Ashtanga, Ayahuasca und die absolute Freiheit

Binh Les Worte und Einstellungen sind geprägt vom einem radikalen Freiheitsgedanken und eiserner Disziplin. Sie zeugen von einer tiefen Hingabe an Ashtanga Yoga – aber auch an ein schamanisches Gebräu, das aus den Blättern und der Liane einer Urwaldpflanze erzeugt wird. Es besitzt eine halluzinogene Wirkung und ist im Verzeichnis verbotener Substanzen gelistet: Ayahuasca. In einem Münchner Café sitzen wir zwischen wohlhabenden Bürgern, die sich die Wasserflasche für 7 Euro ohne Mühe leisten können und führen hinter vorgehaltener Hand ein Gespräch über das „echte“ Leben.

Warum haben deiner Meinung nach viele Yogis Berührungsängste mit Ashtanga Yoga?
Das Vorurteil, Ashtangis seien „Soldaten“, ist leider immer noch in den Köpfen verankert. Die Leute haben Angst vor Ashtanga. Das mag vielleicht daran liegen, dass du bei diesem Yogastil immer an einen Punkt kommst, wo du nicht heraus kannst. Bei anderen Stilen ist es, je nach Lehrer, leicht, sich durchzuschlängeln. Im Ashtanga kommst du jeden Tag in die Haltung, die du nicht machen möchtest und das ist hart.

Wann hast du mit Yoga begonnen?
Ich habe viel schamanische Arbeit gemacht. Erst danach kam ich über meine damalige Freundin, eine Yogalehrerin, auf Yoga. Ich war ein Jahr lang in Indien, habe dort alles mitgemacht und aufgesaugt. Das war aber einfach zu viel in so kurzer Zeit. Deswegen habe ich erst einmal eine zweijährige Pause gebraucht, in der mir alles zu viel wurde. Und da habe ich gefeiert.

Gehst du immer noch feiern?
Nein, nach meinem veränderten Weltbild ist das alles nicht mehr so meins. Ich gehe lieber mit Freunden Essen. Die Zeit, die ich mit mir alleine verbringe, ist sehr wertvoll für mich. Wenn ich mich also mit anderen Leuten treffe, muss die Zeit entweder genau so gut sein oder ein bisschen besser.

Trotzdem trinkst du Espresso, rauchst Zigarillo und auf deinem Instagram-Account sieht man ein Bild von einem Steak-Sandwich. Ist doch alles noch sehr weltlich…
Ich hab alles ausprobiert, um zu wissen, wie es sich anfühlt. Ich habe mich ein Jahr lang vegetarisch ernährt, in Indien nur von Raw Food gelebt und für zwei Jahre auf Kaffee verzichtet. Weil ich alles ausprobiert habe, kann ich entscheiden, was sich für mich richtig anfühlt. Mir tut Fleisch gut im Moment. Und ich mag auch Salat. Aber ich möchte frei entscheiden können, was ich will. Wenn man einmal vom ethischen Aspekt absieht, kann es einem das Gefühl von Kontrolle geben, wenn man sich streng nach einer gewissen Regel ernährt. Darin verlieben sich viele. Aber wenn man wirklich alles loslassen kann, isst man nur das, was einem schmeckt. Das schenkt einem Freiheit.

Ich sehe darin einen Konflikt: Wenn man ohne Kontrolle alles macht, worauf man Lust hat, kann das doch schnell zum Kontrollverlust führen…
Aber Kontrolle ist eine Illusion. Das Leben selbst hast du nicht unter Kontrolle. Du solltest nie deine Gefühle und deine Impulse unterdrücken, um anderen zu gefallen, in dem Irrglauben, dass du anders nichts wert bist. Das ist gefährlich. Deswegen brauchen wir authentische Stämme, deren Werte mit unseren kongruent sind. Wir wollen ja dazugehören – weshalb sonst gibt es so viele Vereine und Gruppierungen? Die Frage ist: Was bin ich wert, wenn ich keinen Stamm habe, nach dessen mir auferlegten Regeln ich lebe? Die Erfahrung des Selbstwertes ist ungemein wichtig. Das sind übrigens keine Zigarillos, sondern Mapachos. Die gibt es nur in Peru und sind quasi ein Tool für die schamanische Arbeit. Das fährt dein System runter und du kannst so deine energetischen Blockaden lösen. Es ist legal, aber man muss es sich eben selbst von der Reise mitbringen.

Schmeckt schon ein bisschen wie Zigarillo.
Ja, mag sein, aber es ist handgerollter, purer Tabak.

