Es wird Zeit unter die Oberfläche zu blicken

Menaka Desikachar steht für eine große Yogatradition. Wir sprachen mit der Grande Dame aus Chennai über ihre Ehe, ihre Leidenschaft für das Chanting und über das Altern.

Eigentlich war sie ein schüchternes, schweigsames Mädchen, sagt Menaka von sich selbst, heute eine lebensfrohe, selbstbewusste Frau mit funkelnden Augen und silbernem Haar. Sie war immer fleißig in der Schule gewesen, studierte später ­Zoologie, lernte indischen Tanz, Schreibmaschine schreiben und Englisch, obwohl sie keinen Kontakt zu Ausländern hatte, ja sogar noch nie einen in ihrem Leben gesehen hatte. Mit Anfang 20 änderte sich auf einmal so einiges. Sie ­heiratete. Und zwar nicht irgendwen, sondern T. K. V. Desikachar, Sohn von Tirumalai Krishnamacharya (1888-1989), jenes Mannes, der heute als einflussreichster und bedeutendster Yogalehrer und -Gelehrter des letzten Jahrhunderts verehrt wird. Bis zu ihrer Hochzeit hielt die bescheidene junge Frau Yoga für eine seltsame Form von Gymnastik. Heute kann sie auf vier Jahrzehnte Erfahrung zurück­blicken. Sie ist unter anderem Gründungsmitglied des legendären Yoga-Instituts Krishnamacharya Yoga Mandiram in Chennai, reist als international gefragte Yogalehrerin und -Therapeutin rund um die Welt und hält Workshops und Vorträge – natürlich auf Englisch.

Fangen wir doch mal von vorne an. Wie haben Sie Ihren Mann, T. K. V. ­Desikachar, kennen gelernt?
Auf eine damals übliche Art und Weise. Eine entfernte Verwandte kannte ihn und mich und fand, dass wir gut zusammenpassen würden. Sie regte meine ­Mutter an, mein Horoskop erstellen zu lassen. In Indien werden alle wichtigen Entscheidungen erst mal über ein Horoskop abgesichert. Da meine Mutter noch zwei ­ältere Töchter hatte, versuchte sie jedoch, erst diese unter die Haube zu bringen. Doch die eine war viel zu beschäftigt, um zu heiraten, die andere war sich nicht sicher, ob sie überhaupt heiraten wollte. Also war ich an der Reihe.

Und Sie wollten heiraten?
Ja, ich war ein braves Kind. Meine Zukunftspläne sahen schon immer so aus: Hochzeit mit einem Ingenieur, ein eigenes Haus mit Garten, in dem ich Blumen pflanzen könnte, und ein Ehemann, der hübsch und intelligent ist und nur mich liebt.

Und erfüllte der Mann, mit dem Sie verkuppelt werden sollten, diese Kriterien? War er hübsch?
(lächelt) Ja.

Ingenieur?
Er hatte in England Maschinenbau studiert. Aber er war eben auch ­Yogalehrer. Das war damals in Indien nicht wirklich modern. Meine Freundinnen zogen mich ziemlich auf wegen dieses Mannes, der Gymnastik machte. Ich war, ehrlich ­gesagt, zunächst auch etwas besorgt deswegen.

Trotzdem haben Sie diesen Mann 1968 geheiratet – und dann selbst mit dieser Gymnastik angefangen…
Anfangs spähte ich durchs Schlüsselloch und beobachtete die Menschen, die zu meinem Mann und meinem Schwiegervater kamen. Ich kopierte heimlich die Fangen wir doch mal von vorne an. Wie haben Sie Ihren Mann, T. K. V. ­Desikachar, kennen gelernt?
Auf eine damals übliche Art und Weise. Eine entfernte Verwandte kannte ihn und mich und fand, dass wir gut zusammenpassen würden. Sie regte meine ­Mutter an, mein Horoskop erstellen zu lassen. In Indien werden alle wichtigen Entscheidungen erst mal über ein Horoskop abgesichert. Da meine Mutter noch zwei ­ältere Töchter hatte, versuchte sie jedoch, erst diese unter die Haube zu bringen. Doch die eine war viel zu beschäftigt, um zu heiraten, die andere war sich nicht sicher, ob sie überhaupt heiraten wollte. Also war ich an der Reihe.

Und Sie wollten heiraten?
Ja, ich war ein braves Kind. Meine Zukunftspläne sahen schon immer so aus: Hochzeit mit einem Ingenieur, ein eigenes Haus mit Garten, in dem ich Blumen pflanzen könnte, und ein Ehemann, der hübsch und intelligent ist und nur mich liebt.

