Maksim Klasanovic – vom Häftling zum Yogalehrer

Maksim Klasanovic wurde zu 13 Jahren Haft im härtesten Gefängnis Thailands verurteilt. Heute sagt er: “Es war die wichtigste Erfahrung meines Lebens”. Hier erzählt er, wie ein meditierender Mitgefangener und ein zerfleddertes YOGA JOURNAL ihm halfen zu überleben.

Text: Dimitri Lehner / Foto: Simon Geiger

Maksim Klasanovic arbeitete in Thailand als Marketingmanager für Hotels, als er 2011 während einer Party verhaftet und in einen großen Drogenfall verwickelt wurde. In seinem Buch: “Der König darf nicht sterben. Mein Weg aus Thailands härtestem Knast” berichtet Maksim, wie er im Gefängnis Meditation und Yoga für sich entdeckte. Heute unterrichtet er beides in Kursen und hält Seminare zu Meditativem Mentalcoaching. thaimiki.com

13 Jahre Gefängnis. Das Urteil muss ein Schock gewesen sein.
Ich war völlig geschockt, denn ich rechnete mit einem Freispruch.

Wie kam es zu dem harten Urteil?
Da kam vieles zusammen: Ich hatte zwar nur die Telefonnummer eines Dealers weitergegeben wurde dabei aber in einen großen Drogenfall verwickelt und hatte einen Anwalt, der mir versprach, mich mit einer Falschaussage frei zu bekommen – der sich aber später als korrupt herausstellte …

Du wirst Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um doch noch rauszukommen.
Das habe ich, doch da ließ sich nichts machen. Erst als 2016 König Bhumibol starb, wurde ich nach mehr als 8 Jahren im Rahmen einer großen Amnestie begnadigt.

Wie muss man sich den Knast in Thailand vorstellen?
Die Zelle ist ein Käfig. 180 Quadratmeter für 290 Männer. Mörder, Vergewaltiger, Drogendealer und -süchtige, Verrückte – bewacht, drangsaliert und geprügelt von korrupten Wärtern. Du schläfst auf dem nackten Boden. Die Gefangenen liegen dabei so eng gepackt, dass du nur auf einer Seite liegen und dich nicht drehen kannst. Eine leere Colaflasche war in den ersten Monaten mein Kopfkissen. Keinerlei Privatsphäre. Ein Plumpsklo mitten im Raum. Als ich in der ersten Nacht aufs Klo ging, war danach mein Schlafplatz weg und ich musste stehen.

Da dreht man doch durch.
Ja. Überall Milben, Läuse, Moskitos. Die Bisse peinigten mich und hielten mich nachts wach. Ratten krochen aus der Kanalisation. Es gab regelmäßig Massenschlägereien. Meist beim Waschen, wenn ein paar Hundert Mann versuchten, sich an einem einzigen Becken zu waschen. Jeder ist gestresst und bis aufs Blut gereizt.

Wie steht man das durch?
Das frage ich mich auch. Ich sah andere sterben und wollte überleben. Ich habe schnell angefangen, Thai zu lernen und viel Sport zu machen. Im Freigelände machte ich Liegestütze, Kniebeugen und Situps. Zum einen um nicht durchzudrehen, aber auch als Schutz, denn wer kräftig aussieht, wird in Ruhe gelassen. Als ich dann von Phuket nach Bangkok verlegt wurde, war ich bereits sehr athletisch und wurde für mein konsequentes Training respektiert. Zudem konnte ich jetzt Thai sprechen. Aber mental war es trotzdem noch die Hölle.

Wie kamst du zu Yoga und Meditation?
Neben mir lag nachts ein Nepalese. Mir fiel auf, dass er frühmorgens, als wir alle noch schliefen, regungslos dasaß. Ich dachte, er würde beten. Doch er erzählte mir, dass er meditiert. Es war auffällig, wie viel gelassener er war als die anderen Häftlinge. Also bat ich ihn, mir das beizubringen.

