Am 23. September beginnt der kalendarische Herbst. Die Tage werden kürzer, Blätter fallen und die Natur zieht sich langsam zurück. Die Zeit der Innenschau beginnt auch in der Yogapraxis. Willst du Herzensthemen endlich angehen, weißt aber nicht wie? Der US-Yogalehrer und Kirtan-Musiker Sean Johnson erklärt, wie du mit diesen 4 Asanas und der richtigen Intention dahinter, mehr Frieden in dein Seelenleben bringst.
Bevor du dich ans Üben der folgenden Asanas machst, solltest du dir überlegen, welche Intention du deiner Praxis zugrunde legst und in welcher Weise du neue Einsichten und Inspiration in deine Yogapraxis und dein Leben bringen möchtest. Die Anleitungen sind nur Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung. Mit etwas Gespür und Kreativität kannst du auch ganz individuell Haltungen mit mehr Bedeutung und Kraft erfüllen und deine Leidenschaft für Yoga neu beleben.
Sich seiner Lebensinhalte versichern im nach unten schauenden Hund
Adho Mukha Shvanasana kann dir helfen, dich sowohl auf der Matte als auch im Alltag mit deinen persönlichen Lebensinhalten zu verbinden. Die Haltung verleiht ein Gefühl von Kraft und Vitalität, vor allem dann, wenn du dabei an dein Dharma denkst, also die Aufgabe deiner Seele in diesem Leben.
So geht’s: Du beginnst im Vierfüßlerstand. Schließe die Augen und konzentriere dich auf die Punkte, an denen deine Fingerspitzen den Boden berühren. Dann stellst du die Zehen auf, hebst das Becken und streckst den Rumpf von den Daumenballen bis in die Sitzknochen. Breite die Finger noch etwas weiter aus und schiebe die Hände noch deutlicher gegen den Boden. Dabei fragst du dich: “Wie kann ich die Erde am besten mit diesen Händen, diesen Füßen, diesem Körper berühren? Welches Geschenk kann ich der Welt machen?” Beuge ein Knie und schiebe die gegenüberliegende Ferse deutlicher nach unten (wenn sie den Boden nicht berührt, dann lege sie an der Wand an). Dann wechsele die Seiten. Mit jedem tiefen Anbinden nach unten bewegst du dich tiefer in diese Fragestellung hinein. Anschließend vertiefst du deine Atmung und fragst dich: “Welchem Ziel soll ich meinen Atem und meine Lebenskraft widmen?”
Wann immer Antworten auf diese Fragen in dir aufsteigen, nutze sie, um noch etwas länger in der Haltung zu bleiben und um dich deinen Lebensinhalten mit mehr Kraft,
Fokus und Klarheit zu verpflichten. Vielleicht wird dir dabei klar, dass ein wichtiger Lebensinhalt für dich darin besteht, zu singen, einen Garten zu pflegen, zu unterrichten, zu schreiben, andere zu unterstützen oder zu inspirieren – was auch immer es ist, stelle dir vor, wie du dich über deine Hände und Füße darin verankerst, wie die von unten aufsteigende Energie durch Arme, Rumpf und Beine in diese Aufgabe hineinfließt und wie du sie mit jedem Atemzug nährst und bereicherst. Spüre, dass du von ganzem Herzen zu deinem Dharma stehst.
Liebevolle Güte verströmen in der Haltung des liebevollen Kriegers
In dieser Variation von Virabhadrasana II fließen Atem, Bewegung und Vorstellungskraft ineinander, um Liebe und Anteilnahme auszusenden. Vor allem wenn du gerade völlig in die eigenen Lebensthemen verstrickt bist, kann dir diese aus der buddhistischen Metta-Meditation abgeleitete Technik einen Ausweg aus selbstzentriertem Denken und Fühlen eröffnen.
So geht’s: Richte in einer weiten Schritthaltung das gebeugte rechte Knie über dem rechten Fußgelenk aus und strecke das linke Bein. Rumpf und Gesicht sind der langen Mattenseite zugewandt. Die Arme hängen zunächst herab, die Hände sind mit nach oben zeigenden Handflächen vor dem Körper ineinander gelegt und der Kopf ist sanft nach unten geneigt. Mit einer Einatmung streckst du das rechte Bein und hebst die Arme langsam mit nach oben zeigenden Händen zu den Seiten und bis über den Kopf. Gleichzeitig hebst du auch das Gesicht Richtung Decke. Ausatmend beugst du das rechte Bein wieder und senkst Arme und Kopf zurück in die Ausgangsposition.