Zurück zum Yoga. Wie hast du nach deiner Feier-Phase wieder zurück auf die Matte gefunden?
Meinen letzten Workshop in Indien habe ich bei dem Finnen Petri Räisänen belegt. Er hat mich ans Ashtanga herangeführt. Nach meiner Pause habe ich zuhause zunächst wieder alleine mit der Hatha-Yogapraxis begonnen, die ich in Indien auf einer Abhyasa-Yogalehrer-Ausbildung gelernt hatte. Dann habe ich mich wieder an Petris Unterricht erinnert. Weil ich in München keinen für mich geeigneten Ashtanga-Lehrer fand, brachte ich mir die erste und zweite Serie selbst bei. Bei Petri begann ich dann mit der dritten. Für mich ist es sehr schwierig, von jemandem etwas anzunehmen, den ich als nicht authentisch erlebe. Jeder Mensch spürt instinktiv, ob etwas authentisch ist. Und jeder weiß, wohin und wie weit man ihn begleiten kann. Daher hat jeder Lehrer irgendwo seine Berechtigung.

Warum ist Ashtanga für dich die richtige Wahl?
Ich denke, 95% aller Menschen sollten Ashtanga üben. Du willst ja kein besserer Yogi, sondern ein besserer Mensch werden und ich denke, Ashtanga macht dich zu einem besseren Menschen. Du kannst 15 Jahre lang in der ersten Serie bleiben, aber die Demut die du lernst, bekommst du nur hier. Was sehr meinem Wesen entspricht, ist die Stille während der Praxis. Da gibt es keine Musik und keinen, der dir etwas vorsagt. Nur deinen Atem. Und du musst immer wieder in die Haltungen gehen, die dir schwer fallen. Da kommen natürlich einige Themen hoch, die du nicht verdaut hast. Wenn du das durchziehst, wirst du irgendwie freier.

Spannend, dass dir Disziplin schon seit deiner Kindheit vertraut ist – du hast schon früh mit Kampfsport begonnen – und du gleichzeitig so stark für Freiheit plädierst.
Es ist eine höhere Disziplin, frei zu sein, als sich zu unterjochen. Es ist so simpel. Alle Probleme sind ganz einfach zu lösen. Du bist hungrig? Iss. Du bist mies gelaunt? Hör auf damit. Du willst was sehen von der Welt? Kündige deinen Job und geh auf Reisen. Was ist das Schlimmste, das dir passieren kann? Das Letzte, was das Universum will, ist, dir Steine in den Weg zu legen. Alles ist im Fluss. Das Universum hat nichts davon, wenn du unglücklich in der Ecke sitzt und dich fragst, warum du hier in München lebst. Mit der Freiheit und Disziplin halte ich es so: Ich bilde mir ein, ich bin ein absolut freier Mensch, aber ich halte mich an die Moon Days, die Sechs-Tage-Praxis. Ein Maler kann nicht auf einer unendlichen Leinwand malen, er braucht den Rahmen, um Freiheit zu haben.

Binh-3Über deine Kenntnis des Schamanismus konntest du auf deinen Reisen auch Erfahrung mit Ayahuasca sammeln. In Deutschland ist die Substanz wegen ihrer halluzinogenen Wirkung illegal. Magst du von deinen Erlebnissen erzählen?
In Holland, Spanien oder Tschechien ist Ayahuasca in einem legalen Vakuum, daher nehme ich dort an derartigen Zeremonien teil. In ganz Südamerika ist es legal. Vor sieben Jahren habe ich das erste Mal eine Reise mit Ayahuasca erlebt und es war wunderschön. Wenn es so etwas wie Erleuchtung gibt, dann habe ich das in meiner Vorstellung erlebt. Danach war alles wieder farblos, emotional. Ayahuasca zeigt dir deine Wirklichkeit, deine Verantwortung. Alles, was ist, wie du dich fühlst, deine Umwelt, deine Freude – alles ist deine Kreation. Das bedeutet, du trägst die volle Verantwortung für das, was du machst. Ayahuasca hilft dir dabei, deine alten Konflikte zu lösen – seien das nun Kindheitstraumata, Blockaden oder aktuelle Themen. Und das macht es geschickt: indem es dich in die Situation zurückversetzt, in der dir vielleicht etwas nicht sehr Schönes widerfahren ist, kannst du diesen Moment mit deinem momentanen Bewusstsein neu erleben und auflösen. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass viele Menschen Angst davor haben, glücklich zu sein. Es ist immer leichter zu jammern, als seines eigenen Glückes Schmied zu werden. Aber du kannst immer wählen.