„Der Knast wurde ein fast heiliger Ort für mich.“

Was genau war das?
Da gab es kein Geheimnis. Es ging schlichtweg um bewusstes Atmen. Er sagte: “Spüre deine Nasenflügel beim Ein- und Ausatmen. Kommen störende Gedanken, dann nehme sie zwar wahr, doch kehre wieder zum Atem zurück!” Anfangs fiel es mir wahnsinnig schwer, auch nur 5 Minuten still zu sitzen und zu atmen, doch ich habe gleich gemerkt, dass da etwas mit mir passiert. Mit der Zeit gelang es mir immer besser: Das Gedankenkarussell drehte sich tatsächlich langsamer. Diese Datenautobahn in meinem Kopf wurde über die Jahre zu einer 30er-Zone.

Im Gefängnis eine große Hilfe.
Und wie! Zuvor haben mich meine Gedanken zermartert. Alles in mir wehrte sich gegen das Gefängnis. Mir schien, dass alles von meinem Geist vernebelt war. Durch Meditation spürte ich mich anders. Ich konnte mich mit der Situation, mit meinem Schicksal arrangieren. Ich wurde selbstsicherer, freier, konnte mich selbst annehmen mit meinen Stärken und Schwächen.

Wie sah deine Praxis konkret aus?
Morgens um 4.30 Uhr, als die anderen noch schliefen, machte ich zuerst Atemübungen, später meditierte ich und versuchte, meine Gedanken zu verlangsamen. Ich wurde regelrecht süchtig danach. Und Yoga? Bisher hatte ich Krafttraining gemacht und Muay Thai, also Thai-Boxen geübt. Doch dann bekam ich eine zerfledderte Zeitschrift in die Finger. Irgendjemand hatte einen Wärter bestochen und alte Magazine eingehandelt. Darunter war eine ältere Ausgabe des amerikanischen YOGA JOURNAL. Es fehlten zwar etliche Seiten, aber ich fand 8 bis 10 Asanas, die ich gleich ausprobierte.

Dieses Heft war es, das Maksim im Gefängnis zufällig in die Hände bekam – darin ein paar Übungsanleitungen, die ihm eine neue Welt eröffneten.

Was hat dir daran so gefallen?
Die Dehnung. Das Hineinspüren in den Körper. Wenn du dich dehnst, konzentrierst du dich auf deinen Körper und die Gedanken hören auf. Ich habe ein Jahr lang immer nur dieselben Asanas gemacht – eben die aus dem YOGA JOURNAL, kombiniert mit achtsamer Atmung.

Wie haben die anderen Häftlinge reagiert?
Sie haben gespürt, wie ich mich veränderte – und das hat sie neugierig gemacht. Irgendwann kam der erste und wollte angeleitet werden. Dafür habe ich dann improvisiert. Zum Beispiel war im YOGA JOURNAL vom Sonnengruß die Rede, aber es gab keine Anleitung. Also habe ich meinen eigenen Bewegungsablauf entwickelt, denn auch ich wollte die Sonne grüßen können.

Wie sah dein Sonnengruß aus?
Ganz simpel: Du sitzt auf den Fersen und richtest dich dann auf in den Kniestand, hebst die Arme zur Seite der Sonne entgegen und setzt dich wieder zurück auf die Fersen.

Du hast also dein eigenes Yoga erfunden.
Ja, es blieb mir ja nichts anderes übrig. Und das hat Spaß gemacht. Ich habe so auch das Nachspüren für mich entdeckt. Je tiefer ich in die Dehnung ging, desto intensiver fühlte es sich an. Also versuchte ich, die starke Dehnung zu halten. Mein Yoga ist ein sehr langsames, tiefes Yoga. Atmen, Dehnen, Nachspüren – das war die 3er-Kombination, die mir gefiel. Später kam das achtsame Hören dazu. Das konnte auch beim Laufen passieren. Und das achtsame Essen.