Und erfüllte der Mann, mit dem Sie verkuppelt werden sollten, diese Kriterien? War er hübsch?
(lächelt) Ja.

Ingenieur?
Er hatte in England Maschinenbau studiert. Aber er war eben auch ­Yogalehrer. Das war damals in Indien nicht wirklich modern. Meine Freundinnen zogen mich ziemlich auf wegen dieses Mannes, der Gymnastik machte. Ich war, ehrlich ­gesagt, zunächst auch etwas besorgt deswegen.

Trotzdem haben Sie diesen Mann 1968 geheiratet – und dann selbst mit dieser Gymnastik angefangen…
Anfangs spähte ich durchs Schlüsselloch und beobachtete die Menschen, die zu meinem Mann und meinem Schwiegervater kamen. Ich kopierte heimlich die ­Haltungen, die ich mit einem Auge gesehen hatte. Das ging recht gut, denn ich war damals mit Anfang 20 sehr beweglich. Als mein Mann mich einmal dabei ertappte, sprach er mich darauf an: „Wenn du Yoga lernen willst, bringe ich es dir bei.“ Ich wollte.

Ist es nicht schwierig, dass Ihr Yogalehrer gleichzeitig Ihr Ehemann ist?
Das funktioniert ohne Probleme. Wenn er mich unterrichtet, ist er mein Lehrer. Und zu Hause ist er mein Mann. Er kann gut unterscheiden, welche Rolle er gerade einnimmt. Ich war immer bereit, das, was mein Lehrer mir sagte, als Schülerin anzunehmen und nicht mit in den Haushalt zu tragen. Viel Leiden lässt sich vermeiden, wenn man sich bewusst macht, dass man verschiedene Rollen im Leben einnimmt, und weiß, aus welcher Position heraus man gerade agiert. Jede Rolle ist etwas ­Vorübergehendes, nichts, was auf Dauer wichtig wäre, nichts, womit sich das Selbst identifizieren müsste…
Wie hat sich Ihre Yogapraxis im Laufe der Zeit entwickelt?
Die ersten Jahre beschäftigte ich mich nur mit dem, was man sehen konnte, mit den Asanas. Ich fing sogar an, selbst ein oder zwei  Schüler zu unterrichten. Zwischen 1970 und 1978 bekam ich dann drei Kinder. Erst als diese größer waren, fing mein Lehrer an, mir das Yoga-Sutra zu erklären. Das hat mich sehr verändert.

Inwiefern?
In Bezug auf Prioritäten. Bevor ich geheiratet hatte und auch in den ersten Jahren meiner Ehe war mir es am wichtigsten, Wissen anzusammeln und mich ­finanziell abzusichern. Durch das Studium des Yoga-Sutra richtete sich mein Interesse mehr auf das, was wirklich glücklich macht, auf die Quelle sozusagen. Diese Idee der ewigen Freude, die nicht ständig von außen genährt werden muss, weil sie aus einer inneren Quelle gespeist wird, hat mich sehr fasziniert – und ich finde sie bis heute essenziell.

Die nicht-ewige Freude wäre dann…
…jede Art von Glück, die von außen kommt und immer wieder einen neuen Impuls von außen braucht. Zum Beispiel etwas Angenehmes, das ich sehe, höre oder schmecke, bereitet mir zwar vorübergehend Freude – doch muss hier immer wieder etwas Neues erlebt werden, damit die Freude bleibt.

Dass Sie sich als Frau mit Yoga beschäftigen durften, galt vor wenigen ­Jahrzehnten noch als geradezu revolutionär. Ihr Schwiegervater Tirumalai ­Krishnamacharya hatte damals angefangen, Ihre Schwiegermutter und ­einige andere Frauen zu unterrichten. Erst dadurch wurden Yoga und die alten Schriften für Frauen wieder zugänglich…  
Richtig. Mein Schwiegervater hatte den Eindruck, dass die Brahmanen dieser Zeit sich zu sehr um „Business“ kümmerten statt um das, was sie tun sollten, nämlich die Weisheiten der Veden zu lernen und zu lehren. Er war der Ansicht, dass gerade Frauen die Kraft hätten, die Lehren der Veden weiterzutragen, und begann darum ganz bewusst, auch Frauen zu unterrichten. Damit brach er eine Regel, die aus der geschichtlichen Entwicklung Indiens heraus entstanden ist, und wurde deshalb heftig kritisiert. Selbst heutzutage gibt es noch Brahmanen, die denken, das Chanten der Veden und Yoga wäre nichts für Frauen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren beide Gebiete reine Männersache.

