sich organisch.

Es scheint, als sei die Paarbeziehung eines der größtenThemen unserer Zeit, das
einer radikalen Umbewertung bedarf.
VK: Ich habe gehört, dass jetzt stärkere Männer gefragt sind!

Was ist ein starker Mann für dich?
VK: Jemand, der seine feminine Seite tragen – und ertragen! – kann. Der vermeintliche Unterschied zwischen „Mann“ und Frau“ war immer eine große Herausforderung für mich. Wo soll hier die Trennung liegen? Natürlich haben wir unterschiedliche Genitalien und als Mann kann ich keine neue Generation auf die Welt bringen – aber ohne die Hilfe des Mannes kann es die Frau auch nicht.

Für manche Männer ist die Vorstellung einer femininen Seite sicher erschreckend.
VK: Unser gesamter Ansatz besteht darin, dass wir aus dem inneren Körper heraus unterrichten. Dieser wird in Kontrast mit dem äußeren, muskelbetonten Männerkörper eher mit femininer Energie verbunden. Ich persönlich habe mit Yoga begonnen, um mehr vom Außen ins Innere zu kommen und zu dem gelangen, was mich geschaffen hat – was oder wer auch immer das sein mag. Heute bewegt sich viel im Yoga in die maskuline Richtung, statt die Polaritäten auszugleichen: Aus Hatha Yoga ist „Haha Yoga“ geworden! Dabei geht es nicht darum, als Mann feminin zu werden, sondern diese Seite einfach wahrzunehmen.
AF: Als Yoga noch keinen Namen hatte, hat es sich aus dem Femininen entwickelt – wie alles, das direkt aus der Natur kommt, sich im Rhythmus mit ihr bewegt und nach den Jahreszyklen lebt. Es war ein ständiges Experimentieren mit dem, was gut tut: sich nach etwas strecken, dehnen, sich der Sonne zu öffnen. Es waren Männer, die diesen Zugang formalisiert und ein System daraus gemacht haben.

Ist es nötig, uns der Sonne, uns selbst und unserem Partner mehr zu
öffnen? Welche Qualität sollte diese Offenheit haben?
AF: Die wichtigste Bedingung für Offenheit ist Vertrauen. Die größte Blockade ist Angst. Manchmal wissen wir gar nicht, wo sie herkommt. Ein Wort oder eine Geste von jemandem, der uns nahe steht, kann unerklärliche Angst auslösen. Haben wir genug Raum und Vertrauen, können wir uns dieser Angst und den Bedürfnissen des anderen öffnen. Ein guter Ort, uns unserer eigenen Angst zu öffnen, ist die Yogapraxis. Wir lernen, Stellen im Körper zu vertrauen, die normalerweise dichtmachen. Wenn sie merken, dass sie achtsam behandelt und nicht verletzt werden, öffnen sie sich. Sobald man einem anderen Menschen näher kommt, nähert man sich auch einem Ort in sich selbst, der so viel Angst hat, dass er sich versteckt. Wenn dieser Ort integriert werden kann, wird die Beziehung 100 Meilen tiefer.

Wie können wir es vermeiden, dass der Raum, den wir uns für uns nehmen, nicht zur Distanz zum anderen wird?
VK: Der Raum, den wir uns nehmen, sollte durchlässig bleiben, nicht
eingemauert werden.
AF: Als Frauen beeinflusst uns noch heute der historische Hintergrund, in dem es nicht erlaubt war, uns wirklich authentisch auszudrücken. Wenn unser Partner also nicht bereit ist, uns auf unserer Entdeckungsreise zu begleiten, sich gemeinsam und einander zu öffnen und damit gemeinsam verletzlich zu werden, passiert folgendes: Wir denken, dass wir mehr Raum erhalten, finden aber plötzlich Entfremdung. Dazu kommt die Angst, dass sich im Prozess des Öffnens in das, was uns wirklich ausmacht, die Beziehung auf der Strecke bleibt. So entsteht ein Zug in zwei Richtungen – als ob wir mit den Füßen auf auseinander driftenden Eisschollen stünden …
VK: Das Interesse an persönlicher und gemeinsamer Entwicklung sollte von beiden Seiten kommen. Dazu ist eine gewisse Elastizität nötig. Wird sie jedoch überstrapaziert, reißt das Gummiband. Wir sind da wie zwei Magneten: Gehen wir zu weit voneinander weg, lässt die Anziehungskraft nach und verschwindet schließlich.

Victor, du bist auch bildender Künstler. Welches Bild würdest du von eurer Beziehung malen?
VK: Für mich ist unsere Beziehung absolut selten und erstaunlich. Ich habe sie oft portraitiert, unter anderem mit vier Gesichtern, die nach außen, sowie vier Gesichtern, die nach innen blicken und vom unteren Chakra ausgehend eine Blume bilden. Mein Ideal ist es, dass wir uns auf vielen Ebenen, nicht nur der sexuellen, konstant nach innen und außen bewegen. Kompromisse gibt es immer, aber wenn aus ihnen Angebote zur Wertschätzung werden, brennt die Flamme des Yoga wieder auf. Schwierigkeiten, äußere Kräfte und Herausforderungen sind wichtige Veränderungen auf diesem Weg. Wir sollten jedoch nicht der Spielball dieser Kräfte werden, sondern in uns ruhen, zurücktreten und sie annehmen. Es sind die Stürme, die den Bäumen interessante Formen geben.

Von Christina Raftery
Fotos: Elias Hassos // www.eliashassos.de

Angela und Victor leben in Eftalou auf der griechischen Insel Lesbos. Dort und weltweit unterrichten sie Workshops und Retreats.
www.angela-victor.com
Auf den Fotos in diesem Interview tragen sie Kleidung der von ihnen selbst
inspirierten Marke Pelagou Sensual Bodywear München
www.pelagou.com/ E-Mail:sabina@pelagou.com

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