Achtsames Essen?
Ich bekam alle zwei Wochen von einer ehrenamtlichen Gefangenen-Betreuerin der deutschen Botschaft Äpfel geschenkt. So einen Apfel aß ich dann ganz bewusst. Das war ein meditatives Erlebnis. Meditatives Äpfelessen im thailändischen Knast. Verrückt, ich weiß. Doch in den letzten Jahren wurde aus dem Knast ein fast heiliger Ort für mich. Yoga und Meditation haben mich verändert. Das konnten auch die anderen Häftlinge sehen – und so haben wir irgendwann eine richtige Yogaklasse gegründet, die ich zweimal die Woche angeleitet habe. Wir übten auf aufgeschnittenen Papp-Kartons, das waren unsere Yogamatten. Als ich zurück nach Deutschland kam, habe ich gemerkt, dass es auch den Leuten hier guttut, wie ich auf ganz simple Art Yoga und Meditation glaubwürdig mache. Für ein neues, achtsames Leben. Deswegen habe ich diesen Sommer auch die Ausbildung zum Yogalehrer gemacht.

“Die Datenautobahn in einem Kopf wurde zu einer 30er-Zone.” Auch nach seiner Rückkehr an den Rhein meditiert Maksim Klasanovic täglich.

Konntest du da noch was lernen?
Eine ganze Menge, von dem ich keine Ahnung hatte! Alleine die Anatomie, die Faszien und so weiter, das ist super spannend. Doch durch Meditation an einen Punkt zu kommen, wo alles schwerelos wird – das schaffst du nur durch viel Übung. Das kann dir niemand beibringen, du musst es selbst erfahren. Sobald du nicht mehr vom Geist beeinflusst bist, verändert sich deine Gesundheit, deine Ausstrahlung, dein Familienleben, dein Liebesleben. Du wirst in allen Ebenen deines Lebens Veränderungen spüren.

Klingt, als seist du auf einer Mission?
Hättest du mir vor zehn Jahren gesagt, dass ich mal eine Yogalehrer-Ausbildung machen würde, hätte ich laut aufgelacht. Aber jetzt will ich Menschen die Techniken beibringen, die mich im Gefängnis gerettet haben. Menschen, die bisher denken, dass Yoga nichts für sie sei.

Wie war es, nach über 8 Jahren wieder nach Deutschland zu kommen?
Als ich zurückkam, haben mich alle angestrahlt. Ich konnte es nicht fassen, schließlich hatte ich mit 19 Jahren Deutschland verlassen, weil hier alle so mürrisch waren. Und jetzt strahlte jeder. Dann merkte ich erst, dass ich es war, der strahlte. Denn das Gefängnis war in den letzten Jahren ein heiliger Ort für mich, so krass sich das jetzt anhört. Das Leid, die Toten, die Verrückten, das schlechte Essen, das Ungeziefer – entweder du zerbrichst daran oder du findest Kraft und kommst gestärkt raus. Für mich war es rückblickend ein Glück, all das erfahren zu haben.

Ich wäre an einem solchen Schicksal zerbrochen – die besten Jahre meines Lebens hinter Gittern.
Vielen ist das so gegangen. Wenn die Psyche einknickt, zerbricht auch die Gesundheit. Viele sind krank geworden und gestorben oder sie haben sich umgebracht. Für mich war das keine Option. Das konnte ich meiner kleinen Tochter nicht antun, meiner Schwester nicht und auch meiner Mutter nicht. Ich wollte nicht einer dieser Toten sein, die in Lumpen gewickelt aus der Zelle geschleppt werden. Häftlinge sind in meinen Armen gestorben, manche lagen tagelang tot in unserer Zelle. Ich habe dort eine andere Beziehung zum Tod bekommen.

Hast du nicht das Gefühl, um die besten Jahre deines Lebens betrogen worden zu sein?
Nein. Ich habe sogar das Gefühl, beschenkt worden zu sein. Woanders hätte ich nie erfahren, was ich erfahren habe. Ich war früher arrogant, ein Angeber, dachte, ich sei was Besseres. Party, fette Autos, fette Uhren, Alkohol – das hatte etwas Selbstzerstörerisches und sehr Oberflächliches. Das ist jetzt alles anders. Aber es war ein langer Weg. Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Ich habe über acht Jahre keine Orange gegessen. Jetzt esse ich eine Orange mit Hingabe und bin wirklich dankbar dafür.


Der Münchner Journalist DIMITRI LEHNER startet jeden Tag mit einem Mix aus Yoga und koreanischen Übungen nach Meister Seo.

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