Wie geht dieses vedische Chanting? Ist das so etwas wie Kirtan?
Vedisches Chanting ist anders. Es hat bestimmte Regeln, die man unbedingt ­einhalten muss. Die Tonhöhen sind ganz genau festgelegt, ebenso wie die ­Länge der Vokale und das Tempo. Es gibt keinen Interpretationsspielraum, sondern nur das ganz strikte Befolgen von Regeln. Nur auf diese Weise konnte man eine fehlerfreie mündliche Überlieferung der Veden über Jahrtausende bis heute ­sicherstellen.

Wer hat Sie in die Kunst des Rezitierens eingewiesen?
Ach, ich wollte das schon immer lernen. Schon als junges Mädchen. Mein Schwiegervater führte mich kurz nach meiner Hochzeit in das Chanting ein. Nur ­leider waren mein tamilischer Akzent so stark und meine Sanskrit-Aussprache so ­miserabel, dass mein Schwiegervater den Unterricht mit mir nach zwei Tagen aufgab. Danach habe ich erst mal Sanskrit gelernt, um meine Aussprache zu verbessern… Mein wichtigster Lehrer wurde später mein Mann. Alles, was ich über das vedische Chanting weiß, habe ich von ihm.

Heute kann jeder, der sich für diese alte Tradition interessiert, Unterricht am ­Vedavani nehmen. Dies ist eine eigene Abteilung des Krishnamacharya Yoga Mandiram in Chennai, die Sie 1999 ins Leben gerufen haben. Viele Menschen pilgern jedoch aus einem anderen Grund nach Chennai: Sie möchten gesund ­werden. Welche Erfahrung haben Sie selbst mit Yoga als Therapie gemacht?
Bei Yoga geht um die körperliche und geistig-emotionale Gesundheit und darum, Menschen zu befähigen, durch eigenes Tun selbst für ihre Gesundheit zu sorgen. Gerade bei chronischen Leiden kann man hier viel bewirken. Was mich angeht: Meine Mutter war Diabetikerin. Überhaupt ist meine Familie mit Diabetes und Bluthochdruck vorbelastet. All meine Geschwister leiden darunter, ich bin bisher die Einzige, die von beiden Krankheiten verschont geblieben ist. Sicherlich spielt Yoga dabei eine Rolle.

Wie kann Yoga dabei helfen?
Durch den Einsatz aller Möglichkeiten, die Yoga bietet, unter anderem Asanas, Pranayama, Pratyahara, die Kontrolle der Sinne, und so weiter. Bei Yoga geht es ja nicht nur um die körperliche Gesundheit. Es ist eine Philosophie mit vielen Möglichkeiten, einem Menschen zu helfen und sich zu entwickeln.

Als erfahrene Yoga-Therapeutin halten Sie Vorträge darüber, wie Menschen in allen Lebensstadien von Yoga profitieren können. Was empfehlen Sie Jung und Alt?
Nun, so lang man Kind ist, hilft Yoga dem gesunden Wachstum und sorgt für eine gute Haltung. Gib Kindern fordernde, belebende Asanas. Das hilft ihnen, sich zu konzentrieren und gibt ihnen Kraft. Beläs­tige sie nicht mit Pranayama, das langweilt Kinder eher. Wenn, dann lass sie mit Lauten üben. Erwachsenen hilft Yoga, die Gesundheit zu erhalten und mit den Anforderungen als Mutter oder als Ernährer der Familie zurechtzukommen. Yoga hilft, immer einen klaren Kopf zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Pranayama wird im Laufe der Jahre immer wichtiger, um den Geist zu klären.

Und im Alter?
Im Alter nehmen körperliche Beschwerden oft zu. Es genügt, unkomplizierte, einfache Bewegungen zu machen, um fit zu bleiben und dafür zu sorgen, dass man niemandem zur Last fallen muss. Wenn die großen Pflichten erledigt sind, die Kinder aus dem Haus, das berufliche Ziel erreicht, dann wird es Zeit für die Meditation. Es wird Zeit, unter die Oberfläche der Dinge zu ­blicken, Zeit, loszulassen.


Mehr über das KYM und das Vedavani finden Sie unter: www.kym.org

Foto: Jörg Frank

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