Wenn dir der Bewegungsablauf nach einigen Atemzügen vertraut geworden ist, schließe die Augen. Angetrieben von deinem Atem und den langsamen, anmutigen Bewegungen stelle dir vor, dass du von deinem Herzen aus über deine Arme und Hände Liebe, Anteilnahme und Mitgefühl für dir nahe stehenden Menschen verströmst. Vielleicht nimmst du dabei eine zirkulierende Energie wahr oder ein subtiles Kribbeln entlang der Wirbelsäule. Nach einer Weile stellst du dir vor, wie diese Ströme aus Liebe sich aus deinem näheren Umfeld heraus ausbreiten. Mit jedem Atemzug erweiterst du das Feld dieser Strahlen – über die ganze Stadt, das Land und die Welt. Anschließend wiederholst du die Übung mit dem linken Bein vorne.
Die Vorfahren würdigen im Baum
Atme tief und stelle vor, wie du dich über die Zeit hinweg mit deinen Urgroßmüttern und Urgroßvätern verbindest. Wenn dir Geschichten zu einem dieser Menschen einfallen, dann richte deine Aufmerksamkeit dorthin. Danke ihr oder ihm für alle Freuden und Leiden, die sie durchlebt haben. Während du die Übung auf dem anderen Standbein wiederholst, verbinde dich in Dankbarkeit mit deinen Lehrern, deiner spirituellen Familie. Vergegenwärtige dir ihre Energie, Weisheit und Inspiration, die sie dir vermittelt haben. Dabei wiederholst du innerlich das kraftvollste aller Mantras: Ich danke euch.
Eine zerbrochene Beziehung heilen in der Schulterbrücke
In Setu Bandha Sarvangasana baust du eine symbolische Brücke, die dir hilft, eine schwierige Beziehung zu heilen. Das kann dich dabei unterstützen, Wut und Enttäuschung zu überwinden und zu mehr Mitgefühl, Vergebung und Anbindung zu finden. Vielleicht gelingt es dir so besser, aus dem Herzen heraus zu handeln und mit der Zeit deine typischen Beziehungsmuster zu verändern.
So geht’s: Stimme dich zunächst gedanklich auf die Beziehung ein, die du heilen oder verbessern möchtest. Vielleicht handelt es sich um eine schwierige Arbeitskollegin oder eine alte Liebe. Vermeide es, gedanklich in die verschiedenen Aspekte des emotionalen Dramas einzusteigen. Stattdessen formulierst du eine positive Intention, um eine Brücke zwischen dir und der betreffenden Person zu bauen. Dann stellst du in der Rückenlage die Beine an, hebst langsam das Becken und bildest mit Rumpf und Beinen, mit Herz und Atem eine wunderschöne Brücke.
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Weite den Atem in Bauch und Brust aus, um mehr Sensibilität zu wecken und dein Herz zu öffnen. Denke mit Mitgefühl an die Person, derentwegen du die Brücke gebaut hast und erlaube ihrem Gesicht, vor deinem inneren Auge zu erscheinen. Stelle dir vor, wie die Brücke – und damit euer Verhältnis – mit jedem Atemzug repariert wird, wie du mit jeder Ein- und Ausatmung stärker und stabiler wirst. Dann senkst du das Becken mit einer Ausatmung wieder ab und spürst der emotionalen Verbindung, die du durch dieses Ritual hergestellt hast, eine Weile nach.
Autor SEAN JOHNSON ist nicht nur Yogalehrer, sondern auch ein bekannter Kirtan-Musiker. Er unterrichtet Workshops und Lehrerausbildungen, die Hatha und Bhakti Yoga miteinander verbinden. www.wildlotusyoga.com
Der Berliner Illustrator und Künstler OLAF HAJEK verbindet folkloristische Elemente, florale Motive und verspielte Detailliebe zu farbenfrohen, phantastisch anmutenden Bilderwelten. www.olafhajek.com
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