Was genau ist Ayahuasca?
Ayahuasca wird als Getränk gereicht, das aus zwei Pflanzenteilen besteht: einmal aus der Liane und aus dem Blatt. Man muss bei der Herstellung auf sehr viele verschiedene Faktoren achten. Etwa, welche Art der Pflanze gewählt wird, in welcher Umgebung die Liane gewachsen ist, wer die Pflanze erntet, wie lange sie gebraut wird. Nicht zuletzt, ob dazu Ikaros, also Mantras, gesungen werden. Das Getränk kann bis zu 12 Stunden gebraut werden, dazu wird gesungen und somit eine ganz spezielle Energie in die Flüssigkeit geladen. Dann kommt es bei der Zeremonie wiederum auf den Schamanen an, die Musikauswahl und vielleicht sogar die Teilnehmer. Was die Pflanze macht, ohne etwas dafür zu verlangen, ist einfach nur ein Geschenk.

Du promotest Ayahuasca ja schon ziemlich…
Das stimmt und ich gehe davon aus, dass die Polizei demnächst an meine Türe klopft (lacht), aber ich handle nicht damit, ich biete es nicht an, ich gebe nur zu: Ich habe es gemacht. Und was ich mache, ist meine Angelegenheit. Aber ich möchte auch, dass ich in diesem Interview unverfälscht sprechen kann. Wenn ich dafür einstehen muss, weil ich Ayahuasca promote, dann soll es so sein. Jede Pflanze ist in ihrer Reinheit ein hilfreicher Lehrer für eine bestimmte Phase. Bei Cannabis ist es genauso: Es kann vielen Menschen helfen, die wissen, worum es ihnen dabei geht. Aber die westliche Welt verbietet es uns, weil sie so eine Angst hat vor freien Menschen. Und natürlich sind auch die Lobbyisten dagegen – da ist kein Geld dahinter (lacht).

Du reist viel herum. Man sagt, dass das Reisen auch eine Suche im Außen ist.
Mein Astrologe hat mir gesagt, dass das Reisen das Fehlen von Heimat ist und aus einem Gefühl von Nicht-Erwünscht-Sein herrührt. Als sei meine Persönlichkeit hier nicht erwünscht und ich müsste reisen, um woanders einen Stamm zu finden. Es kommt wohl daher, dass meine Eltern kein Kind haben wollten und dann nur ein Mädchen. Anscheinend hat es bis zu meinem 30. Lebensjahr gedauert, bis meine Mutter damit klar kam. Mein Drang zu reisen hat sich mittlerweile ein wenig aufgelöst. Ich suche auch nicht mehr. Denn Menschen brauchen einen Stamm, gleich einem Zusammenleben in einem kleinen Dörfchen. Hier bist du oft völlig auf dich alleine gestellt.

Jetzt lebst du aber in einer Beziehung.
Nachdem ich jetzt die letzten vier Jahre in allen Ecken der Welt unterwegs war und meinen Stamm nicht gefunden habe, gründe ich jetzt meinen eigenen Stamm – Stichwort Eigenverantwortung (lacht).

Wohin führt dich deine nächste Reise?
Erst einmal werde ich in München ein paar Workshops geben und unter anderem bei den Schlierseer Yogatagen unterrichten. Im September halte ich sieben Tage lang ein Ashtanga „Awareness“ Retreat in Bayern. Dann geht’s nach Bali zum Surfen und Unterrichten und über den Winter nach Indien.

Und was ist dein Ziel?
Wenn ich reise, reise ich immer in den Dschungel. Ich fühle mich der Vegetation des Dschungels eher verbunden als der der europäischen Wälder. Das liegt vielleicht auch daran, dass mein Krafttier ein Jaguar ist. Jedes Tier ist in seiner Form so wunderbar, weil es nicht denkt, etwas anderes sein zu müssen. Und hier bist du auf der Welt und denkst, du musst etwas anderes sein als dein wirkliches Wesen. Ein Jaguar denkt nie daran, ein Hase zu werden. Meine Vision ist es, Menschen zu helfen, dass sie endlich aufwachen. Viele Menschen haben alle Hoffnung verloren und vielen gefällt ihr Leben ja auch so. Wofür auch immer sie sich entschieden haben: Ich möchte, dass sie ihre Entscheidung frei gewählt haben. Beim Ashtanga Yoga gilt genau das gleiche: Wie weit du in der Stunde gehst, liegt ganz bei dir. Aber wo ist der Sinn, wenn du nicht deine Grenze erreichst? Du kannst neue Grenzen nicht erschließen, wenn du nicht weitergehst. Ich kann nur von mir sprechen: Mir reicht der Durchschnitt nicht. Ich möchte Freude erleben, den größten Schmerz, die größte Heilung. Die Welt braucht Menschen, die freier sind. Die bereit sind, für ihre Freiheit alles zu geben. Alles andere ist lediglich ein Existieren.

 

Bin Le unterrichtet als Ashtanga Lehrer auf Retreats, Workshops und Festivals.

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